Fornsbacher feiert heute seinen 100. Geburtstag

Schon als Junge hat Richard Braun am Waldsee gearbeitet, den sein Großvater mit geschaffen hat.

Richard Braun in seiner guten Stube, an deren Wand sich viele Familienbilder und Impressionen aus Fornsbach finden. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Richard Braun in seiner guten Stube, an deren Wand sich viele Familienbilder und Impressionen aus Fornsbach finden. Foto: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. „An manchen Tagen fühle ich mich ein bisschen zu alt, aber mit meiner Tochter habe ich eine so gute Betreuung“, sagt Richard Braun. Auf dem Tisch stehen gute Gaben des Musikvereins Fornsbach – leckeres Obst, das Doris Scholl vor Kurzem anlässlich seiner 50-jährigen Mitgliedschaft inklusive Urkunde vorbeigebracht hat. Genauso war Braun im Gesangverein, Albverein und Sportclub Fornsbach engagiert, die Raiffeisenbank im Schwäbischen Wald hat er 34 Jahre lang als Aufsichtsratsmitglied und als (letzter) ehrenamtlicher Vorstand unterstützt. Er ist eng mit Fornsbach verbunden, dessen Geschichte mit der seiner Familie verwoben ist. Diese gehörte, salopp gesagt, sowohl zu den Versorgern als auch zu den Tourismuspionieren im Ort. Seine Großeltern kamen 1902 von Oberrot nach Fornsbach, wo sie später einen Gemischtwarenladen eröffneten, den Brauns Eltern 1920 übernahmen.

Der Waldsee als Tourismusprojekt

Ein weiteres Projekt seines Opas gemeinsam mit anderen Fornsbachern: die Erschaffung des Waldsees, den Arbeiter 1929 im Feuchtgebiet „Seeteich“ aushoben. „Ich musste als Junge mit dem Handwagen losziehen, um Eis zu holen.“ Das war in der Nähe von Haus Herrmann und dem schwarzen See in einem tief in der Erde eingelassenen Eishaus für Metzger, Wirte und weitere Versorger wie die Familie gelagert. Zu Hause wurde es in Handarbeit mit Himbeeren und Vanille zu Speiseeis verarbeitet, das die Eltern am Waldsee gemeinsam mit Waffelbruch, Sprudel, Brause und Schokoküssen verkauften. „Wir hatten auch den Bootsverleih und wenn es in der Nacht geregnet hatte, musste ich Sonntagfrüh das Wasser aus den Kähnen schöpfen“, erzählt er. Als er sich einmal bitter darüber beschwerte, nicht wie andere Kinder auch, mit den Nachbarknirpsen spielen zu können, gestand ihm seine Mutter: „Wenn du wüsstest, wie viel Schulden wir haben.“ Von der ursprünglich größeren Gruppe der Waldseegesellschaft waren viele abgesprungen und so wurde die Summe für die drei verbliebenen Mitglieder – unter ihnen Vater und Großvater – entsprechend größer. Später kam sein Onkel, der sich als Metzger in Argentinien etabliert hatte, zurück, um als dritter Wirt am Waldsee zu übernehmen, und führte die Geschäfte erfolgreich fort, bis in den 1950er-Jahren an die Stadt Murrhardt verkauft wurde.

In Stuttgart erlebte er die sogenannte Reichspogromnacht

Nach der Schule ging es für den 14-Jährigen nach Stuttgart zur Ausbildung als Großhandelskaufmann. Untergebracht war Richard Braun im heute noch bestehenden Johannes-Brenz-Haus. Völlig auf sich gestellt erlebte er in Stuttgart die sogenannte Reichspogromnacht mit, in der vom 9. auf den 10. November 1938 Synagogen und weitere jüdische Einrichtungen im gesamten Deutschen Reich in Brand gesteckt und zerstört wurden. „Das Kupferdach der Synagoge stand in Flammen.“ In der Stadt begegnete er anderen jungen Menschen, die den Judenstern tragen mussten. „Das hat mir so leidgetan“, erinnert er sich, genauso wie an den Judenhass, der den jungen Menschen eingeimpft wurde. „Meine Eltern haben immer mit Juden zusammengearbeitet“, erzählt er und dass es beispielsweise eine gute Verbindung zu einer Ludwigsburger Seifenfabrik gab, deren jüdische Familie dann ausgewandert sei. „Zum Abschied hat meine Mutter von ihnen noch ein großes Stück Kernseife bekommen.“

Weitere Themen

Einschneidende Erlebnisse und glückliche Phasen gingen in der sich zuspitzenden Lage für den jungen Mann Hand in Hand. Richard Braun lernte seine spätere Frau Erna aus Heilbronn noch 1942 in Fornsbach kennen und lieben, die dort ein Jahr Arbeitsdienst bei einer kinderreichen Familie mit Landwirtschaft verrichtete. „Ihr Vater hat gesagt, du bleibst auf dem Land, dort ist es sicherer.“ Als er nach seinem Reichsarbeitsdienst zur Wehrmacht musste, wurde er im Russlandfeldzug an verschiedenen Fronten eingesetzt. Auf einem Heimaturlaub heiratete das junge Paar am 15. März 1945. Es war die letzte Trauung in der Fornsbacher Kirche vor ihrer Zerstörung und es dauerte vier Jahre, bis er nach der Kriegsgefangenschaft in Russland seine Frau wieder in die Arme schließen konnte und sich als letzter Heimkehrer von Fornsbach auch seinem Sohn, der bisher ohne ihn aufwuchs, wieder allmählich annähern konnte. Das Ehepaar bekam einen weiteren Sohn und eine Tochter und übernahm den elterlichen Gemischtwarenladen.

„Ich habe es meiner Frau zu verdanken, dass ich so viele Ehrenämter annehmen konnte“, sagt er. „Sie hat im Laden aufgeräumt, sodass ich zu den Sitzungen gehen konnte.“ Braun erinnert sich noch gut daran, wie seine Frau die Kunden auch als Mitmenschen im Blick hatte. Für Kinder hatte sie meist eine Kleinigkeit wie einen Kirschlutscher in der Hinterhand, bei den Erwachsenen Aufmerksamkeiten, wenn sie Geburtstag hatten oder krank waren.

Der Jubilar ist immer noch wissbegierig

Er hat den Ort und das soziale Leben lange mitgeprägt und muss damit zurechtkommen, dass einige, auch sehr nahe Wegbegleiterinnen und -begleiter bereits gestorben sind, unter ihnen seine Frau und seine Schwester. Dass er trotzdem immer noch neugierig in die Welt blickt, trägt möglicherweise zu seiner erstaunlichen Vitalität bei. Im Alltag unterstützt die Diakonie ambulant, Richard Braun geht aber auch ab und zu in die Tagespflege der Erich-Schumm-Stiftung. „Es gibt dort immer wieder interessante Themen wie was lässt sich im Winter noch aus dem Garten ernten“, sagt er. Neulich habe er gelernt, dass es 350 Sorten von Schneeglöckchen gibt. „Ich sage immer, die Betreuerin Suse Greiner-Pflaum macht einen tollen Unterricht.“ Heute wird Richard Braun aber vor allem im Mittelpunkt stehen. Den Jubilar erwartet eine Feier zu Hause mit lieben Leuten – Familie und Freunde, die ihn hochleben lassen.

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Erstellt:
1. März 2024, 14:00 Uhr

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