Polizeigewalt in Frankreich: Schock über brutales Video

dpa Paris. Was die Videoaufnahmen zeigen, wirkt völlig willkürlich. Warum haben es drei Polizisten auf einen Musikproduzenten abgesehen? Die Bilder empören - und heizen die Debatte über Polizeigewalt in Frankreich an.

Musikproduzent Michel (r) spricht zu den Medien. Er wurde von Polizisten verprügelt. Foto: Thibault Camus/AP/dpa

Musikproduzent Michel (r) spricht zu den Medien. Er wurde von Polizisten verprügelt. Foto: Thibault Camus/AP/dpa

Faustschläge. Immer wieder. Gedränge. Drei gegen einen. Verstörende Szenen. Was passiert da?, fragt sich ganz Frankreich. Es ist das Video eines Polizeieinsatzes, das fassungslos und wütend macht.

Ein Musikproduzent wird im Eingang seines Pariser Tonstudios von drei Polizisten brutal attackiert - am Ende ist es er, der in Polizeigewahrsam landet. Sein Glück: Eine private Überwachungskamera filmt den Vorfall. Sogar Präsident Emmanuel Macron reagiert - es heißt, er sei „sehr schockiert“. Reicht das?

Es ist das zweite Mal innerhalb einer Woche, dass brutales Vorgehen der Polizei Frankreich erschüttert. Vor ein paar Tagen waren es Videoaufnahmen von der aggressiven Räumung eines Migrantencamps in Paris, die viele sprachlos machten. Die Vorfälle heizen die Debatte um ein Sicherheitsgesetz an, mit der die Regierung die Polizei besser schützen will und gleichzeitig Videoaufnahmen von Polizeieinsätzen einschränken möchte.

Aus Protest gegen das umstrittene Gesetz gingen Tausende Menschen auf die Straßen. Allein in Paris demonstrierten etwa 46.000 Menschen, wie die französische Nachrichtenagentur AFP mit Verweis auf das Innenministerium berichtet. Demonstranten errichteten Barrikaden und bewarfen die Polizei mit Gegenständen. Laut Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin wurden in ganz Frankreich insgesamt 37 Polizisten und Gendarmen bei den Protesten verletzt. Er verurteilte die Gewalt via Twitter als inakzetabel. Nach Angaben der Pariser Polizei wurden neun Personen festgenommen.

Auch in Städten wie Straßburg, Marseille und Lyon gab es Demonstrationen. In der bretonischen Stadt Rennes kam es vereinzelt zu Ausschreitungen, wie die französische Nachrichtenagentur AFP berichtet. Die Polizei setzte Tränengas ein.

Ein Artikel des umstrittenen Gesetzes sieht vor, die Veröffentlichung von Bildern von Sicherheitsbeamten im Einsatz unter Strafe zu stellen, wenn diese mit dem Ziel erfolgt, die körperliche oder seelische Unversehrtheit der Polizistinnen oder Polizisten zu verletzen. Eine Gefängnisstrafe von einem Jahr oder eine Strafe von 45.000 Euro könnten demnach die Konsequenz sein.

Immer wieder kommt es in Frankreich zu Polizeigewalt - oft aufgedeckt durch Videoaufnahmen. Es reicht ein Blick in die jüngste Vergangenheit. Während der „Gelbwesten“-Proteste machten Bilder brutaler Polizeieinsätze die Runde. Die Sicherheitskräfte gingen mit Hartgummigeschossen auch gegen friedliche Demonstrierende vor, mehrere Menschen wurden schwer im Gesicht verletzt, verloren ein Auge. Es gab internationale Kritik.

Im Januar starb ein Rollerfahrer nach einer Polizeikontrolle - seine Autopsie ergab einen Kehlkopfbruch. Auch hier zeigt ein Video den Vorfall. Im Sommer demonstrierten Tausende gegen Rassismus und Polizeigewalt. Organisiert wurden die Proteste von der Schwester eines jungen Schwarzen, der 2016 bei einer Festnahme starb. Viele sehen ein strukturelles Problem bei der französischen Polizei.

Auch der Musikproduzent Michel Z. ist schwarz. Er gibt an, von den Beamten mehrmals rassistisch beleidigt worden zu sein. Er schildert, dass er in der Nähe seines Studios im 17. Arrondissement ohne Corona-Maske unterwegs gewesen sei, obwohl dies Pflicht ist. Dann sei ein Polizeiauto gekommen, er sei in das wenige Meter entfernte Studio gegangen. Die Polizisten seien ihm gefolgt. Dann beginnt die Aufnahme der Überwachungskamera, achteinhalb Minuten etwa.

Die Bilder zeigen, wie die Beamten Z. in den Eingang drängen, schlagen. „Ich habe mir immer gesagt: Wenn du jetzt zu Boden fällst, bleibst du dort. Dann kommst du nicht mehr hoch“, schildert der Produzent dem Magazin „Loopsider“, das die Aufnahmen veröffentlicht hat. Mithilfe von Musikern aus dem Studiokeller kann er die Polizisten schließlich aus dem Studio drängen. Wenige Minuten später fliegt eine Tränengaskartusche in das Studio. Berichten zufolge geben die Beamten an, Z. habe sie angegriffen.

Die Aufnahmen zeigen anderes. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die drei beteiligten Beamten und einer ihrer Kollegen wurden suspendiert und am Freitagnachmittag zur Befragung selbst in Polizeigewahrsam genommen. Innenminister Gérald Darmanin gerät unter Druck. Er fordert die Entlassung der Beamten, sollte sich das Fehlverhalten bestätigen. Sie hätten „die Uniform der Republik beschmutzt“. Dennoch wirkt er eher trotzig. Darmanin gilt als konservativer Hardliner, als Gesicht von Recht und Ordnung. Er verteidigt die Polizei. Und ja, diese steht auch wegen der Terroranschläge im Land unter Druck.

Darmamin ist es auch, der trotz massiver Kritik das neue Sicherheitsgesetz verteidigt. Es solle „diejenigen schützen, die uns schützen“. Ein umstrittener Artikel sieht vor, dass die Veröffentlichung von Bildern von Sicherheitsbeamten im Einsatz, die das Ziel verfolgt, die körperliche oder seelische Unversehrtheit von Polizistinnen oder Polizisten zu verletzen, bestraft wird. Eine butterweiche Formulierung mit riesigem Interpretationsspielraum. Viele Medien fürchten um die Pressefreiheit.

Die Regierung behauptet zwar immer wieder, dass die Pressefreiheit nicht in Gefahr gerate - überzeugen tut das kaum. Premierminister Jean Castex wollte nun, dass eine „unabhängige Kommission“ an der Formulierung des Artikels arbeitet - das Parlament ging auf die Barrikaden, Castex machte einen Rückzieher. Einen Demonstrationszug gegen das Gesetz an diesem Samstag in Paris hatte die Polizei zunächst verboten. Nach einer Gerichtsentscheidung kann der Protestmarsch nun doch stattfinden. Auch eine Versammlung auf der Place de la République ist erlaubt. Dort war die Lage gerade erst eskaliert - bei der Räumung des Migrantencamps.

© dpa-infocom, dpa:201127-99-489675/9

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Erstellt:
27. November 2020, 16:37 Uhr

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