Abi-Chaos: Schleswig-Holstein sagt ab - Hessen nicht

dpa Berlin. In der Corona-Krise zeichnet sich an den Schulen in Deutschland ein großes Durcheinander ab. Während in Hessen und Rheinland-Pfalz weiter Abiturprüfungen geschrieben werden, will Schleswig-Holstein als erstes Bundesland alle Prüfungen absagen.

Die Abiturprüfungen sollen wegen der Corona-Krise in Schleswig-Holstein abgesagt werden. Foto: Thomas Warnack/dpa

Die Abiturprüfungen sollen wegen der Corona-Krise in Schleswig-Holstein abgesagt werden. Foto: Thomas Warnack/dpa

Schleswig-Holstein plant als erstes Bundesland eine Absage aller Schulabschluss-Prüfungen einschließlich des Abiturs in diesem Schuljahr.

Sie halte diese Entscheidung in der derzeitigen Situation für geboten, sagte Bildungsministerin Karin Prien (CDU) am Dienstag. Die Schüler im Norden sollen nach ihren Plänen zum Ende des Schuljahrs stattdessen Abschlusszeugnisse auf Basis bisheriger Noten erhalten.

Andere Bundesländer hatten ihre Prüfungen zunächst auf nach Ostern oder in den Mai verschoben. Im krassen Gegensatz dazu stehen Hessen und Rheinland-Pfalz, wo am Dienstag, wie geplant weiterhin Abiturprüfungen stattfanden.

Das hessische Kultusministerium teilte auf Nachfrage mit: „Die Abiturientinnen und Abiturienten in Hessen haben sich bereits viele Wochen und zum Teil Monate auf die Prüfungen vorbereitet. Diesen Schülerinnen und Schülern wollen wir die Teilnahme ermöglichen und haben uns deshalb entschieden, die schriftlichen Abschlussprüfungen in der vergangenen Woche beginnen zu lassen.“ Am Dienstag fanden Prüfungen in Latein und Spanisch statt. Am Mittwoch steht Mathe auf dem Plan.

Hessen sieht keinen Konflikt mit den strengen Kontaktsperren, die die Ministerpräsidenten der Länder und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Wochenende vereinbart hatten, und verweist auf eine Passage in den von Merkel und den Regierungschefs beschlossenen Leitlinien, wo es heißt: „Der Weg zur Arbeit, zur Notbetreuung, Einkäufe, Arztbesuche, Teilnahme an Sitzungen, erforderlichen Terminen und Prüfungen, Hilfe für andere oder individueller Sport und Bewegung an der frischen Luft sowie andere notwendige Tätigkeiten bleiben selbstverständlich weiter möglich.“ Die Prüfungen in Hessen laufen unter verschärften Hygienebedingungen. Die Schulen seien angewiesen, die Prüfungsgruppen klein und die Abstände zwischen den Prüflingen groß zu halten.

Auch in Rheinland-Pfalz laufen die Abiturprüfungen weiter. Einen Tag vor Abschluss der mündlichen Prüfungen sprach das Bildungsministerium in Mainz am Dienstag von einem sehr guten Verlauf: „Unsere Schulen, die Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler haben schnell und flexibel reagiert und unter besonderen Bedingungen die Abiturprüfungen stattfinden lassen.“ In Rheinland-Pfalz haben rund 15 000 Schülerinnen und Schüler in dieser und der vergangenen Woche ihre mündlichen Abi-Prüfungen absolviert, die schriftlichen Prüfungen fanden schon im Januar statt.

Der Grund für das unterschiedliche Vorgehen liegt im Föderalismus: Für Bildung und Schulen ist jedes Bundesland selbst zuständig. Über Gremien wie die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) versucht man, sich soweit es geht abzustimmen. In der Corona-Krise wird nun offensichtlich, dass das nicht oder nur schlecht funktioniert.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands Heinz-Peter Meidinger sagte der Deutschen Presse-Agentur, der jüngste Beschluss der KMK angesichts der Schulschließungen, „sich gegenseitig das Abi anzuerkennen, egal wie es zustande gekommen ist“, habe den Keim dafür gelegt, dass nun jedes Bundesland in der Corona-Krise beim Abitur mache, was es wolle.

Grundsätzlich hält die Vorsitzende der Gymnasiallehrer-Vertretung Deutscher Philologenverband, Susanne Lin-Klitzing, die Vergabe eines Abiturzeugnisses für möglich, wenn Prüfungen ausfallen. Zwei Drittel der Abiturnote seien bereits durch die Leistungen in den Kursen erbracht, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Dienstag). Für das letzte Drittel brauche man nicht zwingend die Abiturprüfungen. Möglich sei, diese Note auch aus vorherigen Klausurleistungen in den Prüfungsfächern zu berechnen. Ähnlich äußerte sich auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Lehrerverbandspräsident Meidinger warnt bei einem solchen Szenario allerdings vor einer Ungleichbehandlung. So könnten beispielsweise Schüler in Ländern, wo Prüfungen ausfallen, im Gegensatz zu denen, wo sie stattfinden, benachteiligt sein, weil sie sich intensiv aufs Abitur vorbereitet und auf eine Notenverbesserung im Abi gesetzt haben. Prüfungen sollten seiner Ansicht nach stattfinden, auch wenn Schulen weiter geschlossen bleiben. Bei den Prüfungen müsse dann auf größtmöglichen Infektionsschutz geachtet werden.

Die Kieler Bildungsministerin Karin Prien kündigte an, sich für eine Absage der Prüfungen auch in anderen Bundesländern stark zu machen. Sie werde in der Kultusministerkonferenz vorschlagen, „dass wir keine Abiturprüfungen mehr abnehmen, sondern das Abitur und seine Note anhand der bisher erbrachten Leistungen bewerten“, sagte sie am Dienstag.

Der Vorsitzende des Bildungsausschusses des Bundestags, Ernst Dieter Rossmann (SPD), forderte die Länder zu einem einheitlichen Vorgehen auf: „Je mehr klare Verabredungen getroffen werden können, umso besser“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Es darf für diesen Abschlussjahrgang an den Schulen keinen Fadenriss und kein verlorenes Jahr geben, wenn es dann nach der Sommerpause in die Ausbildung oder ins Studium gehen soll. Das dürfen und können wir uns in Deutschland auch sozial und wirtschaftlich nicht leisten.“

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Erstellt:
24. März 2020, 16:32 Uhr

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