Ursprünge der Sprache
Können Schimpansen wirklich sprechen?
Forscher haben Tausende von Vokalisationen freilebender Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste aufgezeichnet. Sie untersucht die Regeln, nach denen sich Bedeutungen verändern, wenn Rufe zu Zwei-Ruf-Kombinationen zusammengesetzt werden.

© © Liran Samuni/Taï Chimpanzee Project
Freilebende Schimpansen verändern die Bedeutung von Einzelrufen, indem sie sie in verschiedene Rufkombinationen einbetten, was linguistischen Prozessen in der menschlichen Sprache ähnelt.
Von Markus Brauer
Menschen sind die einzige Spezies auf der Erde, die Sprache benutzt. Sie tun dies, indem sie Laute zu Wörtern und Wörter zu Sätzen kombinieren und so unendlich viele Bedeutungen schaffen. Dieser Prozess basiert auf linguistischen Regeln, die festlegen, wie die Bedeutung von Lauten in verschiedenen Satzstrukturen verstanden wird.
Zum Beispiel kann das Wort „Affe“ mit anderen Wörtern kombiniert werden, um zusammengesetzte Sätze zu bilden, in denen eine Bedeutung hinzugefügt wird. „Der Affe frisst.“Oder um eine Bedeutung zu erweitern: „großer Affe“. Oder um nicht zusammengesetzte idiomatische Sätze zu bilden, die eine völlig neue Bedeutung schaffen: „affig sein“.
Bedeutung der Syntax für Sprache
Ein wesentlicher Bestandteil der Sprache ist die Syntax, die bestimmt, wie die Reihenfolge der Wörter die Bedeutung beeinflusst, zum Beispiel wie „affig sein“ und „der Affe ist“ unterschiedliche Bedeutungen haben.
Eine grundlegende Forschungsfrage ist, woher diese außergewöhnliche Fähigkeit zur Sprache kommt. Um die evolutionären Ursprünge der menschlichen Sprache zu erforschen, wird häufig ein vergleichender Ansatz gewählt, bei dem die Vokalisationen anderer Tiere, insbesondere von Primaten, mit denen des Menschen verglichen werden.
Einzelrufe statt zusammenhängender Laute
Im Gegensatz zum Menschen verwenden andere Primaten in der Regel Einzelrufe – so genannte Ruftypen. Und obwohl einige Tierarten Einzelrufe miteinander kombinieren, gibt es pro Art nur wenige Kombinationen, die meist dazu dienen, Artgenossen vor Raubtieren zu warnen.
Dies deutet darauf hin, dass ihre Kommunikationssysteme möglicherweise zu begrenzt sind, um als Vorläufer des komplexen, offenen Kombinationssystems der menschlichen Sprache zu gelten. Es könnte aber auch sein, dass wir noch kein vollständiges Bild von den sprachlichen Fähigkeiten unserer nächsten lebenden Verwandten haben, insbesondere davon, wie sie Rufkombinationen nutzen könnten, um ihr Bedeutungsrepertoire erheblich zu erweitern.
Bedeutung von Vokalisationen bei Schimpansen
Forscher der Max-Planck-Institute für evolutionäre Anthropologie und für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig sowie des Cognitive Neuroscience Center Marc Jeannerod und des Neuroscience Research Center (CNRS/Inserm/Université Claude Bernard Lyon 1) in Lyon haben Tausende von Vokalisationen von drei Gruppen freilebender Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste aufgezeichnet.
The origins of #language. Wild #chimpanzees alter single calls' meaning when embedding them into call combinations. Study led by Cédric Girard-Buttoz, Cathy Crockford & Roman Wittig. @CNRS@MPI_EVA_Leipzig@ISC_MJ@TaiChimpProjecthttps://t.co/XGErZqhnNA & https://t.co/8vYpfEpbecpic.twitter.com/ckawvTaHt8 — MPI-EVA Leipzig (@MPI_EVA_Leipzig) May 9, 2025
Sie untersuchten in ihrer Studie, die im Fachjournal „Sciences Advances“ veröffentlicht worden ist, , wie sich die Bedeutung von zwölf verschiedenen Schimpansenrufen verändert, wenn sie zu Zweierkombinationen zusammengesetzt werden.
