Lukaschenko-Führung müht sich um Russlands Rückendeckung

dpa Minsk. Die Demonstranten in Belarus beweisen trotz Massenfestnahmen Ausdauer. Die autoritäre Führung in Minsk sucht im Ringen um ihren Machterhalt die Hilfe Moskaus. Wirbel gibt es um ein früheres Regierungsmitglied.

Belarussische Studenten rennen bei einer Kundgebung vor der Heilig-Geist-Kathedrale in Minsk vor der Polizei weg. Foto: Uncredited/Tut.by/AP/dpa

Belarussische Studenten rennen bei einer Kundgebung vor der Heilig-Geist-Kathedrale in Minsk vor der Polizei weg. Foto: Uncredited/Tut.by/AP/dpa

Unter dem Druck neuer Massenproteste gegen die autoritär regierende Staatsführung verstärkt Belarus (Weißrussland) seine Kontakte zum Nachbarn Russland.

Am Mittwoch traf Außenminister Wladimir Makej seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow in Moskau, am Donnerstag will der russische Regierungschef Michail Mischustin in die belarussische Hauptstadt Minsk reisen.

Zudem will Kremlchef Wladimir Putin seinen um Machterhalt ringenden Kollegen Alexander Lukaschenko in den nächsten zwei Wochen in Moskau empfangen. Zu Gesprächen mit der Opposition im Nachbarland scheint man in Moskau - wenn überhaupt - aber so schnell nicht bereit.

Russland sieht Belarus als strategisch wichtige Pufferzone zum westlichen Militärbündnis Nato. Außerdem ist die belarussische Wirtschaft abhängig vom großen Nachbarn in Moskau. Putin hatte zuletzt zugesichert, im Falle einer Eskalation eigene Sicherheitskräfte nach Belarus zu schicken. Kremlsprecher Dmitri Peskow zufolge steht es aber „nicht auf der Tagesordnung“, russische Militärstützpunkte zu errichten.

„Wir sehen die Republik Belarus als einen souveränen Staat an“, sagte Lawrow der Agentur Interfax zufolge. „Unter diesen Umständen glauben wir, dass wir uns erst mit Vertretern (der Opposition) treffen werden, (...) nachdem sie Strukturen entsprechend der belarussischen Gesetzgebung gebildet haben.“

Der russische Chefdiplomat sprach damit den Koordinierungsrat der Zivilgesellschaft für einen friedlichen Machtwechsel an, gegen den Lukaschenko vorgeht. Um eines der prominenten Ratsmitglieder gab es am Mittwoch Wirbel: Pawel Latuschko reiste nach Drohungen des Präsidenten gegen ihn nach Polen. Dort werde er einige Tage bleiben und danach zurück nach Minsk kommen, teilte das Gremium mit.

Dem Internetportal tut.by sagte Latuschko, dass er an einem Wirtschaftsforum in Polen teilnehme und dann noch nach Litauen weiterreisen wolle. Das polnische Außenministerium teilte dazu mit, Latuschko sei auf Einladung der Organisatoren des Forums nach Polen eingereist und habe die Grenze legal überquert. Berichte regierungsnaher belarussischer Medien, wonach Latuschko im Kofferraum des Autos eines polnischen Diplomaten außer Landes gebracht worden sein soll, wies Polen zurück.

Lukaschenko hatte zuvor gesagt, der frühere Kulturminister habe eine „rote Linie überschritten“ und sei aus Angst zur Opposition übergelaufen. Mehrere Mitglieder des Rates wurden bereits festgenommen oder zum Verhör vorgeladen.

Bei den täglichen Protesten gegen Lukaschenko gibt es immer wieder viele Festnahmen. So wurden bei Studentenprotesten am Dienstag laut Innenministerium 95 Menschen festgenommen. 2300 meist junge Demonstranten hätten sich landesweit an den Aktionen beteiligt.

Auch Medienvertreter kamen erneut in Polizeigewahrsam. Der Journalistenverband des Landes teilte mit, dass mehrere Mitarbeiter auch am Mittwoch noch festgehalten wurden. Dutzende Journalisten demonstrierten mit Mahnwachen gegen Repressionen.

Hintergrund der Proteste ist die Präsidentenwahl vor mehr als drei Wochen. Lukaschenko hatte sich danach mit 80,1 Prozent der Stimmen zum Sieger erklären lassen. Die Opposition hält dagegen Swetlana Tichanowskaja für die wahre Siegerin. Die Abstimmung steht international in der Kritik, die Ergebnisse werden weithin als grob gefälscht betrachtet. Dagegen hatten Russland und China Lukaschenko zum Wahlsieg gratuliert.

„Wir haben dem ersten Ansturm standgehalten“, sagte der belarussische Außenminister Makej mit Blick auf die Proteste. Es sei eine Revolution wie im Nachbarland Ukraine verhindert worden. Nach der Wahl sei das Land zwar in „heftige politische Turbulenzen“ geraten, und es gebe „noch heute eine gewisse politische Konfrontation, die Intensität hat aber nachgelassen“, sagte Makej.

Lawrow behauptete, in Belarus hielten sich 200 „Extremisten“ aus der Ukraine auf. Es gebe sogar spezielle Trainingslager. Das ukrainische Außenministerium wies dies als „kranke Fantasien“ zurück und warf Russland vor, sich in die inneren Angelegenheiten des Nachbarn einzumischen. Vor der Präsidentenwahl am 9. August hatten die Behörden mehr als 30 russische „Söldner“ festgenommen, die angeblich Unruhe in Belarus stiften wollten. Sie wurden aber wieder freigelassen.

Lukaschenko hatte zuletzt seine Rhetorik gegenüber Moskau deutlich geändert. Nach Vorwürfen im Wahlkampf, Russland mische sich angeblich in die Abstimmung ein, betont er nun die Verbundenheit. Er habe vor der Wahl gesagt, beide Länder seien nicht mehr Brüder, sondern nur noch Partner. Nun sagte er der Staatsagentur Belta zufolge, diese Äußerung hätte er so nicht tätigen sollen. „Man hat es im Kreml und überall gehört.“

Die Proteste im Land gehen derweil weiter. Auf Fotos und Bildern im Nachrichtenkanal Telegram war zu sehen, wie Demonstranten in der Hauptstadt Minsk lange Menschenketten bildeten. Außerdem zogen Hunderte Frauen mit der historischen weiß-rot-weißen Landesfahne durch die Stadt. Sie klatschten mit den Händen, viele Autofahrer hupten. Zudem gab es Streiks in Staatsbetrieben. Bei einer Solidaritätsaktion für Studenten in Polizeigewahrsam gab es an einer Universität in Minsk erneut Festnahmen.

© dpa-infocom, dpa:200902-99-398561/8

Der russische Außenminister Sergej Lawrow (r) empfängt seinen belarussischen Amtskollegen Wladimir Makei in Moskau. Foto: -/Russian Foreign Ministry Press Service/AP/dpa

Der russische Außenminister Sergej Lawrow (r) empfängt seinen belarussischen Amtskollegen Wladimir Makei in Moskau. Foto: -/Russian Foreign Ministry Press Service/AP/dpa

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Erstellt:
2. September 2020, 09:42 Uhr

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