Der große Gewinner unter vielen Siegern

Maximilian Mittelstädt vom VfB Stuttgart überzeugt bei seinen ersten beiden Länderspielen. Nun verkörpert der Linksverteidiger plötzlich den positiven Wandel der deutschen Nationalmanschaft.

Hoch hinaus geht es zurzeit für Maximilian Mittelstädt – hier jubelt der VfB-Profi mit Joshua Kimmich. 
         
           
            Foto: dpa/Tom Weller

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Hoch hinaus geht es zurzeit für Maximilian Mittelstädt – hier jubelt der VfB-Profi mit Joshua Kimmich. Foto: dpa/Tom Weller

Von Carlos Ubina

Frankfurt - Die Stadionregie in Frankfurt ist vorbereitet gewesen, um das Hochgefühl musikalisch zu begleiten. „Don’t stop me now“, schallte aus den Lautsprechern. Die Stimme des verstorbenen Freddy Mercury zum energiegeladenen Rhythmus der Rockband Queen – das passte zur Stimmung der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf dem Rasen und der glückseligen Fans auf den Rängen. Die EM kann losgehen, lautet die beschwingte Botschaft.

Nach einem tristen November hat sich der Blick auf das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann im März verändert. Nach den Siegen gegen die Niederlande (2:1) und zuvor Frankreich (2:0) steht da wieder eine Einheit, der viel zugetraut wird – und die sich selbst viel zutraut. Und nein, die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) will sich 80 Tage vor dem ersten Anpfiff bei der Europameisterschaft im eigenen Land – ganz nach dem Hit der späten 70er Jahre – nicht mehr bremsen lassen. Sie will aber auch nicht durch die Euphorie, die gerade aufkommt, die Bodenhaftung verlieren.

Vor wenigen Tagen war ja noch vom möglichen sportlichen Ruin die Rede bei der Heim-EM, jetzt greift die Reform des Bundestrainers auf allen Ebenen: personell, spielerisch, emotional. Nagelsmann steht als Gewinner da – und ein von ihm berufener Neuling verkörpert diesen Mut zum Risiko, den der 36-Jährige in einer schwierigen Phase gezeigt hat: Maximilian Mittelstädt. Der Linksverteidiger vom VfB Stuttgart kam ohne internationale Erfahrung in den DFB-Kreis. Zwei Einsätze und ein Tor später scheint es, als sei der 27-Jährige bereits ein unverzichtbarer Teil der Nationalelf. Weil er kämpft, weil er rennt, weil er flankt, weil er schießt – und weil er demütig bleibt.

„Ich bin erst einmal froh, wenn ich für die EM nominiert werde“, sagt Mittelstädt. Denn noch vor Kurzem war der Gedanke daran weit weg. Er gehörte vor einem Jahr zum Absteiger Hertha BSC, war bei seinem Heimatverein nicht mehr als ein Mitläufer. Dann der Wechsel zum VfB – und der Wandel zur Stammkraft eines überraschenden Champions-League-Anwärters in der Bundesliga.

Jetzt rückt Mittelstädt bundesweit in den Blickpunkt und meint: „Ohne die Entwicklung in letzter Zeit wäre es vielleicht diesmal nicht so gelaufen. Ich habe genug Selbstvertrauen getankt, um unglückliche Situationen und Fehler abzuschütteln.“ Nach einem unpräzisen Pass von ihm gingen die Niederländer durch Joey Veerman in Führung (4.). Durch einen präzisen Schuss von ihm glichen die Deutschen aus (11.), ehe Niclas Füllkrug spät der Siegtreffer gelang (85.).

Innerhalb von wenigen Minuten durchlebte Mittelstädt dabei die Extreme – und bewältigte sie, da er voller Überzeugung an die eigenen Fähigkeiten glaubt. Wie die Nationalmannschaft nun, die eine feste Form annimmt. Dabei zirkuliert der Ball viel um Rückkehrer Toni Kroos, und die Mitspieler rotieren um den Fixpunkt von Real Madrid. Es wirkt, als sei der 34-Jährige nie weggewesen. So selbstverständlich orientieren sich die Mitspieler nach fast drei Jahren DFB-Abstinenz am Mittelfeldstrategen.

Mittelstädt und Kroos geben der Mannschaft neuen Schwung und alte Sicherheit – genau, was sich Nagelsmann durch seinen Personalmix erhofft hat. In einem taktisch herausfordernden Spiel bewies das DFB-Team gegen die Elftal von Bondscoach Ronald Koeman Ballsicherheit, Geduld und Stabilität. „Was wir herausragend gut gemacht haben, war das tiefe Verteidigen, mit einer unglaublichen Aktivität“, sagt der Bundestrainer, „wir hatten viele Ballgewinne. Ich bin kein riesiger Statistikfan, aber von den Zahlen war es verdient am Ende. Das ist zum Analysieren ein herausragend geiles Spiel.“

Allerdings bleiben die Erkenntnisse des Videostudiums erst einmal im Trainerteam. Die Nationalspieler zog es nach dem zehntägigen Lehrgang rund um den DFB-Campus zunächst zu ihren Familien und danach zu ihren Clubs. „Die Gruppe hat das echt sehr gut gemacht, die Spieler haben ein sehr gutes Verhältnis zueinander, aber auch einen brutalen Ehrgeiz. Schon gegen Frankreich hatten wir ein gutes Gefühl“, sagt Nagelsmann.

Gegen die Niederländer hat sich der Eindruck bestätigt. „Die Mannschaft hat es mir leicht gemacht, mich schnell einzufinden. Deshalb habe ich mich während meiner Rede an das Team bei allen dafür bedankt“, sagt Mittelstädt, der zum Einstand noch nicht im Mannschaftskreis singen musste. Kommt sicher noch, weil er ja dazugehört und sich nach dem gelungenen Debüt in Lyon und der Länderspiel-Torpremiere in Frankfurt wieder den Mühen des Alltags zuwendet.

Der 1. FC Heidenheim kommt am Sonntag (17.30 Uhr) nach Stuttgart. Nach Kylian Mbappé und Ousmane Dembélé in Blau sowie Memphis Depay und Donyell Malen in Orange geht es dann gegen Eren Dinkçi im roten Trikot der Ostalb-Kämpfer. „Da werden ganz andere Attribute gefordert sein. Die Heidenheimer werden uns das Leben sicher schwer machen“, glaubt Mittelstädt, der nach den positiven Erlebnissen beim DFB jedoch mit neuer Leichtigkeit von den beiden Länderspielen zum VfB zurückkehrt.

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Erstellt:
27. März 2024, 23:24 Uhr
Aktualisiert:
28. März 2024, 21:53 Uhr

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