Neue Erddeponie: Bürger sind gefragt

Der Suchlauf für einen neuen Standort in der Region Stuttgart hat begonnen.

Wohin mit dem Aushub?

© /Mierendorf

Wohin mit dem Aushub?

Von Kai Holoch

Stuttgart - Es ist der erste winzige Schritt auf dem sehr langen und vermutlich auch ziemlich steinigen Weg hin zu einer oder zwei neuen Erddeponien in der Region Stuttgart. Nachdem der Kreis Ludwigsburg Anfang des Jahres beschlossen hat, nicht länger die Erd-Abfallhalde der Region sein zu wollen, muss der Verband Region Stuttgart nun innerhalb von fünf Jahren eine neue Ablagerungsmöglichkeit für mineralische Abfälle und verunreinigten Bodenaushub für die Region Stuttgart finden.

Auf dem Weg dahin, so das hat die Regionalversammlung beschlossen, will man bei der Entscheidungsfindung nicht allein auf das rechtlich bindende Planungsverfahren setzen. Vielmehr beauftragte sie die Servicestelle Dialogische Bürgerbeteiligung Baden-Württemberg, in einem informellen sogenannten Scooping-Verfahren sowohl Experten als auch Bürgerinnen und Bürger einzubinden.

Auf Einladung von Ulrich Arndt, dem Chef der Servicestelle, haben sich vor Kurzem zunächst rund 60 Expertinnen und Experten in Stuttgart getroffen. Dabei ging es nicht um einen oder mehrere konkrete Vorschläge für neue Standorte. Vielmehr stand ausnahmslos die Frage im Mittelpunkt, welche Kriterien bei der Suche berücksichtigt werden müssen.

Dazu hatte die Servicestelle eine vorläufige Themensammlung erarbeitet. Aufgabe des Gremiums war es, diese Liste um weitere zu beachtende Kriterien zu ergänzen. Schon dabei wurde deutlich, wie hochkomplex die Fragestellung ist. Schließlich müssen die Flächengröße, die Aspekte Verkehr, Lärm und Emissionen, die Belastung der angrenzenden Kommunen und Zielkonflikte zwischen Bodenschutz, Landwirtschaft und Umwelt- und Naturschutz ebenso gegeneinander abgewogen werden wie die Frage, ob ein zentraler Standort sinnvoller ist als zwei dezentrale. Auch die Frage, inwieweit es in Zukunft gelingen kann, Bodenaushub zu vermeiden und mineralische Abfälle zu verwerten, werden eine wichtige Rolle spielen.

Nachdem die Experten gehört wurden, sind nun die Bürgerinnen und Bürger an der Reihe. Noch im Mai soll die überarbeitete Themenlandkarte über das Beteiligungsportal Baden-Württemberg veröffentlicht werden. Dann erhalten die Menschen im Land die Gelegenheit, diese weiter zu ergänzen.

Die Themenkarte dient schließlich als Diskussionsgrundlage für die Bürgerforen, die im dritten und vierten Quartal 2024 stattfinden sollen. Dort können sich zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger die Zeit nehmen, die Streitpunkte zu erörtern. Ziel der Servicestelle ist es, dass in den Bürgerforen das gesamte Meinungsspektrum vertreten ist. Das Ergebnis der Diskussionen fließt in den Abschlussbericht des Bürgerforums ein, das die Regionalversammlung in ihre Überlegungen einbeziehen will. Letztlich sind es aber die Regionalräte, die die politische Entscheidung treffen

Vehement weist Ulrich Arndt den immer wieder zu hörenden Vorwurf zurück, das dialogische Bürgerbeteiligungsverfahren verlängere den ohnehin schon ausufernden Entscheidungsprozess weiter. „Genau das Gegenteil ist doch der Fall: Wir treten an, um ganz unabhängig vom formalen Verfahren sich abzeichnende Konflikte in einem informellen Verfahren anzusprechen und wenn möglich zu bewältigen“, betonte Arndt. Das sei ein wichtiger Beitrag zur Beschleunigung, denn: „Solange diese Konflikte nicht ausgeräumt sind, kommen wir auf keinen grünen Zweig.“

Dabei gelte es zu erkennen und zu berücksichtigen, dass die wahre und durchaus verständliche Motivation der Projektgegner oft mit vorgeschobenen Argumenten verschleiert würden. Im Fall etwa einer Erddeponie befalle viele Anwohner das Gefühl, dass sie für die Region ein Sonderopfer bringen sollen. „Dahinter steht eine tiefe Verletzung und die Frage: Warum sollen wir die Last der Region tragen?“, so Arndt.

Das nun angelaufene Verfahren biete die Möglichkeit, wirklich alle Aspekte für und gegen einen neuen Deponiestandort gegeneinander abzuwiegen und somit ein größeres Verständnis für die zu treffende Entscheidung zu schaffen. Ein Vorteil der Bürgerforen mit ihren ausgelosten Teilnehmern sei, dass nicht nur diejenigen, die besonders laut für ihre Positionen kämpften, gehört werden, sondern dass auch die leisere oder sonst sogar schweigende Mehrheit ein Gewicht und eine Stimme in dem nun anstehenden Beteiligungsprozess erhalte.

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Erstellt:
2. Mai 2024, 22:04 Uhr
Aktualisiert:
3. Mai 2024, 21:50 Uhr

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