Windkraft-Ausbau weiter schleppend

dpa Berlin. Um Kohle- und Atomkraftwerke zu ersetzen, sollen deutlich mehr Windräder in Deutschland gebaut werden. Doch die Branche klagt über Hindernisse - von Bürokratie bis zu Bürgerprotesten. Das spiegelt sich auch in den Ausbau-Zahlen fürs erste Halbjahr wider.

Der von Windkraftanlagen an Land geht weiterhin schleppend voran. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Der von Windkraftanlagen an Land geht weiterhin schleppend voran. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Der Ausbau der Windkraft kommt noch nicht in Schwung. Im ersten Halbjahr 2020 wurden in Deutschland zwar mehr als doppelt so viele neue Windräder an Land gebaut wie im Vorjahreszeitraum - es war aber dennoch das zweitschwächste Ausbau-Halbjahr der vergangenen 15 Jahre.

Das geht aus vorläufigen Zahlen der Fachagentur Windenergie an Land hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen. Bis Ende Juni wurden bundesweit 186 Windenergieanlagen mit einer Leistung von 587 Megawatt in Betrieb genommen. Weil auch 66 alte Anlagen stillgelegt wurden, lag der Netto-Zubau bei 528 Megawatt. Neue Windenergieanlagen sind leistungsstärker als alte. Zwischen Januar und Juni 2019 waren gerade einmal 81 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 271 Megawatt ans Netz gegangen.

Der Präsident Bundesverband Windenergie, Hermann Albers, sagte der dpa: „Die Zahlen bleiben weiter dramatisch hinter den Notwendigkeiten der Energiewende zurück.“ Ohne sehr schnelle gesetzliche Regelungen werde die Delle beim Ausbau bis ins Jahr 2022 verlängert. Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer nannte die Zahlen ein „absolutes Desaster“. Die Bundesregierung müsse „endlich handeln“.

Die meisten neuen Windenergieanlagen nahmen den vorläufigen Zahlen zufolge im ersten Halbjahr 2020 in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz den Betrieb auf. In allen Bundesländern außer den drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen wurden neue Windräder gebaut.

Die Offshore-Windbranche zeigte sich optimistischer. Zwar seien im ersten Halbjahr 2020 in Deutschland nur 32 Windkraft-Anlagen auf See mit 219 Megawatt (MW) Leistung installiert worden. Durch die jüngst festgelegten, erhöhten Offshore-Ziele von 20 Gigawatt (GW) bis 2030 und 40 GW bis 2040 sei aber „langfristige Planungssicherheit“ geschaffen worden, teilten die Branchenorganisationen BWE, BWO, VDMA, WAB und die Stiftung Offshore-Windenergie am Freitag mit. Nun müssten die langfristigen Ausbauziele gesetzlich verankert werden.

Windkraft ist ein zentraler Pfeiler der Energiewende - dem Umstieg von Kohle- und Atomstrom auf Strom aus erneuerbaren Energien, also vor allem Wind, Sonne und Biomasse. Seit einiger Zeit stockt der Ausbau vor allem der Windkraft an Land. Als Hauptgründe gelten lange Genehmigungsverfahren, zu wenig Flächen für neue Windparks und viele Klagen von Anwohnern. Vor Ort gibt es oft erhebliche Proteste.

Die Zahlen dürften die Debatte um den Ausbau der erneuerbaren Energien anheizen. Bis 2030 soll der Ökostrom-Anteil auf 65 Prozent steigen, und das bei deutlich mehr Elektroautos auf der Straße. Die Windenergiebranche hält einen Zubau von rund 5000 Megawatt pro Jahr für nötig, um das Ziel zu erreichen.

Eine Baugenehmigung erhielten bis Ende Juni 289 Windturbinen mit zusammen 1168 Megawatt Leistung - die meisten in Schleswig-Holstein. Auch diese Zahlen sind gegenüber dem ersten Halbjahr 2019 deutlich gestiegen. Dennoch liegt die Zahl der neu genehmigten Anlagen laut Fachagentur um 60 Prozent unter den durchschnittlichen Genehmigungen der „guten“ Ausbaujahre 2014 bis 2016.

Wie es weiter hieß, war im ersten Halbjahr noch kein Trend zu stark steigenden Stilllegungszahlen erkennbar. Das könnte noch passieren, denn 2021 läuft nach 20 Jahren die feste Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) für die ersten Windenergieanlagen aus. Über die milliardenschwere EEG-Umlage, die auf die Stromrechnung aufgeschlagen wird, finanzieren private Verbraucher und die meisten Unternehmen den Betrieb von Ökostrom-Anlagen mit. Derzeit liegt die Umlage bei 6,76 Cent pro Kilowattstunde. Im kommenden Jahr wird sie erstmals über einen Zuschuss aus Steuergeldern bei 6,5 Cent gedeckelt, 2022 dann bei 6,0 Cent. Das soll den Strompreis entlasten.

2019 lag der Ökostrom-Anteil in Deutschland bei mehr als 42 Prozent. Im ersten Halbjahr 2020 kletterte er zwar auf mehr als 50 Prozent. Das war aber auch dem geringeren Stromverbrauch geschuldet - denn die Corona-Krise bremste die Wirtschaft aus. Um den Ausbau auf 65 Prozent zu schaffen, will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nach der Sommerpause eine Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vorlegen. Geplant ist auch ein regelmäßiges Monitoring, um schnell nachsteuern zu können, falls die Branche nicht auf Kurs ist.

Zudem sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie juristische Auseinandersetzungen beschleunigt werden. Gemeinden und ihre Bewohner sollen künftig finanziell etwas davon haben, wenn bei ihnen Windräder gebaut werden - davon erhofft die Politik sich mehr Akzeptanz.

© dpa-infocom, dpa:200717-99-823475/5

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Erstellt:
17. Juli 2020, 04:35 Uhr

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