Notfallpatient Erde
So elend steht es um unseren Heimatplaneten
Notfall Erde? Sieben von neun Belastungsgrenzen des Planeten sind nach Angaben eines neuen Klimareports überschritten. Auch der Zustand der Meere hat sich verschlechtert.

© -/Nasa/Goddard Space Flight Cent/dpa
Diese Nasa-Aufnahme zeigt die östliche Hemisphäre der Erdkugel. Die Menschen verbrauchen zu viel von der Erde, sagen Umweltschützer.
Von Markus Brauer/dpa
Die Mehrheit der lebenswichtigen Funktionen unseres Planeten ist nach einem neuen Bericht von Klimawissenschaftlern in Gefahr. Dem „Planetary Health Check“ des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zufolge sind sieben von neun kritischen Belastungsgrenzen des Erdsystems überschritten - eine mehr als im Vorjahr. Neu im Gefahrenbereich: Die Ozean-Versauerung - also wenn der sogenannte pH-Wert des Meerwassers sinkt.
Der „Planetary Health Check“-Bericht liefert eine Einschätzung zum Zustand des Erdsystems. Er basiert auf planetaren Belastungsgrenzen: neun Prozessen, die Stabilität, Widerstandsfähigkeit und lebenserhaltende Funktionen des Planeten regulieren, wie das PIK im Report schreibt.
Dominoeffekt des Weltklimas
Beim Konzept der Kipppunkte geht man davon aus, dass einige Teilsysteme des Klimasystems bestimmte kritische Schwellenwerte haben, bei deren Überschreiten es zu starken und teils unaufhaltsamen und unumkehrbaren Veränderungen kommt. Deswegen sollte ein Überschreiten der Kipppunkte unbedingt vermieden werden.
Unter Kipppunkten versteht man in der Klimaforschung, wenn durch kleine Veränderungen ein Domino-Effekt ausgelöst wird, dessen Folgen unter Umständen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Werden mehrere Kipppunkte überschritten, besteht zudem das Risiko eines katastrophalen Verlusts der Fähigkeit, Pflanzen für Grundnahrungsmittel anzubauen.
Das Konzept der Kipppunkte und damit verbundene Unsicherheiten werden unter Wissenschaftlern weltweit intensiv und zum Teil konträr diskutiert.
PIK-Direktor: Zustand der Erde verschlechtert sich massiv
„Mehr als drei Viertel der lebenswichtigen Erdsystem-Funktionen befinden sich nicht mehr im sicheren Bereich. Die Menschheit verlässt ihren sicheren Handlungsraum und erhöht so das Risiko, den Planeten zu destabilisieren“, sagt PIK-Direktor Johan Rockström, Co-Autor des Berichts. Der Zustand der Erde verschlechtere sich massiv.
Die sieben überschrittenen Grenzen sind laut Bericht:
- Klimawandel
- Integrität der Biosphäre
- Veränderung der Landnutzung
- Veränderung der Süßwassersysteme
- Veränderungen im Stickstoff- und im Phosphorkreislauf
- Eintrag menschengemachter Substanzen
- Ozean-Versauerung
Luftverschmutzung und Ozonschicht im sicheren Bereich
Zwei der ausgewiesenen Belastungsgrenzen liegen laut den Forschern noch im sicheren Bereich:
- Belastung durch Aerosole (Luftverschmutzung)
- Ozonschicht
Sobald eine Grenze überschritten wird, steigt den Experten zufolge das Risiko, die wichtigen Funktionen der Erde dauerhaft zu schädigen, und die Wahrscheinlichkeit, dass Kipppunkte überschritten werden, die Veränderungen unumkehrbar machen. Die Wissenschaftler beobachtet diese Grenzen anhand zentraler Indikatoren.
Kohlendioxid macht Ozeane sauer
Hauptursache für die Ozean-Versauerung ist laut „Planetary Health Check“ die Verbrennung fossiler Energieträger, verstärkt durch Abholzung und Landnutzungswandel. Ozeane nehmen etwa große Mengen des menschengemachten Kohlendioxids aus der Atmosphäre auf, wodurch ihr Wasser saurer wird.
Durch diese Faktoren verlieren die Meere zunehmend ihre stabilisierende Rolle im Erdsystem, wie das Forscherteam mitteilte. Die Folgen seien spürbar: Kaltwasserkorallen, tropische Riffe und arktische Ökosysteme gerieten unter Druck. Zudem ergeben sich demnach negative Folgen für ganze Nahrungsketten und die Ernährungssicherheit auch des Menschen.
So zeigen laut PIK winzige Meeresschnecken, sogenannte Flügelschnecken, bereits Schädigungen an ihren Schalen. Sie seien eine wichtige Nahrungsquelle für Fische und Wale.
Wissenschaft sieht Ozean-Versauerung als „Warnsignal“
„Die Entwicklung geht eindeutig in die falsche Richtung. Die Ozeane versauern, Sauerstoffwerte sinken, und marine Hitzewellen nehmen zu. Damit wächst der Druck auf ein System, das für stabile Lebensbedingungen auf unserem Planeten unverzichtbar ist“, erläutert die Co-Leiterin des „Planetary Boundaries Science Lab“ und Leitautorin des Berichts, Levke Caesar.
Die Versauerung sei ein unübersehbares Warnsignal, dass die Stabilität der Erde in Gefahr sei, arnt die US-Ozeanografin und Mitglied der Initiative „Planetary Guardians“, Sylvia Earle.
Forscher: Entwicklung umkehrbar
Der Bericht der Forscher ist auch ein Appell an Politiker, Wirtschaft und Gesellschaft, die Lebensgrundlagen besser zu schützen. „Beispiele wie der Rückgang der Luftverschmutzung durch Aerosole und die Erholung der Ozonschicht zeigen, dass wir die globale Entwicklung umsteuern können. Auch wenn die Diagnose ernst ist, besteht weiterhin die Chance diese Entwicklung umzukehren“, sagte Rockström.