Beauftragter: Heftige Reaktionen nach Antisemitismusbericht

dpa/lsw Stuttgart. Bald diskutiert der Landtag über den ersten Antisemitismusbericht für den Südwesten. Nach Auffassung des Landesbeauftragten Michael Blume gibt es viel gegen Judenfeindlichkeit zu tun.

Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung. Foto: Bernd Weissbrod/Archivbild

Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung. Foto: Bernd Weissbrod/Archivbild

Der Landesbeauftragte gegen den Antisemitismus, Michael Blume, fordert mehr Tempo bei der Bekämpfung von Judenfeindlichkeit. Er habe die Bitte an das Parlament, die Medien und die Bürger, da einen Zahn zuzulegen, sagte Blume der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „Es gibt immer wieder das Problem, dass Populisten und Extremisten das bestehende System angreifen und dafür die neuen Medien nutzen.“ Das bestehende System müsse immer erst einmal lernen, wie es damit umgehe - und hinke damit oft bei der Bekämpfung des Antisemitismus hinterher.

Blume hatte im Juli den ersten Antisemitismusbericht für Baden-Württemberg veröffentlicht - und damit nach eigenen Worten heftige Reaktionen ausgelöst. „Es gab viel Zustimmung und viel Interesse an Einzelthemen, aber auch viel Kritik.“ Besonders intensiv diskutiert wird nach seinen Angaben darüber, was Antisemitismus ist. „Da bekomme ich Schriftsätze über drei Seiten, wo sich Leute an Definitionen abarbeiten“, sagte der Religionswissenschaftler.

Der Bericht beinhaltet einen Überblick über Antisemitismus und schlägt Gegenstrategien vor. Blume warnte etwa vor gefährlichen Verschwörungsmythen und Hetze im Netz. Er begrüßte die regen Diskussionen über das Thema: „Das Allerschlimmste wäre, wenn nach dem Bericht nichts passieren würde.“ Der Landtag will im Herbst über den Bericht diskutieren. „Ich bin gespannt, wie sich die AfD in der Landtagsdebatte zum Antisemitismus verhalten wird“, sagte Blume. Teile der AfD waren mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen.

Antisemitismus äußert sich nach Blumes Worten nicht nur als Hass gegen Juden. Besonders gefährlich sei er durch eine Verknüpfung mit Verschwörungsmythen. Oft würden dabei der Rechtsstaat und die Demokratie im Allgemeinen als Teil der vermeintlichen Verschwörung abgelehnt. Im Internet bestätigten sich die Anhänger solcher Theorien gegenseitig. „Dann wächst das Phänomen an, und das ist natürlich eine echte Gefahr, wenn die gemeinsame Realität und auch der gemeinsame Blick auf die Geschichte völlig verloren geht“, erklärte der Experte.

Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg hatte im Sommer darauf hingewiesen, dass jeder einzelne antisemitische Vorfall die Gemeindemitglieder in Baden-Württemberg verunsicherte. Als Beispiele gelten der Anschlag auf die Synagoge in Ulm 2017 und umgeworfene oder beschmierte Grabsteine auf jüdischen Friedhöfen.

Blume erklärte, dass Politik und Gesellschaft ursprünglich davon ausgingen, dass sich das Thema Antisemitismus nach der Zeit der Nationalsozialisten erledigt habe. „Lange Zeit meinte man, das sei ein Problem von Altnazis und vielleicht von ein paar Zugewanderten und mit der Bildung werde sich das schon auswachsen.“ Tatsächlich sei die Zahl antisemitischer Vorfälle in den 1980er Jahren rückläufig gewesen. Etwa ab dem Jahr 2000 habe sich dies geändert - und 2008/2009 hätten jüdische Gemeinden entsprechende Hinweise gegeben. „Erst in den letzten Jahren haben die Politik und die breite Öffentlichkeit verstanden, dass Antisemitismus nicht verschwindet.“

„Der Antisemitismus war nie weg. Aber jetzt radikalisieren sich die Leute über das Internet“, erklärte der Beauftragte. Zwar sei es nicht so, dass die Zahl der Antisemiten massiv wachse. „Aber die Leute, die eine antisemitische Einstellung haben, werden radikaler“.“ Zentrale Ansatzpunkte, um Antisemitismus zu bekämpfen, sieht Blume bei Medien, in der Bildung und der Strafverfolgung. Menschen, die sich antisemitisch äußerten, hielten den Staat für schwach. „Da wünsche ich mir schon einen wehrhaften Staat, der deutlich dagegen vorgeht.“

In den ersten sechs Monaten 2019 erfasste die Polizei im Südwesten 46 antisemitische Straftaten. Entwickeln sich die Zahlen im zweiten Halbjahr ähnlich, liegen sie unter dem Niveau der Vorjahre. Nach Angaben des Innenministeriums wurden im vergangenen Jahr 136 politisch motivierte Straftaten erfasst, die sich gegen Juden richteten. Im Jahr 2017 waren es 99 Taten, im Jahr 2016 95 Taten. In den allermeisten Fällen wurden Rechte als Täter vermutet.

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Erstellt:
18. September 2019, 07:36 Uhr

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