Besitzen unsere nächsten Verwandten sprachliche Fähigkeiten?
„Die Erzeugung neuer oder zusammengesetzter Bedeutungen durch die Kombination von Wörtern ist ein charakteristisches Merkmal der menschlichen Sprache. Um die Ursprünge der menschlichen Sprache zu entschlüsseln, ist es daher wichtig zu untersuchen, ob unsere nächsten lebenden Verwandten, die Schimpansen und Bonobos, eine ähnliche Fähigkeit besitzen“, sagt Catherine Crockford, leitende Autorin der Studie.
„Die Aufzeichnung der Lautäußerungen von Schimpansen über mehrere Jahre in ihrer natürlichen Umgebung ist entscheidend, um die Gesamtheit ihres Kommunikationsvermögens zu dokumentieren. Aufgrund der zunehmenden Bedrohung der Schimpansenpopulationen durch den Menschen wird dies jedoch immer schwieriger“, erklärt Roman Wittig, Co-Autor der Studie und Direktor des Taï Chimpanzee Project.
Komplexes Kommunikationssystem der Schimpansen
Die Studie beschreibt vier Möglichkeiten, wie Schimpansen Bedeutungen verändern, wenn sie Einzelrufe zu 16 verschiedenen Kombinationen von Zweierrufen zusammensetzen – ähnlich den wichtigsten linguistischen Prinzipien der menschlichen Sprache.
- Die Schimpansen verwendeten sowohl bedeutungsergänzende (etwa A = Fressen, B = Ausruhen, AB = Fressen + Ausruhen) . . .
- als auch bedeutungspräzisierende (etwa A = Fressen oder Fortbewegung, B = Aggression, AB = Fortbewegung) Zusammensetzungen.
- Sie verwendeten auch nicht zusammengesetzte idiomatische Kombinationen, die völlig neue Bedeutungen schufen ( etwa A = Ausruhen, B = Zugehörigkeit, AB = Nestbau).
Entscheidend ist, dass die Schimpansen in dieser Studie – im Gegensatz zu früheren Studien, in denen meist nur Rufkombinationen in einem begrenzten Kontext beschrieben wurden, wie beispielsweise Begegnungen mit Raubtieren – das Bedeutungsrepertoire ihrer Rufe erweiterten, indem sie die meisten ihrer Einzelrufe zu einer großen Vielfalt von Rufkombinationen zusammensetzten und diese in einem breiten Spektrum von Kontexten anwendeten.
Generatives vokales Kommunikationssystem
„Unsere Ergebnisse deuten auf ein hochgradig generatives vokales Kommunikationssystem hin, das im Tierreich beispiellos ist und die jüngsten Erkenntnisse über Bonobos bestätigt, wonach komplexe Kombinationsfähigkeiten bereits bei den gemeinsamen Vorfahren des Menschen und dieser beiden Menschenaffenarten vorhanden waren“, erläutert Cédric Girard-Buttoz, Erstautor der Studie.
Er fügt hinzu: „Damit ändert sich die Sichtweise des letzten Jahrhunderts, die die Kommunikation der Menschenaffen als statisch und an emotionale Zustände gebunden betrachtete und deshalb davon ausging, dass sie uns nichts über die Evolution der Sprache sagen könne.“
Kommunikation der Hominiden etwas Einzigartiges
Stattdessen würde man nun deutliche Hinweise darauf, dass die meisten Ruftypen des Repertoires in Kombination mit anderen Ruftypen ihre Bedeutung variierten oder erweitern könnten, so Girard-Buttoz.
„Die Komplexität dieses Systems deute entweder darauf hin“, betont der Forscher, „dass die Kommunikation der Hominiden tatsächlich etwas Einzigartiges ist – dass komplexe Kommunikation bereits bei unserem letzten gemeinsamen Vorfahren entstand, den wir mit unseren nächsten lebenden Verwandten teilen – oder dass wir die Komplexität der Kommunikation auch bei anderen Tieren unterschätzt haben, was weitere Untersuchungen erforderlich macht.“