Wie Fußball auch den Geist beflügelt
Studien zeigen, dass Mädchen in Bezug auf die Lesekompetenz besser abschneiden als Jungen. Mit dem Programm „kicken und lesen“ werden an der Conrad-Weiser-Schule Großaspach und am Backnanger Max-Born-Gymnasium auch Jungen über den Fußball für das Lesen begeistert.
Von Simone Schneider-Seebeck
Aspach. Es herrscht ein großes Gewusel in der Mühlfeldhalle in Großaspach. Dienstagnachmittags sind alle Drittel belegt, es finden verschiedene Sport-AGs der Conrad-Weiser-Schule (CWS) statt. Eine davon ist etwas ganz Besonderes. Denn hier geht es nicht nur um körperliche Bewegung, sondern auch um geistige Fitness. Auf den fröhlich-frischen Trikots steht es: kicken und lesen.
Mit dabei sind neben den etwa 20 Jungs aus den Klassen 5 und 6 Lehrer Tolga Durmaz und FSJler Nico Engel. Dass Engel bei dem Projekt dabei ist, freut Tolga Durmaz besonders, denn der junge Mann gehört zum Kader der SG Sonnenhof, dem Fußballballkooperationspartner an der CWS, und sei so optimal als Fußballvorbild geeignet. „Er ist ein Imagesymbol für das Team“, so der Klassenlehrer der 7. Klasse.
Der Projektname lässt es schon erahnen. Bei „kicken und lesen“ sollen vor allem Jungs zum Lesen animiert werden. Das Konzept scheint aufzugehen. Schon nach wenigen Wochen sind einige der ausgeliehenen Bücher fertig gelesen, wie Tolga Durmaz berichtet. Eine große Bücherkiste mit unterschiedlichsten Titeln aus verschiedenen Kinderbuchgenres wurde vom Projekt gespendet.
Doch es wird nicht nur zu Hause gelesen, sondern auch während der AG, die im zweiten Schulhalbjahr gewissermaßen eine Erweiterung der bereits bestehenden Fußball-AG ist. So beginnt der Nachmittag beispielsweise mit der Einheit Vorlesen durch Nico Engel. Danach steht Taktik auf dem Plan und dann darf das Gelernte geübt werden. Und während die einen mit den Bällen durch die Halle wuseln und der Mittelstürmer hier und da noch Tipps gibt, stürmen andere die Treppe hoch in einen separaten Raum und lesen sich im Tandem gegenseitig kurze Texte vor. Dabei wird nicht nur darauf geachtet, ob richtig gelesen wird, sondern auch auf Betonung und Satzmelodie. Nach zehn Minuten werden die Teams im fliegenden Wechsel getauscht.
Conrad-Weiser-Schule Aspach ist eine von 13 Projektschulen im Ländle
Schulleiterin Heidi Ahlers ist sehr zufrieden. Bereits im vergangenen Schuljahr hatte sich die CWS Aspach für das Programm „kicken und lesen“ beworben, in diesem Jahr hat es schließlich geklappt und die Gemeinschaftsschule ist nun eine der 13 Projektschulen im Ländle und eine der beiden Projektschulen des Kreises. Seit diesem Schuljahr ist in der Grundschule der CWS zudem auch BiSS (Bildung durch Sprache und Schrift) als Konzept zur Förderung der Lesekompetenz verankert (siehe Infotext). Beides ergänzt sich sehr gut, die Übungsmethoden sind aufeinander abgestimmt, so entsteht ein roter Faden in der Leseförderung von Klasse 1 bis 6.
An dem Programm gefällt Ahlers besonders die Mischung. „Die macht es für Schüler interessant und schön“, sagt sie. Neben der AG wird das zweitägige Camp bei Projektpartner VfB Stuttgart ein Höhepunkt sein. Für das kommende Schuljahr wolle man sich auf jeden Fall wieder bewerben.
Geplant sind zudem weitere Besuche von Spielern der SG Sonnenhof. Und da es neben dem eigenen Teamoutfit auch einen personalisierten Ball für jeden Teilnehmer gibt, kann man sich darauf auch gern ein Autogramm von den Profis geben lassen.
Über Fußball auch Jungen fürs Lesen begeistern
Die Ergebnisse der Untersuchungen von 2021 (Iglu) und 2023 (Pisa) zeigen deutlich auf: Mädchen schneiden in Bezug auf die Lesekompetenz besser ab als Jungen. Deshalb initiierte die Baden-Württemberg-Stiftung das Programm „kicken und lesen“, um über den Fußball auch Jungen für das Lesen zu begeistern.
