Prozess in Heilbronn

Mutter soll Säugling ermordet haben

Im September wird in einer Wohnanlage in Lauffen ein totes Kind gefunden. Jetzt steht eine 28-jährige Frau vor Gericht. Hatte sie ihre Schwangerschaft verheimlicht?

In dieser Wohnanlage ist im September der tote Säugling gefunden worden.

© 7aktuell.de/ Hessenauer/7aktuell.de | Hessenauer

In dieser Wohnanlage ist im September der tote Säugling gefunden worden.

Von Eberhard Wein

Es ist ein weiter Weg, der vom Haftraum über den Flur in den Heilbronner Gerichtssaal führt. Die Angeklagte geht ihn mit niedergeschlagenen Augen und in Handschellen. Sie trägt eine blaue Hose, eine weiße Bluse, ein fliederfarbenes Jackett. Gegenüber dem Vorsitzenden Richter bestätigt sie mit leiser Stimme ihre Personalien. 28 Jahre sei sie alt, geboren in Heilbronn, letzter Wohnsitz Lauffen am Neckar. Dort soll sie am 12. September 2023 ein Kind geboren haben, eine Tochter, 52 Zentimeter groß. Kurz darauf liegt das Mädchen tot zwischen den Häusern der Wohnanlage. Die Frau habe es im dritten Stockwerk aus dem Fenster geworfen, sagt die Staatsanwältin. Die Anklage lautet auf Mord.

Für die Staatsanwaltschaft liegt der Fall klar. Die Frau, die aus wohlgeordneten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen stamme, habe das Kind entsorgen wollen, weil es ihren Karrierevorstellungen und ihrem Wunsch nach Lebensgenuss im Weg gestanden habe. Ihre Schwangerschaft habe sie deshalb „im Vernichtungswillen“ die ganze Zeit gegenüber ihrem engsten Umfeld verheimlicht. Die Freundinnen und Kollegen wussten nichts davon, die Mutter – eine gelernte Krankenschwester, mit der sie in einem gemeinsamen Haushalt wohnte – schöpfte ebenfalls keinen Verdacht, und auch ihr Lebensgefährte, mit dem sie schon eine gemeinsame Zukunft plante und den die Schwurgerichtskammer als Nebenkläger zugelassen hat, ahnte offenbar nichts.

„Irgendwie passt alles nicht zusammen“

Doch wusste die 28-Jährige möglicherweise selbst nicht einmal von ihrer Schwangerschaft? Es ist tatsächlich diese Frage, die ihr Verteidiger Malte Höch an den kommenden neun Verhandlungstagen erörtern will. Dabei wisse er, dass jede Frau, die selbst schon einmal ein Kind bekommen habe, das nicht glauben könne. Doch angeblich habe seine Mandantin all die Monate keine Kennzeichen gespürt. Selbst die Regelblutung habe nicht ausgesetzt.„Irgendwie passt das ja alles nicht zusammen“, sagt Höch. „So einen Fall habe ich noch nie gehabt.“

Objektiv gesehen gab es wohl tatsächlich keinen Grund, das Neugeborene als unlösbares Problem und großes Unglück zu sehen. Schließlich lebte die Frau mit ihrem Freund offenbar in einer glücklichen Beziehung. Sogar über gemeinsame Kinder soll man schon gesprochen haben. Eine Elternzeit wäre bei ihrem Arbeitgeber, einem großen Konzern in der Region, ebenso problemlos möglich gewesen. Ein Kind hätte ihre Ausbildung zur Diplom-Wirtschaftsjuristin nicht gefährdet. Das angestrebte Masterstudium wäre wohl allenfalls aufgeschoben gewesen.

Wusste die Frau doch von ihrer Schwangerschaft?

Befand sich die Frau also in einer psychischen Ausnahmesituation, als sie – laut Anklage – an jenem Tag im Badezimmer der elterlichen Wohnung das Mädchen zur Welt brachte, in ein Laken wickelte und es dann im Schlafzimmer aus dem Fenster warf? So viel ist für Rechtsanwalt Höch klar: Die dilettantische Ausführung spreche jedenfalls nicht für eine kaltblütige längere Planung. „Es geht hier nicht um einen Freispruch“, sagt er. Nehme man allerdings an, dass seine Mandantin von der plötzlichen Geburt und dem Blutverlust schlicht überfordert gewesen sei, handele es sich rechtlich nicht um Mord, sondern um Totschlag. Unter diesem Vorwurf war die Frau zunächst auch in Untersuchungshaft genommen worden.

Die Staatsanwaltschaft ist sich hingegen inzwischen sicher, dass die Frau spätestens seit Anfang September über ihre Schwangerschaft Bescheid gewusst haben muss. Die Indizien dafür wird sie im Laufe des Prozesses vorlegen. Am Mittwoch blieb es zunächst bei der Anklageverlesung. Am kommenden Montag will dann die Angeklagte ihre Sicht darstellen. Der Ausschluss der Öffentlichkeit werde dafür nicht beantragt, sagt Höch.

Insgesamt 31 Zeugen hat die Schwurgerichtskammer bisher geladen. Auch zwei Sachverständige werden gehört. Fest steht, dass das kleine Mädchen gelebt hat, als es auf die Welt kam und nur Minuten später an stumpfer Gewalt und einem Schädelhirntrauma starb. Der Sturz erfolgte aus 3,70 Meter Höhe. Das Urteil wird am 3. Juli erwartet (Az. 1 Ks 152 Js 30798/23).

Zum Artikel

Erstellt:
17. April 2024, 17:44 Uhr
Aktualisiert:
17. April 2024, 18:15 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen