Energiewende vor der Haustür

Weg von fossilen Energieerzeugern, hin zu erneuerbaren Energien: Das ist das Ziel der Energiewende. Doch wie weit ist der nördliche Rems-Murr-Kreis beim Thema Energiewende bereits? Woher kommt unsere Energie? Wie viel davon wird aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen? Und welche Kommunen sind beim Ausbau von Solarenergie und Co. schon besonders weit?

Im vergangenen Jahr gab es einen gigantischen Zuwachs an neuen Fotovoltaikanlagen. Foto: Archiv/privat

Im vergangenen Jahr gab es einen gigantischen Zuwachs an neuen Fotovoltaikanlagen. Foto: Archiv/privat

Von Kristin Doberer

Wer verbraucht wie viel Energie?

Am meisten Energie verbraucht in unserer Region, wenig überraschend, die Industrie. Laut Energieversorger Süwag verbrauchten die Industriekunden im Jahr 2022 (für 2023 gibt es noch keine aktuellen Zahlen) fast 247 Millionen Kilowattstunden. Darauf folgen im Raum Backnang die Haushaltskunden mit rund 139 Millionen Kilowattstunden. Diese Verteilung sei recht typisch für die Struktur in der ländlich geprägten Region im Speckgürtel Stuttgarts, sagt Michael Meyle, Regionalleiter Süd bei der Süwag.

Insgesamt ist der Energieverbrauch in der Region, wie auch in ganz Deutschland, in den vergangenen fünf Jahren leicht gesunken. Im Altkreis Backnang zum Beispiel ist der Gesamtverbrauch seit 2018 um etwa sieben Prozent gesunken. Grund dafür sind politische Aufforderungen zum Energiesparen, erklärt Michael Meyle. „Jeder hat in den vergangenen Jahren viele Möglichkeiten zum Energiesparen finden können“, sagt er – von wassersparenden Duschköpfen über die Umrüstung auf LED-Lampen bis hin zu energieeffizienteren Maschinen und Strukturen in Unternehmen. Auch der deutliche Ausbau der privaten Stromerzeugung für den Eigenbedarf, zum Beispiel durch Balkonkraftwerke, macht sich hier bemerkbar. Denn wer zumindest teilweise seinen eigenen Strom produziert, muss ihn nicht bei der Süwag abnehmen. In den vergangenen fünf Jahren ist der Energieverbrauch demnach um sieben Prozent gesunken. Bei diesem Rückgang wird es aber nicht bleiben. Im Gegenteil: „Gerade beim Strom kommen viele ganz neue Verbraucher dazu: Wallboxen, E-Ladesäulen und auch beim Heizen wird der Stromverbrauch durch mehr Wärmepumpen steigen“, sagt Michael Meyle.

Auch das Landratsamt adressiert verschiedene Zielgruppen, um die Energiebilanz im Rems-Murr-Kreis zu verbessern und klimaneutral zu werden. Neben dem Umbau der eigenen Liegenschaften werden über die Energieagentur zum Beispiel kostenlose PV-Beratungen angeboten. Kleinere und mittlere Unternehmen können Effizienzchecks in Anspruch nehmen.

Energiewende vor der Haustür

Solar auf dem Vormarsch, von Windkraft keine Spur

In der Region sei mittlerweile durchaus ein Wandel bemerkbar, so der Regionalleiter der Süwag – vor allem beim Thema Solarenergie. „Im vergangenen Jahr gab es einen gigantischen Zuwachs an Neuanlagen“, sagt Meyle. Das reicht von den klassischen Fotovoltaikanlagen auf den Dächern über kleine Balkonkraftwerke bis zu immer mehr Anfragen nach Freiflächenfotovoltaikanlagen. „Im gesamten Syna-Netzgebiet ist die Anzahl der Einspeiseanlagen seit 2019 um das 15-fache gestiegen. 2023 hatten wir insgesamt 30000 Anfragen zu neuen EEG-Anlagen“, sagt Michael Meyle.

Auch im Rems-Murr-Kreis ist diese Entwicklung spürbar. Laut Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur ist die Zahl der Erzeugungseinheiten, die Strom aus Erneuerbaren erzeugen, im Kreis 2023 auf über 19000 gestiegen. 2018 lag diese noch bei knapp über 9000 Einheiten. Der Zuwachs geht vor allem auf PV-Anlagen zurück: Zum Beispiel stieg die Gesamtzahl der Anlagen in Backnang auf 1323, ein Anstieg von über 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Noch 2018 übrigens lag diese Gesamtzahl lediglich bei rund 700 Anlagen. Für den Netzbetreiber sei diese Masse an Zuwachs auch eine große Herausforderung. Schließlich müssen die Anlagen, die ins Netz einspeisen, auch auf die Netzverträglichkeit geprüft werden.