Auch wenn „kicken und lesen“ vorrangig für Jungs konzipiert ist, kommen fußballbegeisterte Mädchen an der CWS nicht zu kurz, wie Konrektor Dominik Reichert betont. „Die Mädchen halten sich im Sport eher zurück, wenn Jungs dabei sind“, hat er beobachtet. Daher gebe es eine extra Fußball-AG für Mädchen, die von einer sehr sportaffinen FSJlerin geleitet werde.
Zuschlag für drei Jahre bekommen
Sebastian Marx ist sehr zufrieden. In diesem Schulhalbjahr findet das durch die Baden-Württemberg-Stiftung geförderte Projekt bereits zum zweiten Mal am Max-Born-Gymnasium in Backnang statt (wir berichteten). „Dieses Mal haben wir sogar den Zuschlag für drei Jahre bekommen“, freut sich der Sportlehrer. Die Rückmeldungen von Eltern der teilnehmenden Kinder aus dem letzten Schuljahr sind ausgesprochen positiv. Etwa: „Es hat wahrscheinlich vielen Kindern geholfen, die Lust am Lesen hervorzubringen. Es gab auch all die schönen Dinge, die man in der AG machen konnte, wie zum Beispiel die Chance, bei ein paar Spielen als Zuschauer dabei sein zu können“. Oder: „Sein Fokus in der Freizeit war schon immer stark auf den Part ‚kicken‘ gerichtet, weniger auf ‚lesen‘, was sich auch während des Projekts und im Nachhinein nicht wirklich geändert hat. Jedoch konnte er hier sehr gut üben, die Scheu zu verlieren, vor anderen laut vorzulesen, waren sie doch lauter Gleichgesinnte, die gemeinsam sehr viel Spaß hatten und das Glück, an dem Projekt teilnehmen zu dürfen.“
Der Andrang der jungen Interessenten ist groß, 40 Kinder wollten dabei sein, nur 20 konnten aufgenommen werden. Nun sind aus jeder der vier 5. Klassen fünf Schüler dabei, darunter in diesem Jahr auch zwei Mädchen. Mit zum Team gehört wieder Jan Schneider. Im vergangenen Schuljahr hatte er die Gruppe als Praktikant mitbetreut, nun erfüllt er seine Aufgabe als Referendar. Mit seinen Fächern Sport und Deutsch passt er perfekt.
In der Stadthalle Backnang wird gerade am Ball geübt, kurz darauf schnappen sich jeweils zwei Kinder eine Matte und einen kurzen Lesetext, Gemurmel füllt den Saal. Jeweils ein lesestärkeres und ein leseschwächeres Kind bilden ein Tandem und üben den Text gemeinsam, dabei unterstützen sich die Kinder gegenseitig.
Für die tollen Projekte opfern alle gerne ihre Freizeit
Im Gegensatz zur Gemeinschaftsschule, in der der AG-Nachmittag verpflichtend zum Schulkonzept gehört, findet die AG hier auf freiwilliger Basis statt. Doch: „Das sind alles tolle Dinge, für die man die Freizeit gern opfert“, sagt Sebastian Marx und lacht. Neben der einen Stunde am Montagmittag gibt es noch weitere Angebote im Rahmen von „kicken und lesen“. So findet an acht Freitagnachmittagen das Koordinationstraining Balori statt, weiterhin geplant sind ein Workshop am VfB-Stuttgart-Lernzentrum zu Gewaltprävention, Zivilcourage und Fair Play, ein Besuch beim Kooperationspartner Stuttgarter Nachrichten im Pressehaus, ein Projektnachmittag mit der Deutschen Kindersportakademie und zum Abschluss eine Veranstaltung gemeinsam mit Kindern, Eltern und Lehrkräften.
„Es ist schön, wenn man den Kindern etwas jenseits von Klausuren bietet“, meint Marx, der neben Sport auch Englisch unterrichtet. „Das sind die Sachen, die in Erinnerung bleiben.“
„kicken und lesen“ Das Programm wurde 2008 von der Baden-Württemberg-Stiftung mit dem Ziel ins Leben gerufen, mehr Jungen zum Lesen zu bringen. „Lesen gehört zu den Schlüsselkompetenzen und ermöglicht bessere Chancen im Leben“, heißt es auf der Homepage www.bwstiftung.de. Über die Identifikation mit Vorbildern aus dem Bereich Fußball soll ein Anreiz geschaffen werden, den sportlichen mit dem geistigen Aspekt zu verknüpfen.
BiSS Die Initiative Bildung durch Sprache und Schrift startete 2013 und ist eine gemeinsame Initiative von Bund und Ländern, um Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung in Kindertageseinrichtungen und Schulen zu verbessern. Weitere Informationen unter www.bmbf.de.