Land prüft Ausnahmen von der Testpflicht für Geimpfte

dpa/lsw Stuttgart. Gastronomen, Liftbetreiber und Veranstalter müssen sich mit deutlich schärferen Corona-Regeln auseinandersetzen und befürchten massive Verluste. Es könnte auch sein, dass die Zahl derer, die zumindest an der Testpflicht vorbeikommen, größer ist als zunächst gedacht.

Winfried Kretschmann beim Landesparteitag im Congress Centrum. Foto: Marijan Murat/dpa

Winfried Kretschmann beim Landesparteitag im Congress Centrum. Foto: Marijan Murat/dpa

Hier Testpflicht, dort nur eingeschränkt, hier dürfen bis zu 750 Menschen zusammenkommen und dort kein einziger: Menschen in Baden-Württemberg müssen sich wegen der anhaltenden Corona-Lage seit diesem Samstag auf mehr Kontrollen, Tests, deutliche Einschränkungen sowie Verbote einstellen. Allerdings bleiben bei der sehr kurzfristig veröffentlichten Corona-Verordnung auch noch viele Fragen offen.

Das gilt unter anderem in Zusammenhang mit den Auffrischungsimpfungen, die von der Testpflicht zum Beispiel in der Gastronomie entbinden. Die Landesregierung kündigte an, es könne weitere Ausnahmen geben. „Ob wir das eine oder andere machen werden, müssen wir noch überlegen“, sagte der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Samstag dem Südwestrundfunk (SWR).

Nach Angaben einer Regierungssprecherin könnten zum Beispiel Menschen von der neuen strikten 2Gplus-Regel entbunden werden, die gerade erst ihre Zweitimpfung erhalten haben. Ausnahmen könne es womöglich auch für Menschen geben, die erst kürzlich von Corona genesen seien, sagte sie zudem der Deutschen Presse-Agentur. Die in der neuen Corona-Verordnung formulierten Regeln müssten noch begründet werden. Das schließe dann eventuelle weitere Ausnahmen ein, die derzeit geprüft würden.

Nach den jüngsten Zahlen des Landesgesundheitsamtes (LGA) haben bislang rund 1,5 Millionen Menschen in Baden-Württemberg eine Auffrischungsimpfung bekommen. Etwa 7,44 Millionen gelten als vollständig geimpft. Das entspricht einer Impfquote von 67,0 Prozent.

Nach der erst am späten Vorabend veröffentlichten neuen Verordnung schränken die neuen Regeln nicht nur das Leben von ungeimpften Menschen weiter ein. Auch der Alltag von etlichen ungeboosterten Geimpften und Genesenen ist stark betroffen. Seit Samstag muss für den Restaurant- und den Zoobesuch, für das Fitnessstudio, den Skilift und vieles mehr ein negativer Corona-Test vorgewiesen werden - auch wenn die Gäste geimpft oder genesen, aber noch nicht „geboostert“ sind. Außerdem werden Großveranstaltungen angesichts der sich zuspitzenden Corona-Krise in Baden-Württemberg untersagt, die wenigen noch geöffneten Weihnachtsmärkte verboten und Clubs sowie Diskotheken geschlossen. Für den Einzelhandel gilt landesweit eine 2G-Regelung (nur Geimpfte und Genesene).

Das Land ruft die Polizei auf, Verstöße zunächst nicht zu ahnden. „Wir wissen, dass die neue Verordnung sehr kurzfristig kommt“, sagte der Amtschef des Sozial- und Gesundheitsministeriums, Uwe Lahl. „Das ist eine riesige Herausforderung, etwa für Veranstalterinnen und Gastronomen.“ Das sollten die Polizisten der Städte und Gemeinden berücksichtigen, die für die Kontrolle der Corona-Verordnung zuständig sind. Lahl kündigte Sanktionen „von Ende nächster Woche an“ an.

Die Ordnungsämter kommen bei den Corona-Kontrollen in vielen Kommunen im Südwesten bereits jetzt an ihre Grenzen. Es fehle an Kapazitäten für die zusätzlichen Aufgaben, sagte Christopher Heck vom Gemeindetag. „Man kommt an die Grenzen der Durchführbarkeit.“ Außerdem würden die kommunalen Beamten als Kontrolleure nicht so stark akzeptiert wie die Polizei. Auch Sebastian Ritter vom Städtetag Baden-Württemberg sagt: „Menschen in Uniform haben eine ganz andere Wirkung auf Bürgerinnen und Bürger.“

Die noch wenigen Weihnachts- und Christkindelsmärkte in Mannheim, Ulm, Karlsruhe, Baden-Baden und Heidelberg haben bereits geschlossen. „Wir bauen aber nicht vor Montag ab, weil alles so unsicher und undurchsichtig ist“, sagte Susanne Filder, die Vorsitzende des Schaustellerverbandes Karlsruhe, am Samstag. „Diese Ungewissheit nicht nur in den vergangenen Tagen geht an die Nerven, das macht total krank.“

Kritik kommt auch aus Baden-Baden: „Die Unsicherheit der vergangenen Tage war für alle Marktbeschicker eine Zumutung“, sagte Nora Waggershauser, die Geschäftsführerin der Kur- und Tourismus GmbH. Finanzielle Unterstützung für die Beschicker forderte ebenfalls der Ulmer Oberbürgermeister Gunter Czisch.

Auch der Einzelhandel funkt SOS. Er fühlt sich durch die landesweite Einschränkung für ungeimpfte Kunden und zusätzliche Kontrollen benachteiligt. „Mit Einführung der 2G-Regel für den gesamten Einzelhandel muss der Handel in Baden-Württemberg, der in den letzten 20 Monaten bereits zahlreiche Sonderopfer für die Gesellschaft erbracht hat, einen weiteren Schlag ins Gesicht hinnehmen“, sagte Sabine Hagmann, die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg (HBW). Regel und Kontrollen seien „verfassungswidrig und nicht zielführend bei der Bekämpfung der Pandemie“. Zudem gingen sie weit über einen zumutbaren Akt der Solidarität hinaus.

Mit seinen scharfen Vorgaben geht das Land deutlich über die Beschlüsse von Bund und Ländern hinaus. Es sei wichtig, die vierte Welle zu stoppen, sagte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) über die neue Verordnung.

Allein am Freitag starben weitere 60 Menschen im Zusammenhang mit dem Coronavirus, wie aus dem LGA-Tagesbericht hervorgeht. Weitere mehr als 11 100 Menschen wurden als neue Corona-Fälle gemeldet. In 29 der 44 baden-württembergischen Stadt- und Landkreise lag die Zahl der Infektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche bei mehr als 500.

© dpa-infocom, dpa:211204-99-255846/3

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Erstellt:
4. Dezember 2021, 16:06 Uhr

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