DGB warnt vor Änderungen nach Arbeitszeit-Urteil

dpa/lsw Stuttgart. Zurück zur Stechuhr? Ein europäisches Urteil wirft viele Fragen auf. Welche Konsequenzen hat das für Baden-Württemberg? Die Gewerkschaften befürchten einen Dammbruch.

Martin Kunzmann, Vorsitzender des DGB Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat/Archivbild

Martin Kunzmann, Vorsitzender des DGB Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat/Archivbild

Arbeitgeber müssen die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten systematisch erfassen: Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Mai entschieden. Das Urteil stieß bei den Gewerkschaften auf Zustimmung, aber drei Monate danach befürchten sie, dass in der Folge nun das Arbeitszeitgesetz zulasten der Arbeitnehmer geändert werden könnte. Der Landesvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Martin Kunzmann, hofft daher, „dass in der Praxis gar nichts dabei rauskommt“.

Aus Sicht von Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) macht das Urteil eine Gesetzesänderung notwendig: „Ich bin überzeugt, dass bei einer Arbeitszeitgesetz-Reform auch überholte und unflexible Regelungen auf den Prüfstand kommen müssen, wie etwa die zu den täglichen Höchstarbeitszeiten.“ Hoffmeister-Kraut will die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden ausweiten. Auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband möchte die Arbeitszeitregelungen gerne flexibler gestalten.

„Mit dem jetzigen Arbeitszeitgesetz kommen wir gut klar“, hält Kunzmann dagegen. „Ich finde es gut, wenn Arbeitszeit erfasst wird. Aber dafür hätte ich kein EuGH-Urteil gebraucht.“ Denn dies sei auch bisher schon Pflicht der Arbeitgeber. In Zeiten von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz erfordere die Dokumentation der Arbeitszeit keinen großen bürokratischen Aufwand.

„Wir wollen nicht die Zwölf-Stunden-Arbeitszeit als Möglichkeit, die dann das Team erwartet“, sagt auch der Personalrat des Klinikums Stuttgart, Volker Mörbe. „Das übersteigt die Kräfte der Leute.“ Aus Rücksicht gegenüber Kollegen und Patienten muteten sich viele Mitarbeiter schon jetzt zu viel zu. „Die machen sich dabei relativ schnell kaputt.“ Viele Pflegekräfte gäben daher nach einigen Jahren den Beruf auf.

„Man hat immer mehr Aufgaben, als man bewältigen kann“, meint der Bosch-Betriebsrat Klaus Kutzias. Viele junge Mitarbeiter, die frisch von der Uni kommen, seien zwar hoch motiviert. „Die arbeiten rund um die Uhr. Man muss aber aufpassen, dass die sich nicht kaputt machen.“ Zu schützen seien auch diejenigen, die nicht so viel arbeiten können oder wollen: „Das sind dann „Minderleister“, obwohl sie nur das arbeiten, was sie eigentlich müssen nach Vertrag.“

Der Landesbezirkssekretär der Gewerkschaft NGG, Alexander Münchow, befürchtet, eine Ausweitung auf zwölf Stunden könnte „gnadenlos ausgenutzt“ werden: In der Hotel- und Gaststättenbranche würde es dann in der Praxis Arbeitszeiten von bis zu 15 Stunden geben. Vor allem wegen der Entgrenzung der Arbeitszeit leide die Branche schon jetzt unter einem hohen Personalmangel. Arbeitsmedizinisch sei erwiesen: „Alles über acht Stunden Arbeiten ist gesundheitsgefährdend.“

In einem Tourismusland wie Baden-Württemberg müssten die Arbeitsplätze im Hotelgewerbe deutlich attraktiver gemacht werden, fordert Münchow. Nötig seien daher auch mehr Kontrollen, mehr Personal bei Gewerbeaufsichtsämtern und bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit.

Die Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Pforzheimer Bundestagsabgeordnete Katja Mast meinte, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sei daran, das EuGH-Urteil in nationales Recht umzusetzen. Arbeitnehmer müssten geschützt werden, und es dürfe nicht zu zuviel Bürokratie geben. Klar sei: „Die Aufzeichnungspflicht beim Mindestlohn war, ist und bleibt richtig. Wir werden keinen Vorschlag unterbreiten, der Willkür Tür und Tor öffnet.“ Nach Angaben der wirtschaftspolitischen Sprecherin der Landtags-Grünen, Andrea Lindlohr, steht der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer im Vordergrund. „Eine pauschale Ausweitung der Tageshöchstarbeitszeit auf zwölf Stunden lehnen wir deshalb ab.“ Flexibilisierungen im Arbeitszeitgesetz seien dann sinnvoll, wenn Tarif- und Betriebsparteien dadurch mehr Gestaltungsmöglichkeiten hätten.

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Erstellt:
4. August 2019, 14:26 Uhr

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