S-Bahn bis Geislingen ist aussichtsreich

Auch wenn die S-Bahn Stuttgart derzeit wenig zuverlässig ist, gilt sie für die Entwicklung in der Region als unverzichtbar. Nun gibt eine Untersuchung Aufschluss darüber, welche neuen Ziele sich lohnen könnten und welche Städte ihre S-Bahn-Träume wohl begraben müssen.

Die S-Bahn glänzt derzeit nicht durch Zuverlässigkeit. Dennoch gibt es Ideen für ihren Ausbau.

© Werner Kuhnle

Die S-Bahn glänzt derzeit nicht durch Zuverlässigkeit. Dennoch gibt es Ideen für ihren Ausbau.

Von Christian Milankovic

Stuttgart - Die S-Bahn Stuttgart hat lange Zeit als das Rückgrat des Nahverkehrs in der Region gegolten. Derzeit allerdings werden die Fahrgäste auf die Probe gestellt, die Zuverlässigkeit hat zuletzt massiv gelitten. Beim Regionalverband, der den S-Bahn-Verkehr bestellt und bezahlt, macht man sich gleichwohl Gedanken über die Weiterentwicklung des Systems, das im Jahr 2022 von mehr als 102 Millionen Menschen genutzt wurde. Angesichts langer Planungszeiträume ist das auch erforderlich.

Grundlage der Überlegungen ist ein Gutachten des Verkehrswissenschaftliche Instituts Stuttgart (VWI), dass sich die Regionalräte bei einer Klausursitzung Ende November haben erläutern lassen und das diese Woche in großer Runde beraten werden soll. Bei der Machbarkeitsstudie wurde betrachtet, welche Verlängerungen über die bestehenden Endpunkte Erfolg versprechend sind.

Größter Gewinner könnten demnach das Albvorland und das Filstal sein. Für eine S-Bahn via Göppingen nach Geislingen an der Steige ermitteln die Experten einen Quotienten zwischen Nutzen und Kosten von 2,02. Das ist ein wichtiger Maßstab: Vorhaben, die auf einen Wert von mehr als 1 beim sogenannten Nutzen-Kosten-Verhältnis kommen, haben Aussicht auf eine Förderung. Um die neuen Ziele im Osten der Region zu erreichen, müsste eine neue S-BahnLinie geschaffen werden, die ihren Startpunkt an der Schwabstraße hat.

In Göppingen müsste diese S-Bahn eine kurze Pause einlegen, da sie dort von einem Zug des Regionalverkehrs überholt wird. Diese Wartezeit könnte nach Vorstellung der Gutachter unterschiedlich genutzt werden. Eine Möglichkeit ist es, die S-Bahn dort zu kürzen, da der Bedarf zwischen Göppingen und Geislingen abnehme, heißt es in einem Papier der Regionalverwaltung.

Zum anderen bestehe die Möglichkeit, die Bahnen dort aufzuteilen und zwei verschiedene Endpunkte anzusteuern. Durch dieses im Bahnjargon „flügeln“ genannte Prozedere könnte neben Geislingen auch Bad Boll in den Genuss eines S-Bahn-Anschlusses kommen. Dazu müsste allerdings die Strecke von Göppingen durchs Albvorland reaktiviert werden.

Für einen S-Bahn-Anschluss nach Geislingen liegt die Kostenschätzung bei 102 Millionen Euro, zusammen mit der Variante Richtung Bad Boll steigt die Rechnung auf 374 Millionen Euro.

Zumindest für die Verlängerung nach Geislingen drängt die Zeit, weshalb sich die Regionalverwaltung diese Woche auch grünes Licht für konkretere Planungsschritte von der Regionalversammlung holen möchte. Im Jahr 2029 plant die Deutsche Bahn im Rahmen ihrer groß angelegten Korridorsanierungen größere Arbeiten an der Strecke durchs Filstal. In deren Windschatten könnte man die Trasse auch gleich für den S-Bahn-Verkehr ertüchtigen. „Um diesen Zeithorizont zu unterstützen, sollte zeitnah in vertiefende Planungen eingestiegen werden“, heißt es in der Vorlage der Verwaltung.

Ebenfalls näher untersuchen möchte die Region die Verlängerung der S 5 über ihren heutigen Endpunkt in Bietigheim hinaus bis Vaihingen/Enz. Eine solche Erweiterung des Netzes ließe sich womöglich auch mit dem Bau eines neuen Betriebswerks der S-Bahn an diesem Ast verknüpfen. Wegen der wachsenden Flotte der S-Bahn stößt das bestehende Werk in Plochingen zunehmend an seine Grenzen. Je nach Variante könnte die Verlängerung der S-Bahn nach Vaihingen/Enz zwischen 23 und 51 Millionen Euro kosten. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis liegt bei einem Wert von 1,78 – und damit deutlich über der geforderten Schwelle von 1. Eine ebenfalls in der Diskussion stehende Verlängerung der S 5 ins Neckartal Richtung Kirchheim/Neckar scheitert an den dortigen beengten Verhältnissen. Stattdessen hat sich der Gutachter für einen Endpunkt in der Gemeinde Walheim ausgesprochen, empfiehlt aber „aufgrund der deutlich höheren verkehrlichen Wirkungen“, sich auf die Verlängerung Richtung Vaihingen/Enz zu konzentrieren.

Walheim könnte allerdings von einer anderen Idee profitieren: Die sogenannte Schusterbahn, die heute Untertürkheim mit Kornwestheim verbindet und die Stuttgarter Innenstadt umgeht, könnte einerseits bis Esslingen und andererseits bis eben Walheim verlängert werden. Da die Schusterbahn auf der Liste des Landes mit zu reaktivierenden Bahnen steht, erhofft man sich bei der Region Rückenwind für dieses Vorhaben. In einem ersten Schritt sollen nach Vorstellung der Region stündlich Züge zwischen Ludwigsburg und Untertürkheim pendeln. Über eine eventuelle Förderung will die Region mit dem Land sprechen.

Ebenfalls weiter untersucht werden soll nach Ansicht der Gutachter eine Verlängerung der S 1 über Herrenberg hinaus bis Bondorf. Diese Variante zählt die Region neben der S-Bahn nach Geislingen sowie nach Vaihingen/Enz und der Schusterbahnverlängerung zum „Ausbaupaket A“, das mit Bau- und Planungskosten von rund 424 Millionen Euro zu Buche schlagen würde.

Abstand nimmt die Region hingegen von den Ideen, das S-Bahn-Netz einerseits über Backnang hinaus bis Murrhardt und andererseits von Schorndorf bis Plüderhausen zu erweitern. Im Murrtal liegt nur ein Gleis, was das Vorhaben erschwert. Allerdings dringt das Land seinerseits beim Bund darauf, diese Strecke auf zwei Gleise zu erweitern, was die Bewertung einer möglichen S-Bahn-Verlängerung verändern könnte. Bei einer S-Bahn-Verlängerung von Schorndorf nach Plüderhausen kommen sich die Bahnen mit IC- und Regionalzügen ins Gehege. Zudem müsste im Bereich Schorndorf umfangreich in den Ausbau investiert werden. Diese Kosten würden die „verkehrlichen Wirkungen erheblich übersteigen“.

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Erstellt:
17. Dezember 2023, 22:06 Uhr
Aktualisiert:
18. Dezember 2023, 21:59 Uhr

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