Ein langer Weg zum Traumjob

Mutmacher-Geschichten: Nach vielen Praktika hat Sophia Bauer ihren Platz im Arbeitsleben gefunden. Die 22-Jährige arbeitet im Alexander-Stift in Kirchberg an der Murr. Der inklusive Arbeitsplatz wird zu 70 Prozent aus öffentlichen Mitteln gefördert.

Küchenarbeiten nach dem Frühstück. Für die „gelbe Küche“ ist Sophia Bauer meist selbst verantwortlich. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Küchenarbeiten nach dem Frühstück. Für die „gelbe Küche“ ist Sophia Bauer meist selbst verantwortlich. Foto: A. Becher

Von Annette Hohnerlein

KIRCHBERG AN DER MURR. Sophia Bauer arbeitet auf der sogenannten gelben Station. Zu ihren Aufgaben gehört es, den zwölf Bewohnern der Wohngruppe des Seniorenheims Alexander-Stift das Essen auszugeben und, wenn nötig, zu assistieren, etwa Brote schmieren oder Kaffee einschenken.

Für die „gelbe Küche“ ist die junge Frau mit Handicap meist alleine verantwortlich. Das bedeutet: den Tisch decken, nach der Mahlzeit wieder abräumen, dann die Spülmaschine füllen und das Geschirr aufräumen. Außerdem kontrolliert sie täglich, ob die Kühlschränke die vorgeschriebene Temperatur haben. Wenn sie zwischendurch ein bisschen Zeit hat, unterhält sie sich gerne mit den Bewohnern „ihrer“ Station, berichtet sie. „Sie erzählen mir dann von früher, wie es war, bevor sie hierher gekommen sind.“

Martina Hahn ist regionale Hauswirtschaftsleiterin im Alexander-Stift und als Ansprechpartnerin für Sophia Bauer da, seit diese im Sommer 2019 erstmals zum Probearbeiten im Haus war. „Wir sind alle hier begeistert“, erklärt Hahn, „die Kollegen schätzen sie sehr wegen ihrer ruhigen Art. Sophia ist nie hektisch. Und auch die Bewohner mögen sie sehr.“ Am Anfang sei sie noch etwas zurückhaltend gewesen, aber inzwischen habe sie sich geöffnet und traue sich mehr zu.

Erst nach neun Praktika hat es mit einer Einstellung geklappt.

Was der tüchtigen Küchenkraft ihren Einstieg erleichtert hat: Beim Alexander-Stift in Kirchberg handelt es sich um ein kleines, überschaubares Haus. In dem Seniorenheim, das von der Diakonie Stetten betrieben wird, gibt es 36 Pflegeplätze, die Bewohner leben in Wohngruppen mit je zwölf Personen.

Seit ihrem 16. Lebensjahr hat Sophia Bauer auf insgesamt neun Praktikumsstellen gearbeitet. „Das war ein langer Weg, bis ich was gefunden habe“, erzählt sie. „Ich habe Praktika gemacht, in fünf oder sechs Seniorenheimen. Aber wenn es um die Einstellung ging, haben sie Nein gesagt.“ Große Unterstützung bekam und bekommt die 22-Jährige von ihren Eltern. „In den meisten Fällen haben wir die Praktikumsstellen selbst gesucht“, berichtet Barbara Bauer. „Der Kontakt zum Alexander-Stift kam über einen Bekannten zustande, der in der Diakonie Stetten arbeitet.“ Außerdem haben Barbara und Lothar Bauer mit ihrer Tochter die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln von ihrem gemeinsamen Zuhause in Backnang zum Arbeitsplatz geübt. Die dauert rund 40 Minuten, inklusive zweimal umsteigen. Am Wochenende ist die Verbindung allerdings so schlecht, dass die Eltern sie mit dem Auto fahren.

Sophia Bauer hat die Bodelschwinghschule in Murrhardt besucht, ein sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit den Förderschwerpunkten geistige, körperliche und motorische Entwicklung. In ihren beiden letzten Schuljahren wurde sie im Rahmen der sogenannten berufsvorbereitenden Einrichtung an der Gewerblichen Schule Backnang unterrichtet.

Danach folgte eine weitere Maßnahme, die „Kooperative berufliche Bildung und Vorbereitung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt“. In diesen zwei Jahren wechselten sich zwei Tage Schulbesuch mit drei Praktikumstagen im Alexander-Stift ab. Dabei wurde Bauer von einem Jobcoach vom Integrationsfachdienst Rems-Murr unterstützt, der einmal pro Woche ins Haus kam. Das ist inzwischen nicht mehr nötig, die junge Frau kennt die Abläufe genau und weiß, was sie zu tun hat. Seit August 2020 ist sie, zunächst befristet auf ein Jahr, sozialversicherungspflichtig im Alexander-Stift beschäftigt. Sie arbeitet 60 Prozent, jedes zweite Wochenende hat sie Dienst. Ihr Arbeitsplatz wird mit einem Lohnkostenzuschuss in Höhe von 70 Prozent vom Integrationsfachdienst Rems-Murr gefördert.

Wenn man Sophia Bauer fragt, ob sie Änderungswünsche für ihre Arbeit hat, fällt ihr keiner ein; sie ist in ihrem Traumjob angekommen. Vielleicht ermuntert ihr Beispiel andere Arbeitgeber, ebenfalls einem jungen Menschen mit Handicap eine Chance zu geben.

In der Serie Mutmacher-Geschichten berichten wir über Menschen, die ihr Glück gefunden haben, die schwierige Situationen gemeistert und ihre Träume verwirklicht haben. Damit setzen wir einen Gegenpol zu all den negativen Nachrichten, die jeden Tag in der Zeitung stehen.

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Erstellt:
30. April 2021, 06:00 Uhr

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