Wenn man nachts Angst in der Stadt hat

  Nachts kann es in Stuttgart schon mal angsteinflößend sein. Die Stadt Stuttgart hat daher das Projekt Nachtboje ins Leben gerufen. Clubs und Bars sollen Anlaufstelle für Hilfesuchende sein.

Das Nachtboje-Projekt soll in Stuttgart zu einem höheren Sicherheitsgefühl beitragen.

© imago images/Arnulf Hettrich

Das Nachtboje-Projekt soll in Stuttgart zu einem höheren Sicherheitsgefühl beitragen.

Von Petra Xayaphoum

Stuttgart - Die Wasenboje, die diesen Herbst erstmalig als Safe Space, ein sicherer Raum, auf dem Cannstatter Volksfest installiert wurde, erfuhr viel Lob und erfreute sich großer Beliebtheit. Ein ähnliches, aber nicht gleiches Projekt startete die Stadt Stuttgart nun vor Kurzem mit den Nachtbojen, die zu mehr Sicherheit und Sicherheitsgefühl in der nächtlichen Innenstadt führen sollen. Die Bojen, als dezentrale Anlaufstellen für Menschen, die sich nachts bedroht oder unsicher fühlen und Hilfe brauchen, sind in diesem Fall allerdings keine fest installierten Container, sondern teilnehmende Kneipen, Clubs, Kioske und Bars in der Stadt, die sich durch einen neonpinken Sticker am Eingang ausweisen.

An wen wenden, wenn man sich nachts nicht sicher fühlt?

„Wir wollen mit dem Projekt niedrigschwellige Anlaufstellen für Hilfesuchende sichtbar machen, und zwar in einer Infrastruktur, die es schon gibt“, erklärt Annika Wagner von der Abteilung für Chancengleichheit der Stadt Stuttgart, wo das Projekt Nachtboje angesiedelt ist. Denn oft wissen Menschen, die sich zum Beispiel durch eine Gruppe pöbelnder Jugendlicher auf dem Nachhauseweg belästigt fühlen, nicht, wohin sie sich just in dieser Situation wenden sollen: Die Hemmschwelle, direkt die Polizei zu verständigen, ist zu groß, auf die Hilfsbereitschaft fremder Passantinnen und Passanten möchte man sich nicht verlassen, und ob man den Türsteher von der gegenüberliegenden Straßenseite um Hilfe bittet, überlegt man sich aus Angst, nicht ernst genommen zu werden, womöglich auch zweimal.

Der pinke Sticker am Eingang einer teilnehmenden Gastro macht für alle sichtbar klar: Hier setzt man sich für Zivilcourage und Nachtsicherheit ein, hier nimmt man die Anliegen von verängstigen Menschen ernst, hier haben sie einen Rückzugsraum. Hilfesuchende können dort ihr Handy aufladen, ein Taxi rufen, aufs Klo gehen, sich hinsetzen, bekommen Wasser und können durchatmen. „Die Nachtbojen sind dabei Anlaufstellen für jegliche Form der Belästigung und/oder Diskriminierung, nicht nur für sexualisierte Gewalt oder sexuelle Belästigung“, stellte Annika Wagner klar. „Wenn’s mir nachts nicht gut geht, entweder weil mich andere Menschen bedrängen oder ich K.-o.-Tropfen bekommen habe oder mein Handy leer ist, finde ich in den Nachtbojen Menschen, die mir gegenüber offen und vorurteilsfrei begegnen, ohne Konsumzwang.“

Ob Gast oder nicht – es wird einem geholfen

Das heißt: Auch wenn man nicht Gast des Nachtboje-Clubs oder der -Bar ist, kann man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ansprechen und sich an sie wenden. Das gilt auch für Clubs wie die Schräglage, die eigentlich Eintritt verlangen. „Wenn’s einem nicht gut geht oder man Hilfe braucht, muss man kein Gast bei uns sein“,  stellt Ersin Fidan, Betriebsleiter des teilnehmenden Schräglage-Clubs klar. „Das war aber schon immer so: Wem es schlecht ging, der bekam ein Wasser. Und wenn jemand seine Freundin oder seinen Freund im Club suchen wollte oder schnell aufs Klo musste, war es noch nie ein Problem, kurz reinzukommen.“

