Nach langer Zeit endet Langes Zeit

23 Jahre saß der SPD-Abgeordnete Christian Lange im Bundestag, nun verabschiedet er sich aus der Politik. Was er in Zukunft machen wird, weiß der 57-Jährige noch nicht, für den Ruhestand fühlt er sich aber zu jung.

Zwischen diesen beiden Fotos liegen 23 Jahre. Das linke zeigt Christian Lange bei seiner ersten Bundestagsrede am 2. Dezember 1998, damals noch in Bonn. Das rechte Bild wurde bei seiner allerletzten Rede am 10. Juni dieses Jahres aufgenommen. Fotos: Deutscher Bundestag/Presse-Service Steponaitis, Büro Christian Lange

Zwischen diesen beiden Fotos liegen 23 Jahre. Das linke zeigt Christian Lange bei seiner ersten Bundestagsrede am 2. Dezember 1998, damals noch in Bonn. Das rechte Bild wurde bei seiner allerletzten Rede am 10. Juni dieses Jahres aufgenommen. Fotos: Deutscher Bundestag/Presse-Service Steponaitis, Büro Christian Lange

Von Kornelius Fritz

Backnang. Eigentlich ist es für einen Abschiedsartikel über Christian Lange noch zu früh, denn der SPD-Politiker aus Backnang ist weiterhin im Amt. Als Abgeordneter noch bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags am 26. Oktober, als parlamentarischer Staatssekretär sogar bis zur Einsetzung einer neuen Regierung. Je nachdem, wie lange sich die Koalitionsgespräche hinziehen, kann sich Langes Einsatz in Berlin also noch um einige Wochen oder sogar Monate verlängern. „Ich stecke nach wie vor voll in Arbeit“, versichert der 57-Jährige. Trotzdem hat er die Pressevertreter gestern Vormittag zum letzten Mal in sein Wahlkreisbüro am Backnanger Burgplatz eingeladen, um so etwas wie eine Abschlussbilanz zu ziehen.

Als junger Referent im Landeswirtschaftsministerium war Christian Lange 1998 im Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd angetreten, um den langjährigen SPD-Abgeordneten Robert Antretter zu beerben. Dass das klappen würde, war keineswegs sicher: Lange kandidierte auf Platz 26 der Landesliste, in der vorherigen Legislaturperiode hatte die SPD in Baden-Württemberg nur 25 Bundestagsabgeordnete gestellt. Doch die Wahl endete mit einem klaren Sieg für die SPD und ihren Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder. Die ganze Partei war in Euphorie: „Eine solche Welle der Sympathie für die SPD hat es seitdem nie wieder gegeben“, erinnert sich Lange.

In den 23 Jahren, in denen er im Bundestag saß, musste er mit seiner Partei dann auch etliche herbe Niederlagen einstecken. Umso mehr freut es Christian Lange, dass die SPD vor zwei Wochen, auch für ihn überraschend, wieder stärkste Partei geworden ist. „Was gibt es Schöneres, als wenn die SPD zum Ende meiner Amtszeit wieder den Bundeskanzler stellt?“ Noch ist es zwar nicht so weit, aber der Backnanger glaubt, dass eine Ampelkoalition funktionieren kann: „So eine neue Konstellation bietet Riesenchancen. Sie kann auch eine neue politische Kultur begründen.“

Christian Lange beobachtet das Ganze mit einem gewissen Abstand. Bereits im Frühjahr 2020 hatte er entschieden, nicht mehr zur Wahl anzutreten. „Nach fast einem Vierteljahrhundert im Bundestag ist es jetzt auch mal gut“, sagt er. An dieser Überzeugung hat auch der jüngste Erfolg seiner Partei nichts geändert. Wie es für ihn persönlich weitergeht, lässt Lange offen. Als parlamentarischer Staatssekretär im Justizministerium ist er Mitglied der Regierung. Nach seinem Ausscheiden aus dem Amt gilt für ihn deshalb eine 18-monatige Karenzzeit. Solange kann er einen neuen Job nur annehmen, wenn kein Interessenkonflikt zu seiner bisherigen Tätigkeit besteht.

