Metzgerei Kühnle und Veterinäramt gemeinsam am Pranger

Im ARD-Magazin Report Mainz werden nicht nur Missstände im Backnanger Schlachtbetrieb Kühnle kritisiert, sondern auch „das Versagen staatlicher Veterinärämter“. Die Soko Tierschutz spricht angesichts der gezeigten Bilder von „brutaler Gewalt und inkompetenten Mitarbeitern“.

In der Kühnle-Zentrale in der Sulzbacher Straße wurde an acht Tagen heimlich gefilmt. Derzeit ist der Schlachtbetrieb eingestellt. Foto: privat

In der Kühnle-Zentrale in der Sulzbacher Straße wurde an acht Tagen heimlich gefilmt. Derzeit ist der Schlachtbetrieb eingestellt. Foto: privat

Von Matthias Nothstein

Backnang. Heimliche Filmaufnahmen haben dazu geführt, dass die Backnanger Metzgerei Kühnle ihren Schlachtbetrieb eingestellt hat. Am späten Dienstagabend wurden Teile dieser Aufnahmen im ARD-Magazin Report-Mainz unter dem Titel „Schlachthofskandal: Veterinäre schauen bei Tierschutzverstößen weg“ ausgestrahlt. Darin prangerte Report-Moderator Fritz Frey nicht nur die Zustände in dem Betrieb an, sondern auch „das Versagen staatlicher Veterinärämter“.

Was ist auf den Aufnahmen zu sehen? Es gibt eine Passage, bei der ein Rind lange nach dem Betäubungsschuss noch Abwehrbewegungen zeigt. Und der Entblutungsschnitt, der zu einem schnellen Tod führen soll, wird laut Report so gesetzt, dass es noch Minuten dauert, ehe das Tier tot ist.

Laut Friedrich Mölln von der Tierrechtsgruppe Soko Tierschutz mit Sitz in München ist das Geschehen an acht Schlachttagen mit versteckten Kameras aufgezeichnet worden. Sein Urteil fällt eindeutig aus: „Auf dem Material sieht man Fehlbetäubungen, es gibt brutale Gewalt, technisches Versagen, inkompetente Mitarbeiter – und das alles mit bester Überwachung des Amtes, sogar mit den extra dafür geforderten Videokameras.“ Auch der Verbandsvorsitzende der Schlachthofveterinäre, Kai Braunmiller, lässt in seiner Stellungnahme an Klarheit nichts missen: „Das ist das Zufügen von länger anhaltenden, erheblichen Schmerzen und Leiden, die unnötig sind. Das ist für mich ein Straftatbestand, weil keiner ein Interesse zeigt, die Reflexe zu kontrollieren.“ Als Konsequenz würde er fordern, den Schlachtbetrieb zu schließen.

Elektrotreiber „unverhältnismäßig und rechtswidrig eingesetzt“

Dies hat die Metzgerei von sich aus auch gemacht, nachdem die Geschäftsführung vergangene Woche mit den Aufnahmen konfrontiert worden ist. Allerdings lässt Kühnle über seine Anwälte mitteilen, dass nach Mitteilung des Veterinäramtes des Rems-Murr-Kreises eine Schließung des Schlachtbetriebes „nicht notwendig gewesen“ wäre. „Unsere Mandantin hat sich dennoch für eine Aussetzung des Schlachtbetriebes entschieden, um die Vorgänge in Ruhe und verlässlich aufklären zu können.“

Das Bildmaterial zeigt auch Missstände beim Zutrieb der Rinder in die Betäubungshalle. Ein Mitarbeiter treibt die Tiere, so heißt es bei Report, „mit einem Elektrotreiber vorwärts“, das ist nach Ansicht des Experten unverhältnismäßig und rechtswidrig. Doch laut Report kommt es noch schlimmer: Der Tierarzt vom Amt, der die Schlachtung überwachen sollte, kontrolliert nicht nur das Geschehen, sondern er unterstützt die Schlachthofmitarbeiter sogar, „indem er die Rinder ebenso mit dem Elektroantreiber antreibt“. Braunmiller wird auch hier deutlich: „Das darf so nicht passieren. Das muss vonseiten des Amtes auch Konsequenzen haben . So einen Mitarbeiter könnte ich bei mir nicht beschäftigen.“

Es sei kein Strom im Treiber geflossen

Auch beim Thema Elektroantreiber widersprechen Kühnles Anwälte den Schilderungen. Grundsätzlich sei der Einsatz eines elektrischen Viehtreibers nicht unzulässig. Zudem sei im vorliegenden Fall ein Gerät verwendet worden, das keinen Strom führt. Im Anwaltsschreiben heißt es: „Zu keinem Zeitpunkt erfolgt durch die Mitarbeiter ein unkontrollierter Einsatz des (elektrischen) Treibers.“

Zuständig für die Überwachung des Schlachthofs ist das Veterinäramt Rems-Murr. Der Leiter des Amtes, Thomas Pfisterer, verweist darauf, dass er das Video zwar seit dieser Woche kennt, es im Amt aber noch nicht vorliegt. Auf die Frage, was er dazu sagt, dass der Veterinär im vorliegenden Fall „zum Teil des Betriebs“ wird, erklärt der Amtsleiter: „Wenn unser Mitarbeiter Fehler begeht, dann werden wir es mit ihm besprechen und auch prüfen, ob Maßnahmen einzuleiten sind.“ Weitere Auskünfte zum Verhalten des Veterinärs wurden abgelehnt.

Das Veterinäramt beobachtet die Metzgerei bereits seit zwei Jahren

Dass der Fall inzwischen bei der Staatsanwaltschaft angezeigt wurde, kann er nicht bestätigen, „wir haben nur die mündliche Information, dass Strafanzeige gestellt worden sein soll“. Grundsätzlich sagt Pfisterer: „Wir nehmen die Vorwürfe, die unseren Mitarbeiter betreffen, sehr ernst und arbeiten sie auf. Aber zunächst stehen wir hinter unserem Mitarbeiter, bis wir das Videomaterial gesichtet haben.“

Der Veterinäramtschef betont, dass seine Behörde die Metzgerei bereits seit zwei Jahren unter Beobachtung habe. Die Hauptmängel würden sich jedoch auf technisch-bauliche Unzulänglichkeiten beim Zutrieb der Tiere beziehen. Ein tierschutzrechtliches Verwaltungsverfahren mit Zwangsmaßnahmen sei bereits eingeleitet worden. Allerdings sagte Pfisterer auch: „Insgesamt und bis jetzt haben wir die Betäubung im Betrieb Kühnle als ausreichend und in der Regel gut gesehen. Es gilt jetzt, die Aufnahmen nochmals auszuwerten, welche Verstöße tatsächlich vorliegen.“

Betrieb war „nicht kooperativ und musste bereits Zwangsgelder bezahlen“

Auf Nachfrage betonte Pfisterer gestern aber auch, dass der Betrieb entgegen dessen eigener Darstellung in der Vergangenheit nicht kooperativ gewesen sei und sogar bereits vierstellige Zwangsgelder bezahlt habe, weil nötige Umbaumaßnahmen nicht fristgerecht erledigt worden seien.

Allerdings seien die Defizite bislang nicht so gravierend gewesen, dass eine Schließung angezeigt gewesen wäre. „Im Bereich der Rinderschlachtung waren wir zum jetzigen Zeitpunkt bei dem Ergebnis, dass eine Betriebsschließung noch nicht erforderlich ist. Aber eine weitere Stufe hätte dazu hingeführt, dass wir eine Betriebsschließung bei der Rinderschlachtung hätten androhen müssen.“ In der ARD-Sendung nennt Pfisterer als Zeitrahmen „zwei bis vier Wochen“. Und gestern betonte er, „dies wäre auch ohne das Video geschehen“.

