Schwangerschaftsabbruch

§218 – Grüne Jugend enttäuscht von Parteiführung

Seit Jahren fordern die Grünen, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren. Doch nun sieht es so aus, als schrecke die Ampelkoalition vor diesem Schritt zurück. Im Interview fordert die Sprecherin der Grünen Jugend ihre Partei zur Initiative auf.

Die Grüne Jugend ist von ihrer Partei enttäuscht.

© Kay Nietfeld/dpa/Kay Nietfeld

Die Grüne Jugend ist von ihrer Partei enttäuscht.

Von Rebekka Wiese

Sollen Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland legal werden? Dazu rät die Fachkommission, die die Bundesregierung eingesetzt hat, um über diese Frage zu beraten. Sie empfiehlt, den Eingriff in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig zu erlauben. Politisch plant die Ampelkoalition dazu allerdings keinen Vorstoß – zum Ärger der Grünen Jugend. Was sie von ihrer Partei erwartet, erklärt Svenja Appuhn, Bundessprecherin der Jugendorganisation der Grünen.

Frau Appuhn, aktuell sieht es nicht so aus, als würde die Ampelkoalition das Thema Schwangerschaftsabbrüche noch antasten – obwohl die von ihr beauftragte Fachkommission dazu rät. Sie fordern schon lange eine Streichung des Paragrafen 218. Sind Sie jetzt enttäuscht?

Die Empfehlung der Kommission ist eine historische Chance – besonders für eine Koalition, die für sich in Anspruch nimmt, für gesellschaftlichen Fortschritt zu stehen. Deshalb erwarte ich von der Regierung, dass sie diese Chance nutzt. Es ärgert mich, wenn ich jetzt höre, dass man erstmal einen breiten gesellschaftlichen Diskurs zu dem Thema führen müsse. Den führen wir Frauen seit 150 Jahren.

Auch Ihre Partei will die gesellschaftliche Debatte abwarten.

Die Grünen sind seit ihrer Gründung als feministische Partei angetreten. Das müssen sie jetzt auch einlösen und im Parlament einen Gesetzesprozess anstoßen, anstatt einfach nur abzuwarten. Wenn man so einen Vorstoß noch in dieser Legislatur umsetzen will, sollte das Parlament noch bis zur Sommerpause etwas vorlegen, an dem man dann arbeiten kann.

Glauben Sie, dass das noch passiert?

Ich höre, dass es Bewegung gibt – in allen Fraktionen der Ampel. Diese Stimmen müssen sich jetzt zusammentun. Letztlich muss man sich doch klar machen, worum es hier geht: um Frauen, die aufgrund einer ungewollten Schwangerschaft in absolute Notlagen geraten. Niemand bricht unbedacht eine Schwangerschaft ab. Die aktuelle Rechtslage ermöglicht den Eingriff zwar, aber sie gängelt alle, die daran beteiligt sind.

In einer Umfrage des ZDF vom vergangenen Jahr sprach sich mehr als die Hälfte der Befragten dafür aus, Paragraf 218 nicht zu streichen. Ist es nicht richtig, dass die Ampelkoalition ein derzeit polarisiertes Thema lieber nicht antasten will?

Es gibt aktuellere Umfragen, die ein anderes Bild zeigen. Das Familienministerium hat erst kürzlich eine durchgeführt. Darin sagten mehr als 80 Prozent, dass sie es für falsch halten, dass ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig ist, wenn er nach einer Beratung durchgeführt wird. In jedem Fall fände ich es fatal, wenn man in vorauseilendem Gehorsam das tut, was Abtreibungsgegner erreichen wollen: die Finger von dem Thema lassen. Im Übrigen wird oft so getan, als sei die aktuelle Regelung ein guter und breit getragener Kompromiss. Die Wahrheit ist, dass dieser Kompromiss nur für diejenigen funktioniert, die noch nie mit der Sorge einer ungewollten Schwangerschaft konfrontiert waren.

Sie studieren Medizin. Wie beeinflusst das Ihren Blick auf die Debatte?

Ich habe erlebt, wie tabuisiert das Thema ist. Ich habe mir vor einigen Jahren mal mit einer Gruppe an meiner Uni angeschaut, wie Schwangerschaftsabbrüche in der Lehre vorkommen. Ich erinnere mich an eine Vorlesung, in der es eine Stunde lang um den rechtlichen Rahmen ging – aber nicht darum, wie der Eingriff abläuft. Die Dozentin konnte uns nicht einmal sagen, welche Medikamente man dafür nutzt. Ich habe mich lange nicht getraut, mich öffentlich zu Abtreibungen zu äußern, weil ich befürchtet habe, dann mal keinen Job zu bekommen. Es gibt noch immer eine krasse Stigmatisierung.

Zur Person

Grüne JugendSvenja Appuhn, Jahrgang 1997, ist seit Oktober 2023 gemeinsam mit Katharina Stolla Bundessprecherin der Jugendorganisation der Grünen. Appuhn stammt aus Hessen und studiert Medizin. Im vergangenen Herbst wurde sie mit der Verdienstmedaille des Bundesverdienstkreuzes ausgezeichnet.

Paragraf 218Abbrüche sind in Deutschland rechtswidrig, bleiben aber unter bestimmten Bedingungen straffrei, wenn sie in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft vorgenommen werden. Das regelt Paragraf 218 im Strafgesetzbuch.

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Erstellt:
27. April 2024, 00:12 Uhr

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