DB Infra-Go

Bahn: Für den Bau-Marathon fehlt noch viel Geld

Die neue Infrastrukturgesellschaft will allein 2024 für mehr als 16 Milliarden Euro sanierungsbedürftige Gleise und Bahnhöfe modernisieren. Doch dringende Neu- und Ausbauprojekte drohen wegen der Finanznot erneut verschoben zu werden.

Bei der Bahn gibt es einen massiven Sanierungs- und Investitionsstau.

© dpa/Stefan Sauer

Bei der Bahn gibt es einen massiven Sanierungs- und Investitionsstau.

Von Thomas Wüpper

Über Jahrzehnte hat Deutschland sein wertvolles Schienennetz vernachlässigt. Der Sanierungsstau wird inzwischen auf mindestens 90 Milliarden Euro veranschlagt, weil der Staat und die seit 1994 zuständige Deutsche Bahn AG lange Zeit viel zu wenig investiert haben, um das 33 400 Kilometer lange Schienennetz und die 5400 Stationen gut zu erhalten. Doch nun soll sich das erstmals ändern, dafür will der Staatskonzern mit seiner neuen gemeinwohlorientierten „DB InfraGO AG“ sorgen.

Deren Chef Philipp Nagl verspricht: „Zum ersten Mal seit vielen Jahren wird es uns 2024 gelingen, die Überalterung der Eisenbahninfrastruktur zu stoppen.“ Dafür sollen rund 16,4 Milliarden Euro vom Konzern, Bund und Ländern in die teils längst überfällige Sanierung von Gleisen, Bahnhöfen und technischen Anlagen fließen. Konkret sollen über 2000 Kilometer Gleise, 150 Brücken und 1000 Bahnhöfe erweitert, modernisiert und erneuert werden.

Größtes Projekt ist die Modernisierung der meistbefahrenen ICE-Piste, der Riedbahn zwischen Frankfurt/Main – Mannheim, die dazu ab 15. Juli bis voraussichtlich Jahresende komplett gesperrt werden soll. Allein für diese Sanierung sind 1,4 Milliarden Euro veranschlagt. Bis 2030 sollen 40 Korridore mit 4000 km Länge generalsaniert werden; jedes einzelne Projekt wird laut Nagl dreistellige Millionensummen kosten. Für Instandhaltung und Ausbau will Infra-Go dieses Jahr 5500 zusätzliche Stellen schaffen.

64 000 Mitarbeiter

Die „DB InfraGO AG“ ist zum Jahreswechsel aus der Zusammenlegung der DB Netz AG und der DB Station & Service AG entstanden. Im Koalitionsvertrag vereinbarte die Ampelregierung von SPD, Grünen und FDP, eine gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft zu schaffen, die aber komplett unter dem Dach der DB AG bleiben soll. Mit 64 000 Mitarbeitern betreibt die Infra-Go das größte Schienennetz Europas, allerdings weder kostendeckend noch besonders pünktlich. 2023 machten der Fahrweg 1,1 Milliarden Euro Verluste vor Steuern und Zinsen, die Personenbahnhöfe weitere 150 Millionen. Beim DB-Konzern insgesamt stand unterm Strich ein Minus von fast 2,4 Milliarden Euro.

Neben der Generalsanierung des Kernnetzes für den Fernverkehr gibt es auch große Pläne, das teils überlastete Schienennetz mit Neu- und Ausbauprojekten zu erweitern, um die umweltschonende Bahn mit einem Deutschland-Takt attraktiver und zuverlässiger zu machen. Kritiker sehen allerdings die große Gefahr, dass die Verkehrswende hin zu Schiene an fehlender und unzuverlässiger Finanzierung scheitert. Mahnende Stimmen kommen aus der Baubranche, ohne deren Fachleute die Investitionspläne kaum zu bewältigen sind.

So warnt aktuell die Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen vor einem massiven Vertrauensverlust, falls die von der Regierung versprochenen zusätzlichen 45 Milliarden Euro gekürzt werden, die für Bahnprojekte von 2024 bis 2027 bereitgestellt werden sollten. Konkret fehlten bisher 17 Milliarden Euro, habe die Infra-Go gerade den Bauverbänden mitgeteilt, so BVMB-Geschäftsführer Michael Gilka. Im Brief, der unserer Redaktion vorliegt, heißt es zudem, dass deshalb die Vorschau der Auftragsvergaben, die der Baubranche bis spätestens Ende März versprochen war, erst im Herbst kommen soll.

„Völlig unzumutbar“

Solche Abläufe seien „völlig unzumutbar“, kritisiert Gilka. Die Politik erwarte, dass die Branche Kapazitäten aufbaue, um riesigen Sanierungsstau abzuarbeiten. Doch dann zeige sich rasch, dass weiterhin ein „verlässliches und umsetzbares Finanz- und Projektkorsett“ fehle. Seriöse Verkehrspolitik gehe anders und so werde die Regierung das Vertrauen der Unternehmen nicht gewinnen. Dem Schreiben der Infra-Go entnehme man jedenfalls die „klare Botschaft“, dass Bahnprojekte jetzt erneut auf die lange Bank geschoben werden sollen.

Ein Sprecher von Verkehrsminister Volker Wissing weist auf Anfrage die Vorwürfe zurück: „Wir investieren Rekordsummen in die Bahn und allein bis 2027 rund 28 Milliarden Euro zusätzlich.“ Ziel sei unverändert, die bis 2030 veranschlagten zusätzlichen 86 Milliarden Euro für den Abbau des Sanierungsstaus zu sichern. Ein großer Teil davon sollte aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen, die damit verbundenen Finanzierungstricks wurden allerdings vom höchsten Gericht untersagt.

Die Ampelregierung will die Modernisierung auch durch die Erhöhung des DB-Eigenkapitals um bis zu 20 Milliarden Euro finanzieren. Der Staatskonzern könnte so weitere Großkredite aufnehmen, ohne seine Kreditwürdigkeit angesichts von bereits 34 Milliarden Euro Nettoschulden massiv zu gefährden. Unklar ist, welche Neu- und Ausbauprojekte sowie Sanierungen mangels Geld verschoben werden. Die Regierung und die DB wollen bis Sommer viele offene Fragen klären. Wissing plädiert dafür, künftig auch Infrastrukturfonds zu nutzen. Der Umbau des Finanzierungssystems brauche aber Zeit, heißt es im Ministerium.

Die zahlreichen DB-Wettbewerber auf der Schiene begrüßen zwar, dass die Regierung endlich den Sanierungsstau verringern will, vermissen aber Transparenz und echte Strukturreformen. Weiterhin bestimme vor allem der DB-Konzern nach seinen Interessen, welche Modernisierungen angepackt werden. „Es sind vor allem der Bund als Gesellschafter und besonders das zuständige Verkehrsministerium, die keine eigene Vorstellung entwickeln, was aus der Schiene werden soll“, betont Matthias Stoffregen vom Verband Mofair. So bleibe auch unklar, was „Gemeinwohlorientierung“ bei der Bahn konkret bedeute.

Zum Artikel

Erstellt:
29. April 2024, 14:50 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen