Humboldt Forum Berlin: Raubkunst neu sehen

Mit der VR-Brille in Hitlers Kunstkeller

Eitle mächtige Männer haben die Kunst immer auch zur Machtdemonstration missbraucht. Ihre diversen Raubzüge kann man jetzt in Berlin ganz neu erleben.

Eine Frau schaut sich die Ausstellung „Kunst als Beute“ mit VR-Brille im Humboldt-Forum an.

© © 2020 by Alexander Schippel

Eine Frau schaut sich die Ausstellung „Kunst als Beute“ mit VR-Brille im Humboldt-Forum an.

Von Adrienne Braun

Es kann einem schon schwindlig werden. Man steht schließlich nicht alle Tage auf dem Brandenburger Tor und lässt den Blick schweifen über die Stadt und die Berliner, die sich in Scharen auf den Weg gemacht haben. Sie winken und begrüßen einen Mann, der das Bad in der Masse genossen haben wird: Napoleon.

Es ist ein denkwürdiger Augenblick, den man nun noch einmal nacherleben kann im Humboldt-Forum in Berlin. Denn in der neuen Ausstellung „Kunst als Beute“ kann man nicht nur mit einer VR-Brille auf der Nase in die Vergangenheit reisen, sondern bekommt dabei auch neue Einblicke in ein Thema, das in den vergangenen Jahren doch eigentlich schon viel diskutiert wurde: Raubkunst.

Aber nicht nur die Deutschen eigneten sich im Lauf der Geschichte immer wieder fremdes Kulturgut an, sondern verloren im Gegenzug auch selbst manches Werk. So ließ Napoleon 1807 die berühmte Quadriga auf dem Brandenburger Tor kurzerhand abmontieren und nach Paris schaffen.

Wer gesiegt hat, will das auch durch Kunstraub sichtbar machen

Hatte er das nötig? Der Blick in die Geschichte zeigt immer wieder, dass den Mächtigen Siege allein nicht genügten, sondern auch symbolische Machtdemonstrationen eine große Rolle im Kräftemessen spielten und Kunst hierbei eine besondere Rolle einnimmt. Deshalb führte auch Napoleon nicht nur Kriege, sondern raffte, was an Kunstschätzen zu kriegen war und stellte das Raubgut eitel in seinem Musée Napoleon in Paris aus. Das Thema Raubkunst ist also vielschichtiger, als es bisher meist diskutiert wird. So zeigt die Ausstellung, dass Täter durchaus auch Opfer sein konnten – und vice versa. Deshalb stehen in Berliner Museen heute auch allerhand kostbare Möbel aus französischen Schlössern.

Die Niederlande schert es heute allerdings nicht, dass Napoleon hier an die siebzig Gemälde stahl – schließlich hat man noch immer genug Schätze in seinen Museen hängen. Die kurze französische Ära um 1800 wird in den Niederlanden nicht negativ betrachtet, da es weder Rassismus noch Ausbeutung im großen Stil gab. Das macht den Unterschied – denn anders erleben es zum Bespiel der Schriftsteller Victor Ehikhamenor und viele Bewohner im heutigen Nigeria. Denn während des Kolonialismus wurden im Königreich Benin nicht nur die wertvollen Benin-Bronzen gestohlen, sondern auch ganze Archive und Bibliotheken – und damit auch Erinnerungen, Geschichten und „unser kulturelles Erbe“, wie Ehikhamenor in der Ausstellung zitiert wird.

Sri Lanka musste sechzig Jahre betteln – jetzt ist ihre Kanone wieder in Kandy

Die mit Edelsteinen besetzte Kanone von Kandy wurde im vergangenen Jahr an Sri Lanka zurückgegeben, das sechzig Jahre lang immer wieder darum gebeten hatte. Im Rijksmuseum in Amsterdam ist sie trotzdem noch existent – allerdings nur noch als 3-D-Modell, das auf einem Stick gespeichert ist. Wer weiß, ob die virtuellen Möglichkeiten helfen, versöhnliche Lösungen bei Rückgabe-Prozessen zu finden, so, wie in der Ausstellung nun auch Reproduktionen der Benin-Bronzen gezeigt werden.

Im Humboldt-Forum kann man auch mit der VR-Brille an einen düsteren Ort reisen: in das Salzbergwerk Altaussee. Hier sammelte Hitler allerhand Raubgut, das in das geplante „Führermuseum“ in Linz kommen sollte. Darunter befand sich auch ein Selbstporträt von Rembrandt, das die Deutschen im Rijksmuseum beschlagnahmt hatten. Bei Kriegsende wollten die Nazis die Bestände kurzerhand vernichten – in der kurzen virtuellen Reise hört man die Minenarbeiter sprechen, die das mutig verhinderten.

Das innovative Ausstellungsformat kommt aus dem Ausland

Allzu informativ sind die VR-Angebote zwar nicht, und man muss sich die Hintergründe auch in dieser Ausstellung ganz traditionell anlesen – und doch gibt „Kunst als Beute“ eine Ahnung davon, wie die innovativen Ausstellungskonzepte von morgen ausschauen könnten. Es ist bezeichnend, dass die Schau vom Mauritshuis in Den Haag initiiert wurde. Deutsche Museen sind beim Experimentieren mit neuen Vermittlungsformaten im Vergleich zu den angelsächsischen und skandinavischen Häusern eher zurückhaltend.

Zugegeben, im Vergleich zu den derzeit beliebten immersiven Ausstellungen und der Filmindustrie muten die virtuellen Reisen recht harmlos an, aber wann kann man der Quadriga schon so nah kommen? Übrigens ist das Berliner Wahrzeichen, zu dem ein jeder Hauptstadt-Tourist pilgert, keineswegs mehr das originale Ensemble, das Ende des 18. Jahrhunderts nach den Plänen von Johann Gottfried Schadow gegossen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Alliierten den Deutschen dieses Symbol des Sieges nicht mehr gewähren und schmolzen die Siegesgöttin mit ihrem Streitwagen kurzerhand ein. So schlägt die Geschichte immer wieder manch kuriosen Haken: Denn wer weiß, hätten die Franzosen die Quadriga nicht nach wenigen Jahren wieder zurückgegeben, würde heute vielleicht noch das Original existieren.

Humboldt Forum – weiter in der Kritik

SpendengelderEs gibt erneut Kritik am Berliner Humboldt – diesmal an neuen Figuren an der Kuppel. Die 1,2 Millionen Euro für acht alttestamentarische Propheten wurden über Spenden durch den Förderverein getragen. Dabei handle es sich um „rechtslastige Kreise“, kritisieren die Wissenschaftler Philipp Oswalt und Jürgen Zimmerer, die zu einer „bewussten fundamental-christlichen Unterwanderung des Stadtschlosses“ beitragen würden. Von Beginn des Wiederaufbaus des Berliner Schlosses an gab es Kritik, dass Spender mit einer anti-modernen und anti-demokratischen Gesinnung Einfluss nähmen.

Info Ausstellung bis 26. Januar 2025, geöffnet täglich außer dienstags von 10.30 bis 18.30 Uhr. adr

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Erstellt:
15. April 2024, 13:56 Uhr
Aktualisiert:
16. April 2024, 12:10 Uhr

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