Erst nach den Report-Recherchen hat das Unternehmen geschlossen

Report-Moderator Frey hat da so seine Zweifel: „Ob der Schlachthof Kühnle wirklich geschlossen worden wäre? Fakt ist, nicht das Amt hat den Betrieb geschlossen, die Report-Recherchen veranlassten das Unternehmen zu diesem Schritt.“

In Bezug auf die langsame Umsetzung der angemahnten Änderungen verteidigt sich Kühnle ebenso via Anwälten. So heißt es in einer zehnseitigen Stellungnahme, die Umsetzung der behördlichen Vorgaben beim Zutrieb der Rinder habe sich aufgrund der baulichen Gegebenheiten des Schlachthauses als schwierig erwiesen. Trotzdem seien die baulichen Gegebenheiten bereits optimiert worden. Zudem seien weitere Maßnahmen beauftragt gewesen. So wurden Pläne zur Optimierung des Zutriebs erstellt, deren Umsetzung umfangreiche Umbauarbeiten erfordern.

Nach intensiver und langer Suche sei ein Unternehmen gefunden worden, das zusagte, eine neue Rinderfalle mit automatischem Zutrieb bis Februar 2023 zu liefern. In dem Schreiben heißt es: „Für die Übergangszeit hat unsere Mandantin in Absprache mit der Behörde bereits Umbaumaßnahmen vornehmen lassen, unter anderem wurden die Rinderfalle abgeändert, die Schlachtzahlen reduziert sowie eine neue Rampe zur Großviehfalle gebaut.“

Missstände wurden in der Vergangenheit allesamt von Tierschützern aufgedeckt

16 Schließungen In den vergangenen vier Jahren sind mittlerweile vier Schlachthöfe allein in Baden-Württemberg geschlossen worden, nämlich vor Backnang auch in Tauberbischofsheim, Biberach und Gärtringen. Bundesweit waren es gar 16 Betriebe. Die Missstände, die dazu führten, wurden allesamt von Tierschützern aufgedeckt. Häufig sind amtliche Veterinäre nicht eingeschritten.

Mehr Überwachung Das Bundeslandwirtschaftsministerium verweist in dieser Frage zum einen auf die Zuständigkeit der Länder. Zum andern kündigt es an, die Videoüberwachung in den Schlachthöfen intensivieren zu wollen. Auch die Betäubungsgeräte sollen häufiger kontrolliert werden.

Report-Fazit Moderator Fritz Frey zieht folgendes Fazit: „Nach all den Skandalen wird es höchste Zeit, dass die amtliche Überwachung von Schlachthöfen verstärkt wird und konsequent die begangenen Tierrechtsverstöße auch geahndet werden. Oftmals handelt es sich um Straftaten, und die sollten auch so behandelt werden.“

Freiwillige Kameras Kühnle hat sich am Programm des Landes zur freiwilligen Ausstattung mit Kameras zwar beteiligt. Aber in einer Pressemitteilung schreibt das Veterinäramt: „Leider wurde das Material wegen datenschutzrechtlicher Bedenken jedoch der amtlichen Überwachung nur unvollständig und unregelmäßig zur Verfügung gestellt. Eine rechtliche Handhabe, jederzeit auf das Material ohne Zustimmung des Betreibers zuzugreifen, haben wir leider nicht.“ Festgestellte Verstöße würden seitens des Veterinäramts verfolgt.

Mehr Personal Das Veterinäramt hatte aufgrund der festgestellten Mängel das amtliche Personal in diesem Betrieb deutlich verstärkt, spezifisch geschult und dessen Präsenz im Betrieb deutlich erhöht: Das Amt schreibt: „Die amtlichen Kontrollen erfolgten risikoorientiert, regelmäßig, aber nicht durchgängig. Dies ist weder vorgegeben noch leistbar.“

Partner Die landwirtschaftlichen Partner der Metzgerei Kühnle können ihre Tiere derzeit in einen anderen Betrieb in der Region bringen.

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Erstellt:
25. August 2022, 06:00 Uhr

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