FDP-Parteitag

Der etwas andere Auftritt des Christian Lindner – und was dahinter steckt

„Guckst du scheiße, fährst du scheiße“, habe ihr Motorradtrainer immer gesagt, erklärt die FDP-Spitzenkandidatin bei der Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, beim Parteitag in Berlin. So kennt man sie. Ein bisschen anders als sonst häufig tritt Parteichef Christian Lindner auf. Mit guten Gründen.

Christian Lindner beim FDP-Parteitag in Berlin.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Christian Lindner beim FDP-Parteitag in Berlin.

Von Tobias Peter

Christian Lindner kann zuspitzen – gnadenlos. Er kann den politischen Mitbewerber mit ein, zwei polemischen Sätzen an die Wand drücken. Doch er macht an diesem Samstag bemerkenswert wenig Gebrauch davon.

Der 45-Jährige hat sich auf dem Parteitag der FDP in Berlin für einen Auftritt entschieden, der betont sachlich wirken soll. Wochenlang hat der Parteivorsitzende und Bundesfinanzminister, unter Ausschöpfung seines gesamten politischen und rhetorischen Talents, in Überlautstärke für eine „Wirtschaftswende“ nach Vorstellungen der FDP getrommelt. Jetzt tritt er streckenweise eher im Stil eines Beraters auf, der – gern auch mit Unterstützung von Charts und Daten – darstellt, was er für notwendig hält.

Ruf nach einer gesellschaftlichen Debatte

Die Botschaft Lindners ist eindeutig: Es müsse sich dringend etwas ändern, damit es in Deutschland wieder mehr Wirtschaftswachstum gebe. Er hat auch weiterhin klare Vorstellungen davon, wie das gehen könnte. Darunter sind viele Ideen, die in der Ampelkoalition nicht im Mindesten einigungsfähig sind, etwa die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, von der vor allem die höchsten Einkommen profitieren würden. Doch auf dem Parteitag ruft Lindner ruft ausdrücklich zu einer breiten Debatte unter den politischen Parteien, aber auch mit Arbeitgebern und Gewerkschaften auf.

„Die Wirtschaftswende ist nicht ein Projekt der Freien Demokraten“, sagt Lindner. Die Wirtschaftswende müsse ein Projekt des gesamten Landes sein. „Wir sind offen dafür, zu diskutieren. Wir sind offen für andere Vorschläge“, sagt der FDP-Vorsitzende. „Für eines sind wir nicht offen: dass sich gar nichts ändert. Denn das wäre unverantwortlich.“ Der Finanzminister spricht viel über die Notwendigkeit von Bürokratieabbau: ein Thema, bei dem SPD-Chef Lars Klingbeil bereits angeboten hat, sich in der Ampel zusammenzusetzen und gemeinsam „den großen Wurf“ zu wagen.

Zuvor hat Lindner auf den Bildschirmen an der Seite der Bühne eine Graphik einblenden lassen. Sie zeigt, so sagt es Lindner, wie Deutschland im internationalen Standortwettbewerb von Platz 6 im Jahr 2014 auf Platz 22 im Jahr 2022 gefallen sei. Lindner spricht darüber, wie es Startup-Unternehmen in Deutschland oft schwer gemacht werde – und wie Familienunternehmen darüber nachdächten, ob die Investitionsbedingungen anderswo nicht besser seien als in Deutschland. In den nächsten Jahren müsse es der Ehrgeiz Deutschlands sein, wieder in Weltspitze zurückzukehren, sagt der FDP-Chef. „Jetzt kann die Regie das deprimierende Bild wieder ausblenden“, sagt er mit Blick auf die Graphik hinter ihm schließlich.

Die Erwartung in der Partei an Lindner

Lindner erneuert seine Kritik am Bürgergeld und an der abschlagsfreien Rente ab 63 zwar. Er rückt dies in seiner Rede aber nicht nach vorn. Beim Thema Kindergrundsicherung, bei dem die SPD vieles von der FDP-Kritik an Familienministerin Lisa Paus (Grüne) teilt, ist er zupackender. Die Kindergrundsicherung müsse die vereinbarten Bedingungen erfüllen. Das bedeute unter anderem, sie müsse unbürokratisch sein. Wenn dies nicht gelinge, so betont es der Bundesfinanzminister, „dann ist hier unser Angebot: Wäre es nicht besser, diese Milliarden einzusetzen in mehr und qualitätsvolle Kinderbetreuung?“ Das ist deutlich gegenüber Paus. Aber es klingt nicht nach jemandem, der darüber nachdenkt, die Regierung zu verlassen.

Der FDP-Chef – das spiegelt sich in Lindners Auftritt – will nach den Wochen der öffentlichen Offensive nun ausloten, ob sich der Weg für gemeinsame Beschlüsse in der Koalition ebnen lässt. Von den Delegierten erhält er stehenden Applaus und Rückendeckung. Sie sind froh, dass Lindner die Partei in den vergangenen Wochen auf Profilierungskurs geführt hat. Es ist aber auch zu spüren: Jetzt gibt es eine Erwartung in der Partei, dass etwas daraus folgt.

Wenn es gut für Lindner läuft, setzen die Liberalen den einen oder anderen Punkt durch, der ihnen gutgeschrieben wird. Wenn keine vorzeigbaren Ergebnisse zu erzielen sind, hat Lindner keine guten Optionen: Ein vorzeitiges Ende der Ampel – über das zuletzt vermehrt spekuliert worden ist – wäre für die FDP mit größten Risiken verbunden. Die Liberalen haben, anders als beim Ende der sozialliberalen Koalition 1982, keine andere Machtoption im Bundestag. Bei einer Neuwahl könnte der Rauswurf aus dem Parlament drohen. Lindner kann einen Bruch der Ampel nicht wollen. Ausgeschlossen ist er aber nicht – auch und gerade, weil die Haushaltsverhandlungen schwierig werden.

Die Geschichte mit dem Motorradtrainer

Zunächst gilt es für die FDP aber ohnehin, sich bei der Europawahl am 9. Juni zu behaupten. Das wird angesichts des Stimmungstiefs, in dem sich die FDP bundesweit befindet, nicht leicht. FDP-Spitzenkandidaten Marie-Agnes Strack-Zimmermann steht in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem für ein Thema: für eine möglichst konsequente Unterstützung der Ukraine mit Geld und Waffen. Nicht alle potenziellen FDP-Wähler teilen ihre Haltung in dieser Schärfe. Beim Parteitag tut Strack-Zimmermann es nun Lindner gleich und stellt das Thema Wirtschaftswende nach vorn. Der Fokus, wofür die FDP zuallererst steht, soll nach außen unmissverständlich deutlich werden.

Strack-Zimmermann, eigentlich eine sehr emotionale Rednerin, passt sich dabei Lindners diesmal eher sachlich anmutenden Redestil sogar ein Stück weit an. Als es am Ende aber darum geht, die Partei für den Wahlkampf noch einmal aufzurütteln, greift sie dann doch auf die ihr eigene, nun ja, unverwechselbare Ausdrucksweise zurück.

Die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl zitiert ihren Motorradtrainer, als sie die Delegierten zur Zuversicht aufruft. „Guckst du scheiße, fährst du scheiße“, habe der immer gesagt. Der Saal johlt. Ein bisschen Überlautstärke, das wünschen die Delegierten sich dann doch auf ihrem Parteitag.

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Erstellt:
27. April 2024, 17:54 Uhr
Aktualisiert:
28. April 2024, 12:58 Uhr

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