Gewollte Anarchie in der Katharinenplaisir

Die Korbjäger der TSG Backnang bitten zum Late-Night-Basketball, rund 100 Kinder und Jugendliche stürmen die Halle. Das hat vielleicht auch mit dem deutschen Weltmeistertitel zu tun, liegt aber vor allem am niedrigschwelligen Angebot. Ohne vorherige Anmeldung darf jeder kommen.

Es wird nach Herzenslust gedribbelt, gepasst und geworfen und im Laufe des Abends herrscht ein Kommen und Gehen. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Es wird nach Herzenslust gedribbelt, gepasst und geworfen und im Laufe des Abends herrscht ein Kommen und Gehen. Foto: Alexander Becher

Von Steffen Grün

„Das ist eine tolle Veranstaltung“, sagt Rainer Mögle. Der Vorsitzende der TSG Backnang 1846 lässt den Blick durch die Katharinenplaisirhalle schweifen und sieht mit großer Freude, wie hier nach Herzenslust gedribbelt, gepasst und auf insgesamt sieben Körbe geworfen wird: „Da geht einem das Herz auf.“ Lärmempfindlich darf man allerdings nicht sein. Die auf den Boden prallenden Bälle, die wummernden Bässe des DJs auf der Tribüne und das Stimmengewirr sorgen für eine ordentliche Geräuschkulisse.

Es ist 20 Uhr an diesem Freitag und anders als zu Beginn, als Backnangs Turnerinnen ein Drittel der Halle für ihr Training brauchten, sind die Basketballer unter sich. Sie können sich besser verteilen und das ist von Vorteil, weil eine Menge los ist. Rund 100 Kinder, Jugendliche und teils auch Erwachsene sind es insgesamt, die an diesem Abend durch die Halle toben und mit dem Ball machen, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Diese Anarchie ist gewollt. Es soll kein Turnier mit festen Strukturen und mit Spielplänen sein. Stattdessen ist es „ein sehr niedrigschwelliges Angebot“, erläutert Tim Beckmann vom Vorstand der sogenannten Cool Blues, die trotz dieses Namens weiterhin eine TSG-Abteilung sind. „Das kommt natürlich aus den USA“, fügt der Verantwortliche für Vertrieb und Marketing hinzu.

Freiwurf-Contest, Pick-up-Games: Für jeden Geschmack ist etwas dabei

Wie so vieles in dieser Sportart, die auch hierzulande bereits vor dem WM-Titel immer beliebter wurde und durch diesen Coup einen zusätzlichen Schub kriegt, in der die NBA aber immer noch das Maß aller Dinge ist. Das ist auch in der Katharinenplaisirhalle nicht zu übersehen. Einige tragen Trikots von den Los Angeles Lakers oder den Chicago Bulls, ein Deutschland-Dress ist nicht zu entdecken. Trotzdem sind es laut Tim Beckmann nochmals etwas mehr Kinder als 2022 bei der Premiere, die Lust auf Late-Night-Basketball hatten, und auch mehr Elternteile auf der Tribüne. „Das hat sicherlich mit der WM zu tun“, ist er überzeugt, „aber wir haben dieses Event auch gut beworben.“

Zum Programm zählt ein Freiwurf-Contest, der von David Kifle geleitet wird und das einzige organisierte Angebot ist. Zu den „Pick-up-Games“, bei denen meist drei gegen drei oder vier gegen vier gespielt wird, finden Teams dagegen aus eigenem Antrieb zusammen und suchen sich ihre Rivalen. Und wer da nicht mitmachen will, tollt einfach so durch die Halle. Dies gilt insbesondere für die Kleinsten wie die zweijährige Thalia, die mit ihrer Mama unterwegs ist, oder die vierjährige Elpida und den fünfjährigen Rafail, die bereits den Korb ins Visier nehmen. Die elfjährige Eliana ist das vierte Kind von Miguel Alves und spielt in Backnangs U 11, seit ihrem Vater zu Ohren gekommen ist, dass es hier eine Basketballabteilung gibt. Anders als in Murrhardt, wo die Familie wohnt und von dort nun zweimal in der Woche zum TSG-Training fährt. Beim Late-Night-Basketball ist der 30-Jährige als Sportskanone selbst mittendrin und findet „toll, dass auch die Eltern mitmachen dürfen. Diese Veranstaltung ist der Hammer.“ Auch Eliana hat nichts dagegen, dass ihr Papa mitmischt, ganz im Gegenteil: Sie habe „coole Eltern“. Mit dem deutschen WM-Triumph hat es aber nichts zu tun, dass die Familie da ist. Lediglich die älteste Tochter hat überhaupt ein bisschen was davon mitgekriegt, „aber ich spiele lieber selbst“.

Das ist bei Haci ähnlich, aber er hat das Turnier aufmerksam verfolgt. „Die WM war super und sehr spannend“, sagt der 18-Jährige, der mit seinem Kumpel Arijan in die Halle gekommen ist. „Ich finde es krass, dass Deutschland gegen die USA und dann auch gegen Serbien gewonnen hat.“ Sein Cousin habe sich entschieden, nun auch in den Verein zu gehen. Auf diesen Effekt hoffen die TSG-Basketballer, daraus macht Tim Beckmann keinen Hehl: „Wir versuchen den Schwung der WM zu nutzen, um weiter zu wachsen.“ Über 250 Mitglieder sind es, vor fünf Jahren waren es noch um die 100. Auf das Angebot an die Grundschulen in Backnang und Umgebung, dass Jugendleiter Kevin Heuser für eine Schnupperstunde den Sportunterricht besuchen würde, gingen bereits zwei Rückmeldungen ein, verrät Abteilungsleiter Jörg Blaetter, der mit viel Verve für den Basketball trommelt. Auch dann, wenn 2024 irgendwann in der zweiten Jahreshälfte die neue Halle auf der Maubacher Höhe fertig ist. Für acht Jugend- und vier Aktiventeams, die es inzwischen sind, hofft er auf zusätzliche Kapazitäten, zumal die Halle „wegen der S-Bahn ein Topstandort ist“. Da es nicht viele Städte sind, in denen Basketball gespielt wird, und die TSG dadurch ein großes Einzugsgebiet hat, könnten Spieler mit dem ÖPNV zum Training kommen. Und dann ist da noch Tim Beckmanns Wunsch, künftig ein richtiges Late-Night-Event auf die Beine stellen zu können. Das würde mindestens bis Mitternacht bedeuten, während in der Katharinenplaisirhalle „wegen der Anwohner um 22 Uhr Schluss sein muss“. Zu dieser Uhrzeit hätten viele gern noch etwas weitergespielt.

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Erstellt:
20. September 2023, 06:00 Uhr

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