Seehofer stellt doch keine Anzeige gegen „taz“-Autorin

dpa Berlin. Vor vier Tagen kündigt Bundesinnenminister Seehofer eine Strafanzeige gegen eine Journalistin an. Grund ist eine polizeikritische Kolumne. Dann passiert zunächst: nichts. Nun hat er sich entschieden.

Innenminister Horst Seehofer hat eine Kolumne in der „taz“ scharf kritisiert, will aber von einer Strafanzeige absehen. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Innenminister Horst Seehofer hat eine Kolumne in der „taz“ scharf kritisiert, will aber von einer Strafanzeige absehen. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Bundesinnenminister Horst Seehofer stellt entgegen früherer Ankündigung doch keine Strafanzeige gegen die Verfasserin einer polizeikritischen Kolumne in der Tageszeitung „taz“.

Das teilte das Innenministerium in Berlin mit. Der CSU-Politiker will stattdessen mit der „taz“-Chefredaktion über die Kolumne sprechen. Die linke Tageszeitung zeigte sich offen - will sich dazu aber nicht wie vorgeschlagen im Bundesinnenministerium, sondern in einer Polizeischule treffen.

Vier Tage lang hatte es eine Hängepartie um die Strafanzeige gegeben, die Seehofer am Sonntag in der „Bild“-Zeitung für Montag angekündigt hatte. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte mit ihrem Minister über den Fall gesprochen.

Seehofer betonte: „Mir geht es bei der von mir angestoßenen Diskussion nicht um Strafverfolgung einer Person und schon gar nicht um einen Eingriff in die Pressefreiheit.“ Er ergänzte: „Mir geht es im Gegenteil darum, dass wir dringend eine gesellschaftliche Diskussion darüber führen müssen, wie wir in dieser Gesellschaft miteinander umgehen und wo die Grenzen einer Auseinandersetzung sind.“

„taz“-Chefredakteurin Barbara Junge reagierte so: „Die Ankündigung einer Anzeige gegen unsere Autorin war ein massiver Einschüchterungsversuch und ein beschämender Angriff auf die Pressefreiheit. Es ist bezeichnend, dass der Bundesinnenminister für eine solche Erkenntnis vier Tage gebraucht hat.“ Die „taz“ führe gerade eine „leidenschaftliche Diskussion über Rassismus und Polizei und den journalistischen Umgang damit“. Sie begrüße, dass Seehofer sich daran beteiligen wolle.

Zugleich machte Junge klar: „Ich halte aber das Bundesinnenministerium nicht für den richtigen Ort für dieses Gespräch und schlage einen gemeinsamen Besuch der Polizeischule in Eutin vor, die ihrem Rassismusproblem in den eigenen Reihen begegnet, indem sie sich dem Netzwerk "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage" angeschlossen hat.“

Der umstrittene Text der „taz“-Mitarbeiterin war am Montag vor einer Woche erschienen. Darin ging es um ein Gedankenspiel, wo Polizisten arbeiten könnten, wenn die Polizei abgeschafft würde, der Kapitalismus aber nicht. Zum Schluss hieß es in dem Text: „Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“

Die Staatsanwaltschaft Berlin registrierte inzwischen mehr als 25 Strafanzeigen. Hunderte Beschwerden gingen beim Deutschen Presserat ein, der die Selbstkontrolle der Presse ist. Seehofer will sich auch an den Rat wenden, wie er ankündigte.

Der Presserat leitete bereits am Mittwoch ein Verfahren gegen die Zeitung mit Sitz in Berlin wegen des Textes ein. Ein Beschwerdeausschuss wird voraussichtlich am 8. September beraten. Für die Prüfung spielt unter anderem die Ziffer 1 des Pressekodex eine Rolle, wonach die Wahrung der Menschenwürde oberstes Gebot der Presse ist.

Seehofer bekräftigte derweil seine Einschätzung der Kolumne als strafwürdig. „Schließlich bin ich der Auffassung, dass mit der Kolumne durch die menschenverachtende Wortwahl auch Straftatbestände erfüllt werden.“

© dpa-infocom, dpa:200625-99-558065/5

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Erstellt:
25. Juni 2020, 10:03 Uhr

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