Immer mehr Corona-Hotspots - Debatte um Beherbergungsverbot

dpa Berlin. In großen Städten steigen die Corona-Fallzahlen rasant an. Die Kommunen reagieren umgehend mit schärferen Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Und aus Bayern kommt der Ruf nach einheitlichen Bußgeldern.

Passanten gehen durch eine Einkaufsstraße in Essen. Foto: Roland Weihrauch/dpa

Passanten gehen durch eine Einkaufsstraße in Essen. Foto: Roland Weihrauch/dpa

Immer mehr deutsche Städte werden zu Corona-Hotspots und fahren daher die Sicherheitsmaßnahmen zum Eingrenzen der Pandemie hoch.

Am Wochenende meldeten unter anderem Köln, Stuttgart, Essen und Mainz das Überschreiten der wichtigen Warnstufe von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Andere Großstädte wie Berlin, Frankfurt und Bremen waren schon zuvor über diese Marke gestiegen. München liegt nur noch knapp darunter. In Berlin trat am Wochenende deshalb eine nächtliche Sperrstunde in Kraft, Stuttgart und Köln schränken unter anderem das Trinken von Alkohol in der Öffentlichkeit stark ein und verschärfen die Maskenpflicht. Immer lauter wird die Kritik an Beherbergungsverboten bei innerdeutschen Reisen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder machte sich für bundesweit schärfere Strafen bei Verstößen gegen die Maskenpflicht stark. In mehreren Interviews forderte der CSU-Chef am Wochenende bundesweit einheitliche Bußgelder von 250 Euro. In Bayern gilt dies bereits.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet hat dafür Unterstützung signalisiert. „Dass wir die Bußgelder ähnlich handhaben, dass wir auch das Bestrafen vom Verletzen der Quarantäneregeln ähnlich handhaben, ich glaube, das ist ein guter Gedanke. Ich könnte mir auch vorstellen, dass wir da zu gemeinsamen Beschlüssen kommen“, sagte der CDU-Politiker am Sonntagabend im ZDF-„heute journal“. Am Mittwoch wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten erneut über Maßnahmen in der Corona-Pandemie beraten. „Lokal weiter handeln mit den örtlichen Gesundheitsämtern, aber vergleichbare Regeln in ganz Deutschland haben - das ist das Ziel, dem wir uns auch am Mittwoch mit der Bundeskanzlerin widmen wollen“, sagte Laschet.

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Sonntag meldeten die Gesundheitsämter innerhalb eines Tages 3483 neue Corona-Infektionen. An Sonntagen sind die erfassten Fallzahlen meist niedriger, auch weil am Wochenende nicht alle Gesundheitsämter Daten an das RKI melden.

Am vergangenen Freitag hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Oberbürgermeistern der elf größten deutschen Städte über die Lage beraten. An der Entwicklung in den Ballungsräumen zeige sich, „ob wir die Pandemie in Deutschland unter Kontrolle halten können oder ob uns die Kontrolle entgleitet“, sagte sie anschließend. Der vereinbarte Maßnahmenkatalog sieht unter anderem die Entsendung von Experten des RKI und der Bundeswehr vor, wenn die Schwelle von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen überschritten wird. Ab 50 Infektionen pro 100.000 Einwohner soll es neue Beschränkungen geben.

Mehrere Ministerpräsidenten riefen die Bürger zum strikten Einhalten der Abstands- und Hygieneregeln auf. „Die Lage ist ernst. Ernster, als diejenigen glauben, die sich nicht an die Schutzmaßnahmen halten“, sagte die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) am Sonntag in Mainz.

Allein in Nordrhein-Westfalen lagen am Sonntag neun Kreise und kreisfreie Städte über der wichtigen 50er Marke. Laschet kündigte landesweit einheitliche Regeln für die Einschränkung des öffentlichen Lebens in Corona-Hotspots an. So dürfen sich bei Überschreiten der 50er-Marke nur noch bis zu fünf Personen aus verschiedenen Haushalten in der Öffentlichkeit treffen, zudem sollen die Öffnungszeiten von Kneipen und Restaurants eingeschränkt werden.