Lange selbst hatte sich für diese Regelung starkgemacht, nachdem früher etliche hochrangige Politiker einen fliegenden Seitenwechsel vollzogen und als hoch bezahlte Lobbyisten in der Wirtschaft angeheuert hatten. Lange sagt, er wolle die Zeit nutzen, um sich neu zu orientieren. Ausschließen kann er lediglich zwei Dinge: In seinen früheren Job im Ministerium werde er nicht zurückkehren und der Ruhestand sei für ihn mit 57 Jahren auch noch kein Thema.

Ob er sich weiter politisch engagieren wird, weiß Lange auch noch nicht. Seine letzten Parteiämter will er beim nächsten SPD-Landesparteitag auf jeden Fall abgeben. Ein Ehrenamt behält er aber : Der Jurist ist Präsident der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit, die unter anderem Regierungen in afrikanischen Ländern beim Ausbau rechtsstaatlicher Strukturen unterstützt. „Das ist eine sehr schöne und sinnstiftende Aufgabe.“

Als Christian Lange 1998 in den Bundestag einzog, hatte dieser seinen Sitz noch in Bonn. Der Umzug nach Berlin ein Jahr später war nicht nur ein räumlicher, auch das Medieninteresse sei in der Hauptstadt wesentlich größer gewesen. Später kamen dann noch die sozialen Medien hinzu. Heute, sagt Lange, genüge ein einziger Tweet, um es in die Zeitung zu schaffen, aber auch, um einen „Shitstorm“ zu entfachen. Beides hat er schon persönlich erlebt.

Befragt nach den Höhepunkten seiner sechs Legislaturperioden, fällt Christian Lange zunächst seine Ernennung zum parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Fraktion ein. Das war 2007 und der Fraktionschef hieß damals Peter Struck. Der wies Lange in seiner ersten Sitzung gleich mal zurecht, weil er ohne Krawatte erschienen war. „Kaum gewählt und schon im Urlaub?“, habe ihn der gestrenge Fraktionschef gefragt, nachdem er seine Garderobe gemustert habe. „Von da an bin ich immer mit Krawatte in die Fraktionssitzungen gekommen.“ Auch an seinen Aufstieg zum Staatssekretär erinnert sich Lange noch gut. Der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel habe ihm den Posten 2013 am Telefon angeboten. „Ich hatte eine Minute Bedenkzeit und habe direkt zugesagt.“

Auch im Wahlkreis gab es Erlebnisse, die Christian Lange in Erinnerung geblieben sind. Zum Beispiel seine Aktion „Politik und Hefezopf“, bei der der SPD-Politiker regelmäßig Wählerinnen und Wähler zu Hause besuchte, um mit ihnen am Kaffeetisch über politische Themen zu plaudern. „Das war eine tolle Möglichkeit, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die ich sonst vermutlich nicht erreicht hätte. Das hat mir immer großen Spaß gemacht.“

Die politischen Themen im Wahlkreis haben sich seit 1998 kaum geändert. Damals wie heute spielen vor allem Straßenbauprojekte eine wichtige Rolle, allen voran die B14. Die ist zwar nach wie vor nicht bis Backnang ausgebaut, immerhin stehe aber die Finanzierungszusage vom Bund, und mit der Ortsumfahrung Winnenden und dem Bau des Leutenbachtunnels habe man ein Nadelöhr schon entschärft.

Auf Bundesebene hat sich Christian Lange vor allem für eine saubere und transparente Politik eingesetzt. Dass die Anti-Korruptionsregeln für Abgeordnete verschärft wurden, schreibt er auch seiner Arbeit im Justizministerium auf die Fahnen. „Wir haben damit einen Beitrag zur politischen Kultur geleistet, der bleiben wird.“ Auch bei den Einkünften der Volksvertreter hält Lange Transparenz für wichtig: Bei seiner letzten Pressekonferenz hat er deshalb noch einmal alle Einkünfte und Ausgaben für seine Mandatstätigkeit offengelegt.

Christian Lange
hofft, dass eine Ampelkoalition zustande kommt „Was gibt es Schöneres, als wenn die SPD zum Ende meiner Amtszeit wieder den Bundeskanzler stellt?“
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Erstellt:
8. Oktober 2021, 06:00 Uhr

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