Regionalplaner spüren im Rems-Murr-Kreis Gegenwind

Mehr als 200 Menschen informieren sich im Backnanger Bürgerhaus über die geplanten Vorranggebiete für Windkraftanlagen. Dabei sind auch viele kritische Stimmen zu hören, die Veranstalter erlauben aber keine Grundsatzdiskussionen.

Mitglieder einer Bürgerinitiative nutzen die Veranstaltung zum Protest gegen den Bau von Windrädern in Waldgebieten. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Mitglieder einer Bürgerinitiative nutzen die Veranstaltung zum Protest gegen den Bau von Windrädern in Waldgebieten. Foto: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Die Veranstalter hatten das Interesse am Thema Windkraft offensichtlich unterschätzt. Sonst hätten sie wohl den großen Saal im Backnanger Bürgerhaus gebucht. Stattdessen drängten sich am Montagabend mehr als 200 Menschen im kleineren Fritz-Schweizer-Saal. Viele mussten die zweistündige Veranstaltung im Stehen verfolgen. Unter den Besuchern waren Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker, aber auch interessierte Bürgerinnen und Bürger, von denen viele den Ausbau der Windkraft kritisch sehen. Mitglieder der Bürgerinitiative „Walderhalt statt Windindustrie“ machten ihren Protest auch auf Bannern und T-Shirts deutlich.

Keine Grundsatzdiskussionen

Wer allerdings darauf gehofft hatte, an diesem Abend eine Grundsatzdiskussion über Sinn oder Unsinn von Windrädern zu führen, wurde enttäuscht. „Wir wollen heute nicht über Windenergie diskutieren, sondern nur über den Regionalplan“, machte Moderatorin Stefanie Heng-Ruschek gleich zu Beginn deutlich. Schließlich hat der Verband Region Stuttgart, der zu dem Infoabend eingeladen hatte, weder die Energiewende noch das Flächenziel für die Windkraft erfunden. Seine Aufgabe ist es lediglich, die gesetzlichen Vorgaben von Bund und Land auf regionaler Ebene umzusetzen. Diese sehen vor, dass mindestens 1,8 Prozent der Landesfläche als sogenannte Vorranggebiete für Windenergie ausgewiesen werden müssen.

Regionalplaner spüren im Rems-Murr-Kreis Gegenwind

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Der Verband Region Stuttgart (VRS) erledigt dies für die Landeshauptstadt und fünf umliegende Landkreise. Der aktuelle Planentwurf sieht insgesamt 106 Vorranggebiete vor, davon 24 im Rems-Murr-Kreis. „Es geht dabei auch um die Versorgungssicherheit vor Ort“, erklärte Thomas Kiwitt, leitender Technischer Direktor beim VRS. Der Zugang zu regenerativ erzeugtem Strom werde zunehmend zu einem Standortfaktor für die Region. Abgesehen davon könnte man sich der Energiewende auch gar nicht widersetzen. Würde der Verband die geforderten Vorranggebiete nicht ausweisen, dürften Windräder fast überall gebaut werden. „Dann verlieren wir unsere Steuerungsmöglichkeiten. Das kann keine Strategie sein“, machte Kiwitt deutlich.

Vorranggebiete auch im Wald

Solange der Verband die Vorranggebiete selbst auswählt, kann er hingegen auf viele Belange Rücksicht nehmen, wie Planer Simon Peter erläuterte. So wurden etwa neben Naturschutzgebieten auch ökologisch wichtige FFH-Gebiete ausgeklammert. Auch der Blick auf historische Denkmäler und besondere Landmarken soll nicht durch Windräder gestört werden. Deshalb sind zum Beispiel in der Nähe der Burg Reichenberg und am Juxkopf keine Vorranggebiete geplant. Auch potenzielle Flächen für neue Wohngebiete werden frei gehalten.

Kein Kriterium ist hingegen, ob die möglichen Windkraftstandorte im Wald liegen. Dies ist laut Kiwitt sogar bei zwei Drittel der Vorranggebiete der Fall, weil die Höhenzüge, auf denen der Wind am stärksten bläst, häufig bewaldet sind. Das sei aber „kein besonderes Problem“, erklärte der Planer. Laut Kiwitt lässt sich die ökologische Leistungsfähigkeit des Waldes nach dem Bau von Windrädern wieder voll herstellen. Und die Auswirkungen auf das Landschaftsbild seien dort sogar geringer als anderswo: „Wenn ein Windrad auf dem offenen Land steht, sieht man es schon aus weiter Entfernung, im Wald erst, wenn Sie direkt davorstehen.“ Viele Zuhörer im Publikum waren da anderer Meinung und quittierten diese Aussagen mit Pfiffen und Buhrufen.

Umzingelung von Gemeinden befürchtet

Mehrfach wurde auch die Sorge geäußert, dass Gemeinden von Windrädern „umzingelt“ werden. So beklagte etwa ein Bewohner aus Spiegelberg-Jux, dass gleich sieben Vorranggebiete um die kleine Gemeinde herum geplant seien. Simon Peter versicherte jedoch, rund um jeden Ort werde es mindestens zwei Abschnitte von jeweils 60 Grad geben, in denen der Blick nicht auf Windräder fällt. Schutz vor „visueller Überlastung“ nennen das die Planer.

Allerdings wurde auch deutlich, dass ein Ausbau der Windkraft ohne negative Auswirkungen auf Umwelt und Landschaftsbild nicht möglich ist. „Wir sind uns bewusst, dass das mit erheblichen Eingriffen verbunden ist“, erklärte Thomas Kiwitt. Auch deshalb sei es wichtig, dass sich die Bürgerschaft aktiv an dem Planungsverfahren beteiligt (siehe Infotext). „Sie sind die Experten für Ihre Raumschaft. Tragen Sie dazu bei, dass dieser Plan noch besser wird“, ermunterte er die Besucher. Bevor die Regionalversammlung voraussichtlich im April über die Vorranggebiete entscheidet, würden alle Stellungnahmen intensiv geprüft. „Da fällt nichts durchs Raster“, versprach Kiwitt. Klar ist aber auch: Wer eine Planänderung möchte, braucht stichhaltige Argumente. Allein die Tatsache, dass man keine Windräder haben will, wird nicht genügen.

Bürgerbeteiligung

Information Der Verband Region Stuttgart hat alle Informationen zum Regionalplan und den Vorranggebieten für Windkraft auf seiner Homepage zusammengestellt. Diese sind abrufbar über den QR-Code oder unter: https://t1p.de/VRS-Wind

Stellungnahmen Auf der Website findet sich auch eine Beteiligungsplattform, auf der man zu den Plänen Stellung nehmen kann. Möglich ist dies außerdem per E-Mail an windenergie@region-stuttgart.org sowie schriftlich an den Verband Region Stuttgart, Kronenstraße 25, 70174 Stuttgart. Die Frist dafür endet am 2. Februar 2024.

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Erstellt:
13. Dezember 2023, 06:00 Uhr

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