Soziologe: Polizei sollte auf Randale flexibel reagieren

dpa Stuttgart. Welchen Kurs soll die Polizei nach den Ausschreitungen in Stuttgart einschlagen? Ein Soziologe rät von generellen Vorgaben für härteres Vorgehen der Polizei ab.

Protestforscher Dieter Rucht. Foto: Sophia Kembowski/dpa/Archivbild

Protestforscher Dieter Rucht. Foto: Sophia Kembowski/dpa/Archivbild

Die Polizei sollte nach Ansicht eines Soziologen Randale wie in Stuttgart anpassungsfähig begegnen - und nicht pauschal mit harter Hand. „Die Polizei sollte angemessen reagieren und auch flexibel entscheiden können, ob sie ein Auge zudrückt oder entschlossen reagiert, wenn eine Grenze überschritten wird“, sagte Dieter Rucht vom Vorstand des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin. Wenn aber Menschen verletzt oder Läden zertrümmert werden - wie in Stuttgart passiert -, müssten die Beamten ihrer Dienstpflicht nachkommen.

Bei offenen Situationen helfe eine „Haudraufmentalität“ dagegen nicht, sondern führe vielmehr zur Solidarisierung Unbeteiligter, erläuterte der Professor. Auch von restriktiven Maßnahmen, wie das Alter für den Erwerb von Bier mit derzeit 16 Jahren heraufzusetzen, hält Rucht nichts. Dies widerspreche Überlegungen, das Erwachsenwerden immer weiter nach vorne zu verlegen, etwa bei Wahlen. „Verbote wecken nur Neugier.“

Macho-Gehabe, Missachtung von Regeln und Allmachtsgefühle gehören laut dem Wissenschaftler zur männlichen Sozialisation. Zum Teil werde das Über-die-Stränge-Schlagen ritualisiert. Als Beispiel nannte Rucht die Bonfire-Tradition in Großbritannien und USA, bei der es bei großen Feuern zur Protesten gegen Autoritäten komme. Auch Karneval trage Züge von ritualisiertem Bruch mit Konventionen.

Angesichts der Corona-Lockerungen sei das zum Teil bemühte Argument schwach, dass sich der Wunsch nach mehr Freiheiten in Stuttgart mit Gewalt Bahn gebrochen habe. Die Menschen könnten bereits ein Stück weit feiern und hätten die Aussicht auf weitere Lockerungen, meinte der Professor. Bestünde ein Zusammenhang zwischen Randale und Corona-Einschränkungen, wäre das Phänomen schon in anderen deutschen Städten oder im Ausland bekannt geworden. Rucht sieht Schule und Eltern in der Pflicht, jungen Menschen Selbstkontrolle beizubringen: „Die gehört zum Erwachsenwerden wie das Brechen von Regeln.“

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Erstellt:
22. Juni 2020, 12:56 Uhr

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