Junge Leute in Corona-Krise rücksichtsvoll

dpa Berlin. Keine Disco, kein Umarmen, aber Masken: Was denken junge Menschen über die Corona-Beschränkungen? In einer neuen Studie geben die meisten an, sich daran zu halten - womöglich zur Überraschung vieler. Dabei denken die Jugendlichen weniger an sich selbst.

Der Mundschutz zählt als eines der wichtigsten Mittel zur Bekämpfung der Pandemie. Foto: Peter Kneffel/dpa

Der Mundschutz zählt als eines der wichtigsten Mittel zur Bekämpfung der Pandemie. Foto: Peter Kneffel/dpa

Rücksicht statt Verantwortungslosigkeit, Solidarität statt hemmungsloser Lebensfreude - Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland halten sich einer neuen Studie zufolge überwiegend an die Corona-Beschränkungen.

Dennoch wird vielfach vermutet, dass junge Menschen auf der Suche nach feuchtfröhlichen Feiern, Freunden und Freiheit die Infektionszahlen nach oben treiben. Auch Kanzlerin Angela Merkel stimmte in den Chor der Vorwürfe ein, als sie an junge Menschen appellierte, „lieber heute auf'n paar Feten und Feiern und Partys zu verzichten, um morgen und übermorgen gut leben zu können“.

Doch die am Donnerstag vorgestellte Jugendstudie der Tui-Stiftung ergab: Mehr als die Hälfte der jungen Menschen in Deutschland hält die Corona-Beschränkungen für angemessen. Und: Die meisten beachten sie nach eigenen Angaben auch. Ein zentrales Ergebnis der Studie sei: Man könne nicht sagen, dass junge Leute sich nicht an die Maßnahmen hielten, betonte Marcus Spittler, Experte des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Auch gehe gelegentlich unter, dass junge Leute in der Pandemie erhebliche Einschränkungen erlebten, die weit über ein Feierverbot hinausgingen.

Der Studie zufolge halten 52 Prozent der Befragten die Beschränkungen für angemessen, 83 Prozent halten sie nach eigenen Angaben ein, zwei Prozent missachten sie. Ein Fünftel hält sie für übertrieben, ein weiteres Fünftel für nicht ausreichend. Wer sich an die Maßnahmen hält, tut dies vor allem, um die Gesundheit anderer zu schützen (89 Prozent), weniger wegen der eigenen Gesundheit (79 Prozent) oder der Strafen bei Missachtung (61 Prozent). Junge Menschen seien sich der Verantwortung für die Gesundheit ihrer Mitmenschen bewusst, betonte der Vorsitzende des Kuratoriums der Tui-Stiftung, Thomas Ellerbeck.

Für die Studie befragte das Meinungsforschungsinstitut YouGov in Deutschland insgesamt 1011 junge Frauen und Männer im Alter von 16 bis 26 Jahren, und zwar zwischen dem 7. und 15. September. Auch soll ein Vergleich mit einer Befragung vom Januar möglich sein: Vom 6. bis 27. Januar wurden 7022 junge Menschen in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen befragt.

Junge Menschen in Deutschland litten in der Pandemie vor allem unter fehlenden sozialen Kontakten, doch überraschenderweise machte dies Erwachsenen ab 27 Jahren (52 Prozent) noch mehr zu schaffen, wie YouGov-Meinungsforscher Peter Mannott sagte. Unter Jugendlichen von 16 bis 20 Jahren äußerten sich 43 Prozent entsprechend, bei jungen Erwachsenen zwischen 21 und 26 Jahren waren es 41 Prozent. Unter Homeschooling oder Homeoffice litten vor allem die Jüngeren, 29 Prozent nannten dies als besondere Belastung, Erwachsene ab 27 (sechs Prozent) kamen mit der Heimarbeit besser zurecht.

Gleichzeitig haben junge Menschen der Studie zufolge immer mehr den Eindruck, dass die Politik eher die Interessen älterer Generationen im Auge hat. Im September sagten dies laut Umfrage 48 Prozent der jungen Deutschen, im Januar waren es noch 44 Prozent. Schon vor der Pandemie war der Generationenkonflikt für junge Leute in Deutschland relevanter als für andere junge Europäer: Demnach nahmen nur vier Prozent keinen Konflikt zwischen Jung und Alt wahr - in Spanien waren es 21 Prozent, in Frankreich 15 Prozent. Spittler, der die Studie wissenschaftlich begleitete, warnte, um das Verhältnis zwischen den Generationen in Deutschland sei es nicht gut bestellt: „Man kann also nur davor warnen, die Generationen gegeneinander auszuspielen.“

Auch laut der Mitte Mai veröffentlichten Studie „JuCo“ der Universitäten Frankfurt und Hildesheim fühlen Jugendliche sich in der Krise zu wenig beachtet und in ihren Sorgen zu wenig wahrgenommen. Fast die Hälfte bezweifelte, dass ihre Sorgen gehört werden, außerdem hatten sie den Eindruck, ausschließlich als Schülerinnen und Schüler wahrgenommen zu werden. Zu politischen Entscheidungen fühlten sie sich nicht gehört. Die Jugendämter in Deutschland forderten, deutlich mehr auf Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen einzugehen.

Gleichzeitig bleibt für junge Menschen trotz der Pandemie der Umwelt- und Klimaschutz das wichtigste politische Thema der EU (55 Prozent im Januar, 51 Prozent im September). Auch in den anderen befragten europäischen Ländern beherrschte der Umwelt- und Klimaschutz für junge Leute die Agenda: Seit 2019 gab es in Großbritannien einen Anstieg von 32 Prozent auf 51 Prozent, in Frankreich von 34 Prozent auf 46 Prozent und in Polen von 19 Prozent auf 46 Prozent.

Die 20 Jahre alte Studentin Stella Tringali sagte, vor allem Sozialkontakte hätten ihr in der Corona-Krise gefehlt - und Reisen, für die sie gearbeitet und gespart habe. Sie sprach sich für Solidarität aus: „Es war noch nie so leicht, solidarisch zu sein, wie jetzt - indem man zu Hause bleibt.“

© dpa-infocom, dpa:201022-99-41233/2

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Erstellt:
22. Oktober 2020, 18:03 Uhr

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