Föderalismus hemmt die Digitalisierung in Städten und Gemeinden

Wo stehen die Städte und Gemeinden bei der Digitalisierung? Was könnte digitale Strukturen befördern und wie sind die Rahmenbedingungen dafür? Diese und weitere Fragen diskutierten über 250 Digitalisierungsbeauftragte beim Netzwerktreffen in Fellbach.

In hiesigen Verwaltungen laufen noch viele Prozesse schriftlich ab – das soll sich ändern. Symbolfoto: stock.adobe.com/MP Studio

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In hiesigen Verwaltungen laufen noch viele Prozesse schriftlich ab – das soll sich ändern. Symbolfoto: stock.adobe.com/MP Studio

Von Andreas Ziegele

Rems-Murr. Es herrscht reger Betrieb in den Räumen der Schwabenlandhalle. Die Digitalisierungsexperten aus Städten und Gemeinden haben sich versammelt, um sich mit der weiteren Umsetzung des Online-Zugangsgesetzes (OZG) auszutauschen und Ideen zu teilen. Eingeladen hatte die sogenannte OZG-Taskforce, ein freiwilliger Zusammenschluss von Digitalisierungsbeauftragten und IT-Experten aus über 500 Kommunen in Baden-Württemberg.

Die Organisatoren rund um Robert Geist, Digitalisierungsbeauftragter der Stadt Waiblingen, Saskia Wehrle aus Ravensburg und Tobias Märtterer aus Ludwigsburg haben ein anspruchsvolles Programm auf die Beine gestellt. Einer der gewonnenen Experten, Robert Müller-Török, erklärt normalerweise Studenten an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen, wie die IT von Kommunen in Zukunft funktionieren soll. In den vergangenen Tagen machte er auf sich aufmerksam, als der Experte die digitalen Angebote seiner Heimatstadt München öffentlich als „auf dem Stand der 90er-Jahre“ bewertete und sich damit den Ärger der Stadtverwaltung zuzog. Auch seine Keynote hatte den provokanten Titel: „Ctrl-Alt-Del: Es ist Zeit für einen kompletten Neustart im E-Government – Wie kann der in Deutschland aussehen?“

Ärger über widersinnige Vorgaben

Dass er damit einen Nerv der Teilnehmer getroffen hat, zeigte sich auch in den Pausen, in welchen er ein sehr gefragter Gesprächspartner war. Die Veranstaltung in Fellbach lobt er ausdrücklich: „Es ist beeindruckend, dass sich Kommunen von der Basis organisieren und sich des Themas OZG annehmen.“ Müller-Török sieht darin auch belegt, dass das Gesetz von oben, also „von der Staatsspitze nicht durchdacht zu sein scheint“. Daher bedarf es einer Gruppe wie dieser, um die Probleme zu diskutieren, zu lösen oder gegebenenfalls zu eskalieren. Für ihn sieht man das auch am Ergebnis des OZG, das 2022 hätte abgeschlossen sein sollen: „Das Gesetz wurde nicht erfolgreich abgeschlossen, um das unschöne Wort Scheitern zu vermeiden.“

Allen Teilnehmern ist eines bekannt: Die Digitalisierung verläuft schleppend und das ist vorwiegend dem Föderalismus in Deutschland geschuldet. „Es gibt keine einheitliche Basisinfrastruktur, genauso wenig wie eine Gesamtstrategie oder einheitliche Standards und Schnittstellen, die für alle Ebenen verbindlich sind“, sagt ein Teilnehmer, der nicht namentlich genannt werden möchte. „Bund, Länder und Kommunen entwickeln jeweils eigene Lösungen ihrer digitalen Verwaltungsleistungen, die dann nicht gut oder gar nicht zusammenspielen.“

Hoffnung auf einen Nachbesserung der Gesetze

Tobias Märtterer, der frühere Digitalisierungsbeauftragte der Stadt Fellbach, der heute in Ludwigsburg tätig ist, nennt ein Beispiel, wie die Kommunen teilweise ausgebremst werden: den Online-Bauantrag der Stadt Fellbach. „Den haben wir implementiert und das hat einige Tausend Euro verschlungen, dabei haben wir alles zum Laufen gebracht und man konnte Bauanträge online einreichen“, sagt Märtterer. „Nun gibt uns das baden-württembergische Innenministerium vor, dass der Antrag in dieser Form abgeschafft wird und wir jetzt den Prozess des Landes Mecklenburg-Vorpommern nutzen müssen. Damit können wir alles, was wir bisher investiert hatten – Geld, menschliche Ressourcen und viel Arbeitszeit – auf gut Deutsch das Klo hinunterspülen“, so ein resigniert klingender Tobias Märtterer, der auch nicht verheimlicht, dass nun wieder viel Geld in die Hand genommen werden muss, um die Anpassung vorzunehmen. Dabei verrät er, dass dieser Prozess noch nicht einmal in Mecklenburg-Vorpommern richtig funktioniert, wie er von einem Kollegen erfahren habe.

Die Hoffnungen ruhen nun auf dem neuen OZG 2.0. In einer Stellungnahme aus dem Januar dieses Jahres fordert die Taskforce eine Nachbesserung des Gesetzes, um das volle Potenzial der Digitalisierung auszuschöpfen. In einem OZG 2.0 müssten Kompetenzen und Verantwortlichkeiten klar benannt werden, Fachverfahrensanbindungen realisiert und Verwaltungsabläufe digital neu gedacht werden. In diesem Zusammenhang sagt Sabine Laartz, Pressesprecherin der Stadt Fellbach: „Denn aus einem schlechten analogen Prozess wird kein guter digitaler Prozess.“ Abschließend positioniert sich die Taskforce zum OZG 2.0 deutlich, fordert vor der Verabschiedung des Gesetzes, die gravierendsten Mängel zu beheben und Lösungen gemeinsam mit den Kommunen zu erarbeiten, und bietet in diesem Zusammenhang einen offenen und lösungsorientierten Austausch an, um die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung voranzubringen.

Wie kritisch die Experten der Kommunen die weitere Entwicklung sehen, zeigte sich bei der abschließenden Podiumsdiskussion mit Vertretern unter anderem des Innenministeriums und der Kommunalen Landesverbände (KLV), bei welcher der Ton rauer wurde. „Die wurden regelrecht gegrillt“, berichtet ein Teilnehmer.

Was ist das OZG?

Das Online-Zugangsgesetz (OZG) verpflichtet Bund und Länder, Verwaltungsleistungen auch elektronisch anzubieten. Das Bundesinnenministerium hat dafür bereits im Jahr 2017 etwa 575 Leistungen identifiziert, die digitalisiert werden sollten. Die Umsetzungsfrist ist zum Jahresende 2022 abgelaufen und das Gesetz wird durch ein OZG 2.0 abgelöst, das im Bundestag behandelt, aber noch nicht verabschiedet ist.

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Erstellt:
19. Oktober 2023, 06:00 Uhr

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