Innenminister sagen Antisemitismus den Kampf an

dpa Rust. Judenhass in Deutschland kommt nicht nur von rechts. Diesem Umstand wollen die Innenminister der Republik nun stärker Rechnung tragen. Auch bei anderen Themen gab es bei der Innenministerkonferenz Beschlüsse.

Horst Seehofer (CSU) spricht bei der Pressekonferenz zum Abschluss der Innenministerkonferenz. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Horst Seehofer (CSU) spricht bei der Pressekonferenz zum Abschluss der Innenministerkonferenz. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Sie wollen den Antisemitismus härter bekämpfen und genauer analysieren: Die Innenminister von Bund und Länder haben sich auf ein entschlosseneres Vorgehen gegen antisemitische Straftäter geeinigt. Das verkündeten sie zum Abschluss ihrer Frühjahrskonferenz im badischen Rust. Möglichst schon im kommenden Jahr soll ein gemeinsames Kompetenzzentrum für den Bevölkerungsschutz eingerichtet werden. Auch gegen Hetze im Netz, Gewalt gegen Frauen und Verschwörungsideologien will man zu Felde ziehen. Ein Überblick über die wichtigsten Beschlüsse:

ANTISEMITISMUS - Die Innenminister wollen bundesweit einheitliche Standards erarbeiten, um anti-israelische Versammlungen an Synagogen zu beschränken und gegebenenfalls zu verbieten, teilte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) mit. Strobl war Gastgeber der diesjährigen Frühjahrskonferenz im badischen Rust. Zudem müsse das Strafmaß bei antisemitischen Straftaten erhöht werden. Ungeklärte antisemitische Taten sollen künftig nicht mehr automatisch dem rechten Spektrum zugeordnet werden. Wenn die Hintergründe unklar sind, sollen sie in einer eigenen Kategorie in der Kriminalitätsstatistik erfasst werden. Das soll eine bessere Prävention ermöglichen. Es gehe aber nicht darum, den Rechtsextremismus zu relativieren, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Er sprach von einem erkennbar „importierten Antisemitismus“, der auf den Straßen deutlich werde.

RECHTE CHATGRUPPEN - Immer wieder machen rechtsextreme Chatinhalte bei der Polizei Schlagzeilen. Beamte sollen aus Sicht der Innenminister auch dann strafrechtlich verfolgt werden können, wenn sie volksverhetzende Inhalte in geschlossenen Chat-Gruppen teilen. Hintergrund: Das Einstellen rechtsextremer Fotos oder Videos in WhatsApp-Gruppen von Polizisten ist nach Ansicht von Anwälten nicht zwangsläufig strafbar. Die Innenminister fordern eine konsequente Verfolgung solcher Fälle. Die mögliche Einführung eines neuen Straftatbestands solle die Justizministerkonferenz prüfen.

ORTSKRÄFTE AUS AFGHANISTAN - Deutschland soll bereitwilliger ehemalige Ortskräfte und ihre Familien aus Afghanistan aufnehmen. Die Innenminister sprachen sich für eine Lockerung der Regeln aus. Künftig sollten die ehemaligen Helfer von Bundeswehr und Polizei alle ihre ledigen Kinder mitbringen dürfen, nicht nur die Minderjährigen, sagte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). Visa-Verfahren sollten verschlankt werden. Zudem bitte man die Bundesregierung, die Flugkosten zu übernehmen. Es sei zudem gut, dass die zunächst umstrittene Zwei-Jahres-Frist gefallen sei, sagte Pistorius - künftig sollen auch ehemalige Helfer einen Antrag stellen dürfen, die vor mehr als zwei Jahren etwa für die Bundeswehr oder die Polizei gearbeitet hat. Die einheimischen Ortskräfte, die dem deutschen Militär und der deutschen Polizei geholfen haben, fühlen sich wegen des Abzugs der Nato von den Taliban bedroht.

HETZE IN SOZIALEN NETZWERKEN - Die Minister wollen an Wegen arbeiten, um anonyme Hetzer im Netz besser zu identifizieren. Pistorius will soziale Netzwerke dazu verpflichten, die wahre Identität ihrer Nutzer zu speichern. Dabei gehe es aber nicht um eine Klarnamenpflicht. Wer unter einem Pseudonym in den sozialen Netzen unterwegs sei, müsse bislang keine echten Daten hinterlassen. Eine weitere Möglichkeit sei eine „Login-Falle“, bei der die Betreiber eng mit der Polizei zusammenarbeiteten, um die IP-Adresse von Hetzern zu ermitteln, sobald diese sich wieder einloggen.

GEWALT GEGEN FRAUEN - Auch frauenfeindliche Straftaten sollen in den Polizeistatistiken besser erfasst werden. Diese Straftaten müssten „aus dem Dunkelfeld“ herausgeholt werden, sagte Strobl. „Scham ist keine Lösung. Sie hilft nur den Tätern, die dann ungeschoren davonkommen.“ Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) begrüßte das. „Auch das Dunkelfeld - gerade bei Gewalt in Paarbeziehungen - muss deutlich stärker ausgeleuchtet werden.“ Mit genaueren Daten sei es möglich, Präventionsstrategien weiterzuentwickeln und für eine effektive Strafverfolgung zu sorgen. SPD-Politiker Pistorius sagte, die Politik müsse sich eingestehen, „die Realität ist relativ brutal“. Statistisch gesehen werde jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.

ANGRIFFE AUF JOURNALISTEN - Angesichts zunehmender Attacken auf Journalisten sollen weitere Schutzmaßnahmen geprüft werden. Zur Wahrung der Pressefreiheit in Deutschland sei es wichtig, dass Medienvertreter ihre Arbeit frei von Einschüchterungsversuchen ausüben könnten, heißt es in einem Beschluss der Ressortchefs. Ein Arbeitskreis soll bis zur nächsten Konferenz klären, ob weitere Maßnahmen nötig seien. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) wies darauf hin, dass nach „fast jeder größeren „Querdenken“-Demonstration“ im vergangenen Jahr von Übergriffen auf Journalisten berichtet wurde. Die Zahl der Straftaten gegen Journalisten habe sich 2020 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt.

© dpa-infocom, dpa:210618-99-48575/3

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Erstellt:
18. Juni 2021, 14:10 Uhr

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