Während die Solaranlagen in der Region durch die Decke gehen, fehlt von Windkraft jede Spur. „Da ist noch Luft nach oben. Natürlich ist die Region hier sehr dicht besiedelt. Aber gerade deshalb sollte man eigentlich jede Gelegenheit nutzen“, so der Regionalleiter über die Einwände zahlreicher Anwohner, wenn es um mögliche Windparks geht. Auch die Kreisverwaltung will den Ausbau unter anderem von Windkraftanlagen beschleunigen. Die Taskforce Erneuerbare Energien im Landratsamt kümmert sich um den beschleunigten Ausbau von Freiflächenfotovoltaik und die schnellere Genehmigung von Windkraftanlagen. „Hier wird das Ziel verfolgt, in diesem Themenfeld möglichst schnell voranzuschreiten“, teilt das Landratsamt mit. Bisher scheint der Erfolg noch nicht in Sicht zu sein. Zwar wurden im Regionalplan zahlreiche mögliche Flächen für Windenergie ausgewiesen, allerdings zum Teil unter großem Protest. Und die bisher einzigen konkreteren Projekte in Aspach/Oppenweiler und im Waldgebiet Hörnle befinden sich nun schon seit einiger Zeit im Genehmigungsverfahren. Außerdem gibt es teils Gegenwind von Bürgern (wir berichteten).

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Wie viel an Solarstrom speisen die Kommunen ein?

Weitere Themen

Wenig überraschend: Am meisten Strom aus Solaranlagen speist die Stadt Backnang ein, rund acht Millionen Kilowattstunden waren es 2022. Rechnet man das allerdings auf die Einwohner der Stadt hoch, bildet Backnang im Moment sogar das Schlusslicht bei der Einspeisung aus Solarenergie im nördlichen Rems-Murr-Kreis.

Ganz vorne liegt hier vielmehr Aspach, pro Kopf wurden 588 Kilowattstunden ins Stromnetz gespeist. Auch Burgstetten, Althütte und Kirchberg an der Murr produzieren im Verhältnis zu ihrer Einwohnerzahl viel Solarstrom. Eher mau sieht es neben Backnang außerdem in Spiegelberg und Allmersbach im Tal aus.

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Woher kommt unsere Energie?

Im nördlichen Rems-Murr-Kreis wurden 2022 rund 89,9 Millionen Kilowattstunden Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt. Die PV-Anlagen machen knapp die Hälfte davon aus, der Rest setzt sich laut Süwag zusammen aus Wasserkraft kleiner Mühlen und Biomasseanlagen. Etwa 20 Prozent des Verbrauchs können also direkt von in der Region erzeugten erneuerbaren Energien gedeckt werden. „Das heißt nicht, dass das alles ist an erneuerbaren Energien in unserem Netz“, so Meyle. Denn da die Süwag nur etwa fünf Prozent der Energie mittels Wasserkraftwerken und zwei größeren Windparks selbst erzeugt, kauft sie die restliche benötigte Energie ein. „Die stammt dann aus einem Energiemix“, sagt Meyle, wie genau sich dieser zusammensetzt, das sei auf die Region nicht herunterzubrechen. Bei dem Energiemix sind natürlich weiterhin Gas- und Kohlekraftwerke vertreten, allerdings auch große On- und Offshore-Windkraftanlagen sowie Freiflächenfotovoltaikanlagen. „Im Mix kann der Anteil an Erneuerbaren also höher sein.“ Meyle geht davon aus, dass der gesamte Anteil der Erneuerbaren hier bei etwa 40 Prozent liegt. Denn auch in dem Energiemix sind Solar-, Wasser- und Windenergie auf dem Vormarsch. Das zeigt auch ein Blick auf die deutschlandweite Energieerzeugung: 2023 wurden 56 Prozent der eingespeisten Strommenge aus erneuerbaren Energieträgern gewonnen. Mit rund 31 Prozent ist die Windkraft übrigens der wichtigste Energieträger für die Stromerzeugung in Deutschland, die Solarenergie liegt bei etwa 11,9 Prozent.

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Erstellt:
23. März 2024, 06:00 Uhr

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