Britische Regierung schließt nationalen Lockdown nicht aus

dpa London. Nicht nur der Brexit macht den Briten große Sorgen, sondern zunehmend auch die Corona-Krise. Drohen dem Land neue Ausgangssperren?

Eine Frau mit Mundschutz wartet in Caerphilly an einer Haltestelle auf den Bus. Großbritannien droht ein erneuter landesweiter Lockdown. Foto: Ben Birchall/PA/AP/dpa

Eine Frau mit Mundschutz wartet in Caerphilly an einer Haltestelle auf den Bus. Großbritannien droht ein erneuter landesweiter Lockdown. Foto: Ben Birchall/PA/AP/dpa

Wegen der sich dramatisch verschlimmernden Corona-Lage könnte Großbritannien wieder ein landesweiter Lockdown drohen. Top-Forscher hätten die zweiwöchige Maßnahme der Regierung empfohlen, um die stark steigenden Infektionszahlen in den Griff zu bekommen, berichtete die „Financial Times“.

Der Lockdown soll nach einer Empfehlung des wissenschaftlichen Beratergremiums der Regierung („Sage“) während der Schulferien im Oktober stattfinden.

Niemand wünsche sich einen Lockdown, aber auch in Großbritannien sei die zweite Ausbruchswelle angekommen, sagte Premier Boris Johnson am Freitag dem Sender Sky News. Wer schärfere Maßnahmen vermeiden wolle, müsse sich an die Regeln halten. Noch vor wenigen Tagen hatte Johnson erklärt, ein zweiter landesweiter Lockdown wäre „desaströs“ für die Wirtschaft. Weiter kommentierte er den Medienbericht nicht.

„Wir möchten einen nationalen Lockdown vermeiden, aber wir sind darauf vorbereitet“, sagte Gesundheitsminister Matt Hancock in einem BBC-Interview. Es sei das „letzte Mittel der Verteidigung“. Man setze zunächst auf lokale Beschränkungen. In vielen Regionen sind die Maßnahmen schon verschärft worden, etwa in Teilen von Schottland, im Süden von Wales und im nördlichen England. Mehr als zehn Millionen Menschen sind davon betroffen. Londons Bürgermeister Sadiq Khan sagte bereits das große Silvester-Feuerwerk an der Themse ab.

Hancock sagte, dass nicht nur Infektionen stark zunähmen, sondern auch die Zahl der Covid-19-Patienten in Kliniken steige. Nach BBC-Angaben könnten erste Verschärfungen von Maßnahmen, die nur den Landesteil England betreffen, nächste Woche verkündet werden.

Johnson steht in Großbritannien in der Kritik, zu spät und falsch auf die erste Ausbruchswelle reagiert zu haben. Erst Ende März hatte er erstmals weitgehende landesweite Ausgangsbeschränkungen verkündet. Innerhalb Europas ist Großbritannien mit Blick auf die Todesfälle das am schlimmsten von der Pandemie betroffene Land.

Bereits fast 42.000 Menschen, die positiv auf das Virus getestet worden waren, sind laut Gesundheitsministerium in Großbritannien gestorben. Nach Angaben der Statistikbehörde ONS starben 57.500 Menschen, auf deren Sterbedokumenten eine Corona-Infektion vermerkt war. Die Statistiken gehen unterschiedlich mit Verdachtsfällen und Zeiträumen um. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus.

Mit den steigenden Infektionszahlen sind Corona-Tests in Großbritannien schon wieder Mangelware geworden. Dabei hatte die Regierung das „weltbeste“ Corona-Testsystem in Aussicht gestellt. Viele potenziell infizierte Briten müssen stundenlange Fahrten auf sich nehmen, um in einem Testzentrum angenommen zu werden.

Die Opposition und britische Medien warfen Johnson ein Chaos bei der Bekämpfung der Pandemie und auch im Umgang mit der Europäischen Union beim Brexit vor. Die Probleme seien „durch seine Neigung zur Angeberei noch verschärft“ worden, schrieb die „Times“.

© dpa-infocom, dpa:200918-99-612353/4

Eine medizinische Mitarbeiterin verteilt Selbsttest-Kits in einem Corona-Testzentrum im Londoner Stadtbezirk Southwark. Foto: Dominic Lipinski/PA Wire/dpa

Eine medizinische Mitarbeiterin verteilt Selbsttest-Kits in einem Corona-Testzentrum im Londoner Stadtbezirk Southwark. Foto: Dominic Lipinski/PA Wire/dpa

In Schutzkleidung besucht Premier Boris Johnson das Jenner Institute in Oxford, wo er sich über die Covid-19-Impfstoffforschung informiert. Foto: Kirsty Wigglesworth/AP POOL/dpa

In Schutzkleidung besucht Premier Boris Johnson das Jenner Institute in Oxford, wo er sich über die Covid-19-Impfstoffforschung informiert. Foto: Kirsty Wigglesworth/AP POOL/dpa

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Erstellt:
18. September 2020, 13:18 Uhr

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