Der ehemalige Schräglage-Türsteher arbeitet schon seit mehr als 15 Jahren im Stuttgarter Nachtleben. Seiner Meinung nach hat sich die Nachtsicherheit in den letzten Jahren durchaus verschlechtert: „Es sind immer mehr größere Männergruppen unterwegs und der Alkohol- und Drogenkonsum steigt.“ Für ihn ein Grund mehr, gegenseitig aufeinander achtzugeben. Ob Gast oder nicht, ist ihm dabei egal. „Für mich ist das normal. Ich weiß aber auch aus eigener Erfahrung, dass es Leute gibt, die es nicht juckt, ob’s jemandem – sei’s im Club oder auf der Straße – schlecht geht“, berichtet er. „Deswegen ist es mir auch sehr wichtig, die Message nach außen zu tragen und für alle sichtbar zu kommunizieren, dass man in der Schräglage Hilfe bekommt.“ Abseits des Nachtboje-Projekts ist der Stuttgarter Hip-Hop-Club auch Teil der von der Koordinierungsstelle Nachtleben ins Leben gerufenen Awareness-Kampagne „we are aware“ und hat ein eigenes Awareness-Team am Start. „Die meisten Vorfälle passieren nachts, vor allem am Wochenende und auch vor Feiertagen, wenn Menschen in der Stadt unterwegs sind“, sagt Annika Wagner. Sollten bei den Nachtbojen tatsächlich Vorfälle geschildert werden, die Hilfsleistungen über das niedrigschwellige Angebot hinaus bedürfen (psychologische Betreuung zum Beispiel), werden die Hilfesuchenden an weitere Hilfsangebote und Institutionen verwiesen, die denjenigen mit geschultem Fachpersonal zur Seite stehen. Via ausgehändigtem Flyer oder direkt auf der Webseite ist eine Übersicht dieser zu finden.

Initiiert wurde das Ganze übrigens mithilfe der Koordinierungsstelle Nachtleben und des Popbüros Region Stuttgart. Der Grundstein wurde bei einem Runden Tisch mit unterschiedlichsten Akteurinnen und Akteuren von der mobilen Jugendarbeit bis hin zur Polizei gelegt, der sich 2021 zusammenfand, um sich des Problems der sinkenden Nachtsicherheit und des sinkenden Sicherheitsgefühls in Stuttgart anzunehmen. Meldungen über Belästigungen bis hin zu Vergewaltigungen rund um die Königstraße hatten sich damals gehäuft, „sie haben die öffentliche Wahrnehmung zum Thema Sicherheit und Sicherheitsempfinden erschüttert“, sagt Annika Wagner. „Daraufhin kam der Auftrag vom Gemeinderat, sich zu überlegen, wie Stuttgart sicherer und das Sicherheitsempfinden verbessert werden kann.“

Stuttgart soll nachts in Zukunft noch sicherer werden

Doch das Projekt steckt noch in seinen Kinderschuhen. Aktuell sind hauptsächlich in der Stuttgarter Innenstadt und in Untertürkheim teilnehmende Gastronomien gelistet. Nächstes Jahr sollen es mehr werden, auch in den inneren Stadtbezirken soll das Projekt Fuß fassen. Man ist sich durchaus der Tatsache bewusst, dass der Nachhauseweg natürlich nicht nur von Club X zu Bar Y geht, sondern umfassend abgedeckt werden muss, um bei den Menschen das nächtliche Sicherheitsempfinden in Stuttgart wiederherzustellen. Überlegungen, dunkle Ecken und Haltestellen mit einzubeziehen und Projekte wie etwa das Heimwegtelefon mit an Bord zu holen werden bereits gewälzt.

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Erstellt:
24. November 2023, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
24. November 2023, 23:59 Uhr

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