Gewaltiger Bergsturz in der Schweiz

Blatten im Lötschental: Erst rutscht der Berg, dann kommt die Flut

Die Bewohner des Schweizer Lötschentals schauen fassungslos auf eine gigantische meterhohe Fels- und Eiswüste. Nun droht die nächste Katastrophe.

Das Bergdorf Blatten im schweizerischen Kanton Wallis existiert nach dem Bergsturz nicht mehr.

© Jean-Christophe Bott/Keystone/EPA/dpa

Das Bergdorf Blatten im schweizerischen Kanton Wallis existiert nach dem Bergsturz nicht mehr.

Von Markus Brauer/dpa

Nach dem gigantischen Gletscherabbruch im Lötschental im Schweizer Kanton Wallis droht nun eine weitere Katastrophe. Ein meterhoher Damm aus Geröll, Fels und Eis verhindert den Abfluss des Flüsschens Lonza. Dahinter stauen sich bereits immense Wassermassen.

Wenn das Wasser durchbricht, droht weiter unten im Tal eine Flutwelle. In zwei Weilern wurden bereits mehrere Häuser vorsichtshalber geräumt. Auf Drohnenbildern ist das fast ganz unter einer meterhohen Schuttschicht begrabene Dorf Blatten kaum mehr zu sehen. „Ein Tal weint“, schrieb die Online-Plattform des lokalen Medienhauses Pomona.

Sorge vor Dammbruch wächst

„Das Schlimmste wäre, dass sich Wasser aufstaut bis zur Krone des Bergsturzdammes“, sagt der Geologe Flavio Anselmetti von der Universität Bern dem Schweizer Radiosender SRF. Der Fluss könne sich dann in das Gestein-Eis-Gemisch einschneiden, der Damm instabil werden und brechen.

„Dann könnten sehr starke Flutwellen oder Murgänge von diesem Seeausbruch für die Gemeinden, die im unteren Tal liegen, drohen.“ Die Armee ist bereits mobilisiert. Mit Drohnen und Hubschrauberüberflügen wird die Lage stündlich beurteilt.

Einwohner stehen unter Schock

Die rund 300 Einwohner des Dorfes Blatten haben alles verloren. 90 Prozent des Dorfes, rund 130 Häuser sowie die Kirche, sind unter einer Schuttschicht begraben. Sie sei zwischen 50 und 200 Metern dick, berichtet Naturgefahrenchef Raphaël Mayoraz.

Der Kegel ist zwei Kilometer lang und rund 200 Meter breit. Insgesamt donnerten nach Schätzungen drei Millionen Kubikmeter Fels, Geröll und Eis des Birchgletschers ins Tal.

Die wenigen verbliebenen Häuser sind nach Angaben der Behörden inzwischen durch den wachsenden Wasserstau der Lonza überflutet. Blatten ist das letzte Dorf im 27 Kilometer langen Lötschental. Es liegt auf rund 1500 Metern.

Schon Mitte Mai gab es erste Warnungen

Die gute Schweizer Überwachung der Gebirge hatte schon Mitte Mai zu Warnungen geführt, dass oberhalb des Dorfes ein Bergsturz droht. Als die Spalten im Fels schnell wuchsen, kam am 19. Mai aber doch recht plötzlich der Aufruf, das Dorf innerhalb einer Stunde zu verlassen. Viele haben in Kürze das Nötigste zusammengepackt und sind abgefahren.

Über Tage bröckelte der Fels und Brocken donnerten ins Tal, aber nichts davon erreichte Blatten. Bei der Evakuierung machten viele deutlich, dass sie die Vorsichtsmaßnahmen zwar schätzten, aber dennoch damit rechneten, dass das Dorf glimpflich davonkommt – wie bei ähnlichen Lagen in anderen Bergregionen.

Schlimmstes Szenario ist eingetroffen

Im Lötschental ist aber das schlimmste erdenkliche Szenario Wirklichkeit geworden. Der Abgeordnete Beat Rieder aus dem Nachbarweiler Wiler spricht von einer Jahrhundertkatastrophe. „Es ist ein Ereignis, welches das Tal seit Beginn der Geschichtsschreibung nie erlebt hat“, kommentiert er im Schweizer Fernsehen.

„Die Leute haben alles verloren, was man sein ganzes Leben aufgebaut hat“, so Rieder. „Man blickt auf den Bildschirm und kann nichts machen, das ist ein schwerer Schock.“

Seit die Eis- und Gerölllawine am Mittwochnachmittag mit gigantischem Getöse und einer Staubwolke wie nach einer Explosion ins Tal donnerte und Blatten unter sich vergrub, werden die Bewohner abgeschirmt und betreut. Gemeinderatsmitglieder zeigen sich vor der Presse fassungslos. Ein 64-jähriger Einheimischer war trotz Räumung am Mittwoch im Gefahrengebiet unterwegs und wird noch vermisst.

Was sind die Ursachen für die Häufung von Felsstürzen?

Das Lötschental ist auch ein Urlauberparadies, im Sommer mit Wander- und Kletterrouten sowie Bergseen und viel unberührter Natur und mit Blick teils auf 40 Viertausendergipfel, im Winter mit kilometerlangen Skipisten. Es war bis zur Eröffnung des Lötschbergtunnels 1913 und dem Bau einer Straße in den 1950er Jahren nur schwer erreichbar.

Vielerorts in den Alpen lockert sich mit dem Klimawandel Gestein, weil die gefrorenen Felsschichten antauen oder weil eindringendes Wasser Druck in Spalten erzeugt, die früher ganzjährig von Schnee und Eis bedeckt und durch den Permafrost zusammengehalten wurden. Die Menschen sind alarmiert.

Klimawandel macht Felsstürze wahrscheinlicher

Das Abtauen des Permafrosts führt zu Rissen im Fels. Das könnte, so die Vermutung von Geologen, den Vorfall im Kanton Schwyz verursacht haben. Der Klimawandel macht Felsstürze sehr viel wahrscheinlicher. Wenn Permafrost auftaut, können Berge ihre Stabilität und damit Schutt und Geröll ihren Halt verlieren.

Hochgebirge werden vom Permafrost zusammengehalten, der dafür sorgt, dass das Gestein ganzjährig gefroren ist. Der Permafrost taut, und das Gebirge wird instabiler. Beim Schweizer Alpen-Club SAC heißt es, dass früher oft gegangene Touren heute im Sommer „Todesfallen“ seien. Loses Geröll und abgerutschte Blöcke „so groß wie Einfamilienhäuser“ machten das Gelände zu gefährlich.

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Erstellt:
29. Mai 2025, 13:30 Uhr
Aktualisiert:
29. Mai 2025, 17:33 Uhr

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