In Stuttgart meldete das Landesgesundheitsamt am Samstagabend 50,5 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Deshalb sind ab Mittwoch bei privaten Feiern nur noch zehn Teilnehmer erlaubt, bei Feiern in öffentlichen und angemieteten Räumen nur noch 25.

In Berlin wurden nach Zahlen vom Samstag 58,2 Coronafälle pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen erfasst. Seit Samstag müssen in der Hauptstadt Restaurants, Bars, Kneipen und die meisten Geschäfte von 23.00 bis 6.00 Uhr geschlossen sein. Bei privaten Zusammenkünften in geschlossenen Räumen dürfen nur noch höchstens zehn Menschen zusammenkommen. Im Freien dürfen sich von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr nur noch fünf Personen versammeln.

Umstritten bleiben die von mehreren Bundesländern erlassenen Beherbergungsverbote für Urlauber aus solchen Corona-Hotspots. „Ich halte diese Maßnahme für rechtswidrig, weil sie weder verhältnismäßig noch geeignet ist“, sagte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) der „Bild“-Zeitung (Montag). Auch der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach äußerte massive Kritik. „Da wurde ein Fehler gemacht, das müsste abgeräumt werden“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ (Montag). „Keine Studie zeigt, dass das Reisen innerhalb Deutschlands ein Pandemietreiber ist. Ich löse mit diesen Regeln also kein Problem, weil es da kein Problem gibt.“

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) kündigte an, dass die Beherbergungsverbote bei der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch noch einmal beraten werden. „Wir haben Hunderttausende Pendler jeden Tag. Die begegnen sich im Einzelhandel, im Nahverkehr, auf der Arbeit. Und dann darf ein Berliner aber zwei Tage nicht im Spreewald übernachten. Das macht alles keinen Sinn“, sagte Müller am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, kritisierte „unkoordinierte Regelungen“ bei Beherbergungsverboten. Dies sorge für große Verunsicherung bei den Unternehmen, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag). Die Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, Ingrid Hartges, bezeichnete es in der „Passauer Neuen Presse“ (Samstag) als „völlig unbefriedigend, dass wir keine bundeseinheitlichen Regelwerke haben“.

Kanzleramtsminister Helge Braun verteidigte die Maßnahme dagegen. „Mecklenburg-Vorpommern hat als Ganzes eine Inzidenz von etwas um die 5, und Berlin über 60. Wenn es zu solchen Unterschieden im Infektionsgeschehen kommt, ist glaube ich ganz klar, dass jeder sich schützen will, und dann ist so was am Ende unvermeidlich“, sagte der CDU-Politiker am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bezeichnete die Maßnahme am Sonntagabend in den ARD-„Tagesthemen“ als „Sicherheitsmaßnahme, eine Notmaßnahme“. „Wir sind eigentlich zu früh zu hoch mit den Zahlen, und wir müssen jetzt die Situation sehr ernst nehmen, damit wir keine unkontrollierte Ausbreitung bekommen“. Und weiter: „Deshalb ist es gut, wenn wir jetzt gemeinschaftlich überlegen, wie wir einheitliche Regeln haben, die in der Tat für alle in Deutschland verständlich und anwendbar sind.“

In einer Reihe von Bundesländern begannen am Wochenende die Herbstferien. Menschen aus Berlin können wegen der Verbote jedoch noch nicht mal jenseits der Stadtgrenze in Brandenburg Urlaub machen. Auch ein Ostsee-Urlaub in Mecklenburg-Vorpommern ist für sie tabu.

© dpa-infocom, dpa:201011-99-904066/8

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Erstellt:
11. Oktober 2020, 14:17 Uhr

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