Merkel ruft im Kampf gegen Coronavirus zur Solidarität auf

dpa Berlin. Kanzlerin Merkel ruft im Kampf gegen das Coronavirus zur Solidarität auf. Ein Virologe sieht einen Zeitvorsprung vor Italien von ein paar Wochen. Unterdessen gibt es einen dritten Todesfall in Deutschland. Und die WHO spricht nun von einer Pandemie.

Zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus werden alle geplanten Veranstaltungen in den großen Sälen der staatlichen Theater, Opern- und Konzerthäuser in Berlin abgesagt. Foto: Paul Zinken/dpa

Zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus werden alle geplanten Veranstaltungen in den großen Sälen der staatlichen Theater, Opern- und Konzerthäuser in Berlin abgesagt. Foto: Paul Zinken/dpa

Angesichts der steigenden Zahl von Infektionen mit dem Coronavirus hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) alle Bürger zur Solidarität aufgerufen.

Mit Blick auf besonders gefährdete ältere und chronisch kranke Menschen sagte sie am Mittwoch in Berlin: „Da sind unsere Solidarität, unsere Vernunft, unser Herz füreinander schon auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir diese Probe auch bestehen.“

Im besonders betroffenen Kreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen starb ein zweiter mit dem Virus Sars-CoV-2 infizierter Patient. Es ist der dritte bekannte Covid-19-Todesfall in Deutschland. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft die Verbreitung des Virus nun als Pandemie ein.

Merkel empfahl, wegen der Ansteckungsgefahr vorübergehend möglichst auf den Handschlag als Begrüßungsritual zu verzichten. „Dafür eine Sekunde länger in die Augen gucken und lächeln, und nicht schon mit der Hand beim Nächsten sein, ist auch eine gute Möglichkeit“, sagte die CDU-Politikerin. Es sei die zentrale Aufgabe, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. „Es ist eben nicht egal, was wir tun, es ist nicht vergeblich, es ist nicht umsonst.“ Es gehe um das Gewinnen von Zeit, um das Gesundheitswesen nicht zu überlasten.

Die Kanzlerin sprach von einer außergewöhnlichen Lage. Man werde dann am Ende schauen, was das für den Haushalt bedeute. Sie stellte damit eine mögliche Lockerung der „Schwarzen Null“ in Aussicht - also des Prinzips, im Bundesetat ohne Neuverschuldung auszukommen. Wichtig seien Liquiditätszusagen etwa an kleine und mittlere Firmen.

Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, bekräftigte, Deutschland stehe erst am Anfang des Ausbruchs. Das RKI stufte das Elsass und Lothringen sowie die Region Champagne-Ardenne als Coronavirus-Risikogebiete ein. Das sind Gegenden, in denen eine fortgesetzte Virus-Übertragung von Mensch zu Mensch vermutet werden kann. Dazu gehören zudem ganz Italien, der Iran sowie Gegenden in China und Südkorea.

Deutschland hat den Beginn der Covid-19-Epidemie nach Einschätzung des Berliner Virologen Christian Drosten früher als Italien erkannt. Es dürfe diesen Vorsprung von vier bis sechs Wochen nun aber nicht verspielen, sagte der Charité-Professor in einem NDR-Podcast. Er mahnte eine konsequente Umsetzung guter, gezielter Maßnahmen an. „Wir haben hier eine Naturkatastrophe, die in Zeitlupe abläuft.“

Unterdessen sorgt das Coronavirus für den ersten kompletten Geisterspieltag in der Bundesliga-Geschichte. Der 26. Bundesliga-Spieltag ab kommenden Freitag wird in leeren Stadien ausgetragen. „Ich weiß, da blutet vielen Fans das Herz“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). „Aber ich vertraue auf die Solidarität der Fußball-Begeisterten. Auch sie helfen, chronisch Kranke und ältere Menschen besser zu schützen.“ Zweitligist Hannover 96 gab die erste Sars-CoV-2-Infektion bei einem Fußballprofi in Deutschland bekannt. Der 23-jährige Timo Hübers sei infiziert.

In Deutschland sind bislang mindestens 1850 Infektionen mit dem neuen Coronavirus bekannt. Das geht aus einer Auswertung der Nachrichtenagentur dpa hervor, die die gemeldeten Zahlen der Bundesländer berücksichtigt. Besonders stark betroffen sind Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg.

Spahn sagte, es sei gut, dass viele Veranstaltungen mit mehr als 1000 Besuchern nun abgesagt würden - das hatten viele Bundesländer beschlossen. Die Menschen müssten verstehen, dass alle auf ein Stück Alltag verzichten müssten, „um sich selbst zu schützen und andere zu schützen“. Dankbar zeigte sich Spahn, dass viele Unternehmen zu Arbeit aus dem Homeoffice übergehen.

Berlin und Baden-Württemberg verschoben den Beginn des Sommersemesters an den Hochschulen. In Sachsen gibt es eine ähnliche Empfehlung. Wie und wann die anstehenden Abi-Prüfungen in Deutschland stattfinden können, ist fraglich: Die Kultusminister der Länder wollen sich bei der Kultusministerkonferenz (KMK) am Donnerstag und Freitag in Berlin darüber austauschen.

Wegen des rasanten Anstiegs der Zahl der Covid-19-Kranken häufen sich in Italien die Alarmrufe zu überforderten Kliniken. Politiker, Fachleute und Ärzte äußern sich mit ernsten Warnungen. „Wir bewirken gerade Wunder, aber wir können nicht mehr lange so weitermachen“, zitierte die Zeitung „Corriere della Sera“ Antonio Pesenti, Koordinator für Intensivstationen im Krisenstab der Lombardei.

Der Präsident der Region Abruzzen, Marco Marsilio, wandte sich mit drastischen Worten an die Öffentlichkeit: Die Krankenzahlen in seiner Region östlich von Rom, die bisher noch nicht im Fokus stand, stiegen in diesen Tagen schnell. „Wir sind bei der Aufnahmefähigkeit der Hospitäler schon an der Grenze angelangt, einige Stationen mussten geschlossen oder verkleinert werden, weil sich Ärzte und Sanitäter angesteckt haben, sie waren wie stets an vorderster Front“, schrieb er auf Facebook. Italien ist in Europa das von der Infektionswelle am stärksten getroffene Land. Hunderte Menschen sind gestorben, bei weit über 10.000 wurde das Virus nachgewiesen.

In Österreich führte der Notfallplan der Regierung zu einer weitgehenden Abschottung gegenüber Italien. Seit Mittwochmittag werden an den Grenzübergängen zu Italien, etwa am Brenner, alle Einreisenden kontrolliert.

Die WHO registrierte 118.000 Infizierte und 4290 Todesfälle. Das Virus hat sich demnach inzwischen in 115 Länder ausgebreitet.

Kanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Spahn äußern sich in der Bundespressekonferenz zur Corona-Krise. Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Kanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Spahn äußern sich in der Bundespressekonferenz zur Corona-Krise. Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Kanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Spahn in der Bundespressekonferenz in Berlin. Foto: Michael Kappeler/dpa

Kanzlerin Merkel und Gesundheitsminister Spahn in der Bundespressekonferenz in Berlin. Foto: Michael Kappeler/dpa

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Erstellt:
11. März 2020, 05:59 Uhr

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