Klinikseelsorger: Ein gutes Gespräch kann wie eine Reise sein

Martin Stierand hat als Seelsorger den Betrieb des Klinikums Winnenden von Anfang an miterlebt, nun verabschiedet sich der Pastoralreferent Anfang Juli in den Ruhestand. Der 65-jährige Murrhardter blickt auf eine intensive, spannende und mit Corona auch einschneidende Zeit zurück.

Martin Stierand ist gern auf Pilgerreisen unterwegs, ob vor Ort oder in fremden Ländern. Dieser persönlichen Tradition wird er treu bleiben. Insofern gesellt er sich gern zur Jakobswegskulptur, die sich auf dem Areal des Klinikums Winnenden befindet. Der 65-Jährige pflegt übrigens auch den Abschnitt des Jakobswegs von dort bis Obermühle. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Martin Stierand ist gern auf Pilgerreisen unterwegs, ob vor Ort oder in fremden Ländern. Dieser persönlichen Tradition wird er treu bleiben. Insofern gesellt er sich gern zur Jakobswegskulptur, die sich auf dem Areal des Klinikums Winnenden befindet. Der 65-Jährige pflegt übrigens auch den Abschnitt des Jakobswegs von dort bis Obermühle. Foto: Alexander Becher

Von Christine Schick

Winnenden/Murrhardt. Im großen Regal seines Klinikdienstzimmers im Erdgeschoss des Hauptgebäudes machen sich ein paar Leerstellen bemerkbar. „Ich hab schon ein bisschen angefangen auszuräumen“, sagt Martin Stierand. Noch ist er als Krankenhausseelsorger präsent, auf den Gängen und vor dem Haus laufen immer wieder kurze Gespräche und der nächste Termin steht an – eine Krankenkommunion, ein Gottesdienst am Bett. Parallel hat Martin Stierand aber auch begonnen, seinen Nachfolger Thomas Blazek einzuführen.

Es freut ihn, dass ein so nahtloser Übergang möglich ist und – ganz grundsätzlich – dass die Diözese die Krankenhausseelsorge auch weiterhin finanziert. Stierand versteht sich als Ansprechpartner für alle Patientinnen und Patienten genauso wie für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Juli verabschiedet er sich in den Ruhestand – und von einer intensiven Berufsetappe. 2013 hatte sich der Pastoralreferent nach über zwei Jahrzehnten in der katholischen Gemeindearbeit in Murrhardt und Sulzbach an der Murr für die Krankenhausseelsorge der Rems-Murr-Kliniken beworben. Der Start fürs Klinikum Winnenden gestaltete sich zwar aufgrund einer Reihe von Bauproblemen als nicht ganz so einfach, aber Martin Stierand lässt keinen Zweifel daran, dass er seine Arbeit sehr schätzt.

Sicher, die zwei vergangenen Jahre mit Corona waren einschneidend, auch belastend. „Besonders hart war das anfangs für Patienten und Angehörige, als noch keine Impfungen und insofern auch keine Ausnahmeregelungen für Besuche möglich waren“, erzählt Stierand. „Die Trauer, wenn Menschen einsam gestorben sind, nimmt man schon ein Stück weit mit, und es ist die Frage, ob die Wunden je heilen können“, sagt er mit Blick auf die Angehörigen.

Schwere Themen neben der Pandemie

Situationen, die schwer und hart sind, gebe es aber auch jenseits der Pandemie. „Da ist das Thema Einsamkeit, wenn beispielsweise jemand auf der Isolierstation liegt, aber einen Hörer für ein Gespräch gar nicht mehr halten kann.“ Oder jemand, der allein ist, und es stelle sich die Frage, wie es weitergeht. Eine Auswirkung von Corona ist, dass die Erinnerungsfeiern – Treffen für Angehörige von Menschen, die auf der Onkologie und Palliativstation gestorben sind, – immer noch ausgesetzt sind, auch wenn die Arbeit sich insgesamt normalisiert habe. Aber auch vor dem Hintergrund der Pandemie resümiert Stierand: „Krankenhausseelsorger ¨– es war die richtige Entscheidung.“

„So belastend Krankenbesuche auch sein können, so interessant sind doch die Begegnungen.“ Letztere haben für den Seelsorger viel Potenzial, Neues zu entdecken. „Da muss ich nicht unbedingt nach Indonesien reisen“, sagt der 65-Jährige, der als Rucksacktourist und Weltenbummler schon viele Länder gesehen hat. Über die Gespräche mit einem Weinbauern ginge es dann eben ins Remstal und der Hoffnung entgegen, seine Rebstöcke wiederzusehen, oder mit einer Russlanddeutschen nach Kasachstan, die erzählt, wie ältere Menschen dort ihren Glauben trotz Repression gelebt haben.

Anrufe kommen oft nachts oder am Wochenende

Diese sehr persönlichen Geschichten gehören genauso zum Job wie die Entlastung der Pflegekräfte. „Die Anrufe erreichen uns meist während eines Wochenend- oder Nachtdienstes, wenn jemand im Sterben liegt“, berichtet er und dass er dann gern unterstütze. „Es gibt aber auch ruhigere Phasen“ beziehungsweise eine kontinuierlichere Begleitung von Patientinnen und Patienten, die damit verbunden sein kann, weitere Angehörige kennenzulernen. Sein Blick fällt auf das Schreiben eines Angehörigen. „Meine Mama hat Sie sehr gemocht, und Sie haben ihr ihre geliebten Pommes gebracht“, liest er vor und lächelt bei der Erinnerung daran, dass eben auch die Organisation einer Lieblingsspeise Teil des Auftrags sein kann.

Und jetzt? „Ich hab mich schon auf den Ruhestand vorbereitet“, sagt Stierand. Dem Wanderreisen wird er treu bleiben. Er möchte auch als freier Trauerredner arbeiten. Und er freut sich, dass er mehr Zeit für Familie inklusive der fünf Enkelkinder, hat.

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Erstellt:
27. Juni 2022, 11:00 Uhr

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