Corona-Impfstoff rückt näher - Impfung zuerst für Gefährdete

dpa Berlin/Mainz/Washington. Zeichen der Hoffnung mitten in der immer fortschreitenden Pandemie: Ein maßgeblich in Deutschland entwickelter Impfstoff könnte den Durchbruch bringen. Doch für Beruhigung wäre es zu früh.

Alena Buyx (l.), Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, und Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO), stellen das gemeinsame Positionspapier „Wie soll der Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff geregelt werden?“ vor. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Alena Buyx (l.), Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, und Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO), stellen das gemeinsame Positionspapier „Wie soll der Zugang zu einem COVID-19-Impfstoff geregelt werden?“ vor. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Das Mainzer Unternehmen Biontech und der Pharmakonzern Pfizer haben eine entscheidende Etappe hin zu einem wirkungsvollen Corona-Impfstoff geschafft. Die Unternehmen wollen möglicherweise bereits in der kommenden Woche eine Zulassung in den USA beantragen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will nach eigenen Worten erreichen, dass Deutschland mit als erstes beliefert wird, wenn ein deutsches Unternehmen einen Impfstoff entwickelt. Gleichzeitig machte Spahn ebenso wie der künftige US-Präsident Joe Biden deutlich, dass bis zu Impfungen im großen Stil Monate vergehen können. In Deutschland sollen Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen und Beschäftigte in zentralen Bereichen zuerst geimpft werden.

Als erste westliche Hersteller veröffentlichten Biontech und Pfizer am Montag vielversprechende Ergebnisse. Demnach bietet ihr Impfstoff einen mehr als 90-prozentigen Schutz vor Covid-19. Schwere Nebenwirkungen seien bislang nicht registriert worden. Biontech und Pfizer rechnen damit, noch in diesem Jahr weltweit bis zu 50 Millionen Impfstoff-Dosen bereitzustellen. Im kommenden Jahr kalkulieren sie mit bis zu 1,3 Milliarden Dosen. „Dies ist ein Sieg für die Innovation, Wissenschaft und weltweite Zusammenarbeit“, sagte Biontech-Mitbegründer Ugur Sahin.

Biontech hatte den Impfstoff BNT162b2 im Projekt „Lightspeed“ (Lichtgeschwindigkeit) seit Mitte Januar entwickelt. Die für eine Zulassung entscheidende Phase-3-Studie begann ab Ende Juli in verschiedenen Ländern. Bis Montag haben mehr als 43.500 Menschen mindestens eine von zwei Impfungen bekommen, die im Abstand von drei Wochen verabreicht werden. Ein Impfschutz wird nach Angaben der Hersteller eine Woche nach der zweiten Injektion erreicht. Weitere Studienergebnisse würden erwartet, teilten die Unternehmen mit.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb auf Twitter, man schließe bald einen Vertrag mit Biontech/Pfizer über bis zu 300 Millionen Impfdosen für die EU-Staaten ab. Unterzeichnet hat die Kommission bisher Rahmenverträge mit den Firmen Johnson&Johnson, Astrazeneca und Sanofi-GSK. Spahn sagte, er gehe von einer parallelen Beantragung der Zulassung in den USA und in Europa aus. Von Biontech hieß es, die vorhandenen Dosen sollten „fair“ verteilt werden.

Der künftige US-Präsident Biden lobte die Fortschritte, wies aber darauf hin, dass ein Sieg gegen das Virus noch weit entfernt sei. Es würden noch Monate vergehen, bis in den USA in großem Stil geimpft werden könne, sagte Biden. Zugleich stellte Biden seinen Expertenrat zur Eindämmung der Corona-Pandemie vor.

Spahn nannte die Fortschritte von Biontech und Pfizer „sehr ermutigend“. „Stand heute wird es wahrscheinlich so schnell wie noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte einen Impfstoff gegen ein neues Virus geben können.“ Es sei aber nicht „in den nächsten vier Wochen“ mit einem Impfstoff zu rechnen. Die Regierung fördere mehrere Ansätze. Welche Erfolg hätten, könne niemand sicher sagen.

Nach Zulassung eines Impfstoffs sollen in Deutschland folgende Gruppen zuerst geimpft werden: Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen, Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeheimen, Mitarbeiter von Gesundheitsämtern und Sicherheitsbehörden, Polizisten, Feuerwehrleute, Lehrer und Erzieher. Das geht aus einem neuen Positionspapier des Deutschen Ethikrats, der Nationalen Wissenschaftsakademie Leopoldina und der am Robert Koch-Institut (RKI) angesiedelten Ständigen Impfkommission hervor.

Auch Menschen, die etwa in Heimen für Obdachlose oder Asylbewerber sehr beengt untergebracht seien, sollten dazuzählen, wie die Ethikrat-Vorsitzende Alena Buyx erläuterte. Noch seien genaue Feststellungen zur Priorisierung aber nicht getroffen, also nicht alle bevorzugten Gruppen genau identifiziert. Der Vorsitzende der Impfkommission, Thomas Mertens, sagte, bis spätestens Ende des Jahres sollten die Empfehlungen konkreter sein. Die Priorisierung müsse dann von den Verantwortungsträgern der Politik festgesetzt werden.

Geimpft werden soll in Zentren sowie durch mobile Impftrupps. Bewohner von Altenheimen sollen nicht in Omnibussen zu einem Impfzentrum gebracht werden müssen. Spahn sagte: „In den nächsten sechs, acht, zehn Wochen werden nach und nach diese Impfzentren in der Vorhaltung sein.“ Das reiche zeitlich aus.

Mertens kündigte an, es solle dokumentiert werden, wer wann womit geimpft wurde, um etwaige Nebenwirkungen zu bemerken und den Impfeffekt zu messen. Die Daten könnten zur Gewährleistung des Datenschutzes pseudonymisiert werden. Buyx unterstrich: „Impfungen setzen eine aufgeklärte, freiwillige Zustimmung voraus. Deswegen ist eine allgemeine Impfpflicht auszuschließen.“ Spahn sprach sich dafür aus, die Debatte über die nötige Priorisierung „an jeden Mittagstisch, an jede Arbeitsstelle, in jeden Freundes- und Bekanntenkreis“ zu tragen.

Für den Fall der Zulassung der Biontech-Pfizer-Entwicklung könnte Ende 2020 eine Impfwelle anrollen, stellte Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing fest. Wendtner sprach von einem „Silberstreifen an dem sonst so düsteren Horizont“.

© dpa-infocom, dpa:201109-99-268673/7

Die Unternehmenszentrale von Biontech in Mainz. Foto: Andreas Arnold/dpa

Die Unternehmenszentrale von Biontech in Mainz. Foto: Andreas Arnold/dpa

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Erstellt:
9. November 2020, 13:00 Uhr

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