Spahn erwartet bald mehr Impfstoff - mehr als 30.000 Tote

dpa Berlin. Die Corona-Impfungen sind angelaufen. Doch der weltweit begehrte Impfstoff ist knapp. Die Opposition macht Druck. Gesundheitsminister Spahn gibt contra. Und dann gibt es da noch die Frage, wie lange der aktuelle Lockdown eigentlich laufen soll.

„Die Regierung sollte mit der pharmazeutischen Industrie insgesamt prüfen: Wo gibt es noch Kapazitäten, die genutzt werden können für die Produktion eines Impfstoffs?“, sagt Christian Lindner. Foto: Kay Nietfeld/dpa

„Die Regierung sollte mit der pharmazeutischen Industrie insgesamt prüfen: Wo gibt es noch Kapazitäten, die genutzt werden können für die Produktion eines Impfstoffs?“, sagt Christian Lindner. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rechnet damit, dass die Menge des in Deutschland zur Verfügung stehenden Corona-Impstoffs in den ersten Monaten des neuen Jahres deutlich wachsen wird.

Er begründete dies am Montag mit der Zulassung weiterer Präparate und erweiterten Produktionskapazitäten. Kritik am Tempo der Impfproduktion und Vorschläge zu ihrer Beschleunigung aus den Reihen der Opposition wies er zurück. Die Zahl der mit oder am Coronavirus gestorbenen Menschen in Deutschland überstieg zum Wochenbeginn die Marke von 30.000. Zugleich wurden erste Stimmen laut, dass der vorerst bis zum 10. Januar geltende Lockdown verlängert werden müsse.

Spahn verwies im ZDF-„Morgenmagazin“ auf eine Anlage der Schweizer Pharmafirma Novartis in Marburg, die vom Mainzer Unternehmen Biontech übernommen wurde. „Ziel ist, noch im Februar/März dort auch Produktion möglich zu machen. Und das würde die Menge enorm erhöhen“, sagte der CDU-Politiker.

Nach Angaben von Biontech sind in Marburg einige Umstellungen nötig, bevor es auch dort mit der Produktion des Covid-19-Impfstoffs losgehen kann. Diese solle im Februar anlaufen, wie eine Sprecherin des Unternehmens der dpa sagte. Die Freigabe des ersten dort produzierten Impfstoffs peilt das Unternehmen den Angaben zufolge für Ende März an. Im ersten Halbjahr 2021 sollen dort 250 Millionen Impfdosen hergestellt werden. Als Gesamtmenge einer Jahresproduktion strebt das Mainzer Unternehmen 750 Millionen Dosen an.

Gesundheitsminister Spahn rechnet zudem „in den ersten Januartagen“ mit der Zulassung des Impfstoffs von US-Hersteller Moderna, wie er im Interview mit der „Bayern 2-radioWelt“ des Bayerischen Rundfunks deutlich machte. Zwei bis drei weitere Kandidaten seien auf dem Weg in die Zulassung, fügte er hinzu und bekräftigte erneut das Ziel, bis zum Sommer jedem Bürger ein Impfangebot machen zu können. „Weihnachten nächstes Jahr soll wieder normal werden können.“

FDP-Chef Christian Lindner hatte am Sonntag in einer „Bild“-Sendung gefordert, Deutschland müsse rechtlich, wirtschaftlich, politisch und technologisch alles tun, damit schneller geimpft werden könne. Man sollte darüber nachdenken, ob ein knapper Impfstoff wie der von Biontech nicht von anderen Herstellern in Lizenz produziert werden könnte. Der Linken-Gesundheitspolitiker Achim Kessler hatte im „Spiegel“ sogar gefordert, Impfstoff-Hersteller zu zwingen, anderen Unternehmen eine Lizenz zum Nachproduzieren zu gewähren.

Spahn sagte dazu: „Eine Produktion für einen Impfstoff ist hoch anspruchsvoll und hochkomplex, die kann man nicht mal eben per Lizenz bei einem anderen Unternehmen machen.“ Gerade auch für das Vertrauen in den Impfstoff sei es wichtig, dass alle Qualitätsanforderungen eingehalten würden.

Für die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna sind dem Gesundheitsministerium zufolge insgesamt 136,3 Millionen Dosen sicher, die nahezu alle 2021 geliefert werden könnten. Mit je zwei nötigen Dosen ließen sich so rechnerisch 68,2 Millionen Bürger impfen - bei 83 Millionen Einwohnern in Deutschland.

Die Gesundheitsämter meldeten unterdessen binnen 24 Stunden 348 weitere Todesfälle - damit stieg die Zahl der mit oder am Coronavirus gestorbenen Menschen in Deutschland auf 30.126, wie das Robert Koch-Institut (RKI) am Montagmorgen bekannt gab. Darüber hinaus wurden 10.976 Corona-Neuinfektionen gemeldet.

Die Zahl der Neuinfizierten und der Opfer sind aber nur bedingt mit den Werten der Vorwoche vergleichbar, da das RKI während der Feiertage und zum Jahreswechsel hin mit einer geringeren Zahl an Tests und auch weniger Meldungen von den Gesundheitsämtern rechnete. Vor genau einer Woche waren 16.643 Neuinfektionen binnen eines Tages gemeldet worden. Bei den Todesfällen war der Höchststand von 952 am 16. Dezember registriert worden.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach geht davon aus, dass die Zahl der Corona-Toten in Deutschland heute ohne die seit März ergriffenen Maßnahmen um ein Vielfaches höher wäre. Die Zahl lasse sich zwar schwer ermitteln, weil die Menschen sich aus Angst vor dem Virus stark zurückgezogen hätten, sagte Lauterbach der Deutschen Presse-Agentur. „Sicherlich wären aber bisher 250.000 Menschen in Deutschland gestorben und wir hätten noch immer keine vollständige Herdenimmunität“, fügte er hinzu.

Kanzleramtschef Helge Braun hält eine Verlängerung des verschärften Lockdowns über den 10. Januar hinaus für wahrscheinlich. „Ich rechne damit, dass wir zunächst am 5. Januar, wenn wir uns das nächste Mal treffen, das Ganze noch nicht genau beurteilen können und deswegen den Lockdown noch fortsetzen müssen“, sagte der CDU-Politiker am Montag in einem Interview mit RTL/ntv. Auch Saarlands Regierungschef Tobias Hans (CDU) sprach sich für eine Verlängerung aus. Die aktuellen Infektionszahlen seien trügerisch, sagte er den Sendern.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) rechnet ebenfalls damit, dass die aktuellen Corona-Einschränkungen nicht am 10. Januar enden werden. „Wenn die Ministerpräsidenten am 5. Januar erneut beraten, wird nichts auf Lockerungen hindeuten“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Wir gehen alle davon aus, dass der Lockdown verlängert werden muss.“ Er richte sich darauf ein, „dass wir bis März mit Einschränkungen leben müssen“.

© dpa-infocom, dpa:201227-99-826106/9

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei einer Pressekonferenz vor dem Start des Impfprogramms gegen die Coronavirus-Erkrankung (COVID-19). Foto: Michele Tantussi/Reuters/Pool/dpa

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei einer Pressekonferenz vor dem Start des Impfprogramms gegen die Coronavirus-Erkrankung (COVID-19). Foto: Michele Tantussi/Reuters/Pool/dpa

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Erstellt:
28. Dezember 2020, 00:31 Uhr

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