Realschuldirektoren wollen Hauptschulabschluss loswerden

dpa/lsw Sinsheim/Stuttgart. Manche Kinder gehören nicht auf die Realschule, findet die Arbeitsgemeinschaft der Realschuldirektoren. Viele Eltern nutzten die Entscheidungsfreiheit über den Bildungsweg ihrer Kinder nicht verantwortungsvoll.

Ein Schulbuch mit der Aufschrift „Realschule“ liegt in einem Klassenzimmer. Foto: Marijan Murat/dpa

Ein Schulbuch mit der Aufschrift „Realschule“ liegt in einem Klassenzimmer. Foto: Marijan Murat/dpa

Die Realschulen sorgen sich um überforderte Kinder in den beiden Eingangsklassen und finden mit ihren Klagen in der Politik Gehör. „Etwa ein Viertel der neuen Schüler haben nicht die passende Grundschulempfehlung und leiden darunter“, sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Realschulrektoren Holger Gutwald-Rondot der Deutschen Presse-Agentur. Bei der Wahl der weiterführenden Schule haben die Eltern seit 2012/13 das letzte Wort - nicht mehr die Grundschullehrer. Auch nach intensiver Förderung sei immer noch jeder zehnte Schüler nicht an der passender Schule, meinte Gutwald-Rondot. Das Kultusministerium sieht Handlungsbedarf, ebenso die oppositionelle FDP und der Städtetag. Gegenwind kam von SPD und Grünen im Landtag.

Den Hauptschulabschluss können Schüler an unterschiedlichen Schulformen erwerben. Doch während Hauptschüler auf dem Weg zum Abschluss „grundständig“, also auf einem einfacheren Niveau unterrichtet werden, erfolgt der Unterricht an Realschulen in den ersten zwei Schuljahren auf einem „mittleren Niveau“ - unabhängig davon, welcher Schulabschluss später angestrebt wird.

Für viele Mütter und Väter sei es attraktiver, von der Grundschulempfehlung abzuweichen und ihr leistungsschwächeres Kind auf die Realschule, statt auf die eigentlich passende Haupt- oder Werkrealschule zu schicken, sagte Gutwald-Rondot, der die Kraichgau-Realschule in Sinsheim (Rhein-Neckar-Kreis) leitet. „Die Eltern versuchen es einfach einmal - ohne Rücksicht auf die Kinder.“ Gutwald-Rondot sprach sich dafür aus, die verbindliche Grundschulempfehlung wieder einzuführen und den Hauptschulabschluss an der Realschule abzuschaffen. Leistungsschwächere Schüler könnten dann von nahen Werkreal-, Haupt- und Gemeinschaftsschulen aufgenommen werden.

Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sagte: „Von den Schwierigkeiten in der Orientierungsstufe höre ich schon seit längerem in zahlreichen Gesprächen mit Lehrkräften und Schulleitern vor Ort.“ Den Gesprächspartnern sei eines gemein - „der Wunsch, die Grundschulempfehlung wieder verbindlicher zu regeln, da die hohe Heterogenität vor allem an den Realschulen eine enorme Herausforderung für die Lehrer darstellt“.

Nach Beobachtung des Schulleiters führt die „falsche“ Schulwahl oft zu Frust und auffälligem Sozialverhalten der jungen Menschen. Den Realschulen machten bereits diejenigen Schüler zu schaffen, die in der achten, neunten Klasse vom Gymnasium enttäuscht zu ihnen kämen. Auch bei den Realschulen gebe es Abwanderung, sofern Hauptschulen in der Nähe seien. Das unter dem damaligen Kultusminister Andreas Stoch (SPD) beschlossene Angebot des Hauptschulabschlusses an der Realschule gilt seit dem Schuljahr 2016/17.

Die SPD-Landtagsfraktion wies darauf in, dass die Realschulen dies selbst gewünscht hätten. „Wer glaubt, durch eine Rückkehr zur verbindlichen Grundschulempfehlung die pädagogischen Probleme zu lösen, ist auf dem Holzweg“, sagte der SPD-Bildungsexperte Stefan Fulst-Blei. Es brauche Konzepte, die die Unterschiedlichkeit der Schüler nicht als Bedrohung verstehen, sondern als Teil der sich verändernden gesellschaftlichen Realität.

Die Grüne Bildungsexpertin Sandra Boser sagte: „Es braucht keine verbindliche Grundschulempfehlung, sondern ein pädagogisches Angebot, das die Schwächeren erfolgreich auf ihren Abschluss vorbereitet.“ Immerhin schaffe es die Hälfte der Schüler mit Hauptschulempfehlung, das mittlere Niveau zu erreichen.

An der Kraichgau-Realschule machen gerade erstmals 20 junge Menschen nach neun Jahren ihren Hauptschulabschluss. Sie bilden dort eine eigene Klasse, andernorts werden sie gemeinsam mit den Anwärtern auf den Realschulabschluss unterrichtet. In Sinsheim streben 136 Schüler im kommenden Schuljahr die mittlere Reife an.

Laut Eisenmann werden diverse Lösungen für die Probleme der Realschule diskutiert, darunter die Verkürzung der Orientierungsstufe auf ein Jahr und Lehre auf grundständigem Niveau von Anfang an. Auch der Vorschlag, den Hauptschulabschluss an der Realschule wieder abzuschaffen, sei im Gespräch. Sie warnte aber vor Schnellschüssen.

Der Städtetag pflichtete den Schulleitern bei. „Wenn nur wenige der an Realschulen gestarteten Schüler dort den Hauptschulabschluss machen, weil viele vorher die Schule wechseln, stellt es den Sinn dieses Abschlusses an den Realschulen in Frage“, sagte Städtetagsdezernent Norbert Brugger.

Die Landtags-FDP sieht sich in ihrer Kritik an der Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung durch die Schulleiter bestätigt. Sie habe die Sitzenbleiberquote in den unteren Klassen nach oben schnellen lassen, sagte Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Die verbindliche Empfehlung erleichtere die Bildung von Klassen aus Schülern mit vergleichbaren Begabungen. Seine Fraktion habe einen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, um die Grundschulempfehlung wieder verbindlich zu machen.

In der von Gutwald-Rondot geführten Arbeitsgemeinschaft sind 328 Leiter der insgesamt 423 Realschulen im Südwesten vertreten.

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Erstellt:
25. Januar 2020, 08:30 Uhr

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