Gemeinderat will keine Schnellschüsse
Die Planung für das Backnanger Kaelble-Areal benötigt Zeit – Vision eines neuen Stadtquartiers elektrisiert und befremdet zugleich
Die Bebauung des Kaelble-Areals ist nicht so einfach, wie es vom Eigentümer Hermann Püttmer dargestellt wird. Das hat die Verwaltungsspitze in der Sitzung des Gemeinderats am Donnerstagabend unmissverständlich klargestellt. Und damit gleichzeitig die Vorwürfe des Riva-Chefs zurückgewiesen, es ginge mit dem Projekt zu schleppend voran.

© Pressefotografie Alexander Beche
„Wir haben derzeit nichts in der Hand als ein schönes Bild, aber keine umsetzbaren Pläne.“ Stefan Setzer Baudezernent
Von Matthias Nothstein
BACKNANG. Das neue Stadtquartier Backnang-West, das Riva-Chef Hermann Püttmer vorschwebt, hat riesige Dimensionen. Stadtplanungsamtsleiter Tobias Großmann sprach von einem „wahnsinnig großen Vorhaben“ und nannte einige Eckdaten. So ist die Rede von einem über 100 Meter hohen Hochhaus und gewaltigen Gebäuderiegeln, von denen einer an der Murr bis zu 25 Meter hoch und 150 Meter lang werden könnte. Gleichwohl erkannte Großmann reizvolle Ansätze in der Püttmer’schen Vision, etwa die Lösung, wie die Murr in der Planung integriert sei. Damit die Einordnung gelingt, rechnete Großmann vor, dass in der gesamten restlichen Kernstadt bis 2020 etwa 1000 neue Wohnungen geschaffen werden könnten. Würden die Püttmer-Pläne verwirklicht, dann käme auf einen Schlag noch mal ein Drittel dazu. Die Auswirkungen auf die Infrastruktur der Stadt wären enorm.
Während andere Projekte wie die Obere Walke etwa bei der Kindergartenbedarfsplanung schon Eingang gefunden hätten, wäre die Backnang-West-Vision bei der Zukunftsplanung noch völlig unberücksichtigt. Dabei gebe es sehr viele Aspekte zu berücksichtigen. Großmann bezweifelte auch, ob die großstädtische Vision nach Backnang passt. „Eine schöne Visualisierung ist das eine, ein Schnitt, bei dem die Höhendimensionen deutlich werden, ist das andere.“ So stünde etwa das Hochhaus in keinem Verhältnis zur Höhe des Technikforums: „Der Unterschied ist riesig, da fängt es bei der Optik an zu knirschen.“ Großmann erklärte: „Die Vision elektrisiert uns auch in Teilen, aber es ist fraglich, ob sie umgesetzt werden kann oder ob’s nur drübergezeichnet ist.“ Der Stadtplaner forderte „flexible Einheiten und keine Monostrukturen“, die im Falle eines Scheiterns schwer vermarktbar wären.
Die Liste der Punkte, auf die bei der Planung geachtet werden muss, ist lang: Verschattung, Nachbarschaftsbeziehungen, Hochwasserschutz, Sichtbeziehungen. Ein Problem sei auch der Verkehr. So sehe der Plan die Verlängerung der Schlachthofstraße und eine neue Brücke über die Murr vor. Damit entstünde mit der Fabrikstraße und der Schöntaler Straße ein neuer Ringschluss, von dem nicht klar sei, ob er funktioniere. Am Ende seines „Werkstattberichts“ kündigte Großmann einen konkreten Prozessvorschlag für nach der Sommerpause an.
Stadtbaudezernent Stefan Setzer sagte: „Wir tasten uns Stück für Stück an die Entwürfe heran.“ Eigentlich, so seine Einschätzung, wäre angesichts der Dimension des Vorhabens ein Architektenwettbewerb sinnvoll gewesen. Zurzeit habe die Stadtverwaltung nichts anderes in der Hand „als ein schönes Bild, aber keine umsetzbaren Pläne“. Und die Einschätzung des Investors, die sinngemäß laute: „Das geht mir alles zu langsam.“
Oberbürgermeister Frank Nopper betonte nochmals „zur Klar- und Richtigstellung, wir befinden uns in einem ganz, ganz frühen Stadium“. Setzer erklärte, es habe gar keinen Anlass für die makabre Traueranzeige gegeben, die allenthalben nur für Irritationen gesorgt habe: „Wir stehen in ständigem Kontakt mit dem Investor.“ Die Kritik, es gebe keine Kommunikation, wies auch Nopper entschieden zurück: „Wir haben unlängst zweimal je vier Stunden zusammengesessen und über alles gesprochen. Wir wissen nicht, was Herrn Püttmer geritten hat, diese Traueranzeige aufzugeben.“
Die Mehrheit der Stadträte teilte die Haltung der Verwaltung. So meinte Ute Ulfert (CDU): „Das Projekt hat eine Dimension, die die ganze Stadt verändern kann. Deshalb müssen wir da ganz genau hinsehen.“ Und Heinz Franke (SPD) ergänzte: „Der größte Teil des Gremiums hält das Vorgehen der Stadt für richtig.“ Es könne nicht sein, dass ein Investor mit viel Geld der Stadt vorschreibt, was sie zu tun habe. Franke sprach sich gegen „Schnellschüsse“ aus, „bloß weil ein Stararchitekt Pläne macht“. Sein Fazit: „Wir sollten uns Zeit lassen, es pressiert ja nicht.“
Melanie Lang (Grüne) vertrat die Auffassung, die Planung entspreche nicht mehr dem Zeitgeist. Armin Dobler (SPD) forderte, die Bevölkerung einzubeziehen. Dem pflichtete Nopper bei: „Wir sind sehr für Bürgerbeteiligung, aber erst, wenn’s konkret wird. Eine Diskussion über ungelegte Eier ist nicht sinnvoll.“
Eric Bachert (BfB) vertrat eine andere Meinung: „Ich finde den Entwurf richtig gut.“ Man könne schließlich alles noch etwas modifizieren. Selbst das Hochhaus kann sich der BfB-Rat vorstellen. Nicht überzeugt war Bachert von der Bürgerbeteiligung. Er fragte, „wie sehr Hinz und Kunz“ bei der Gestaltung mitreden könnten. Nopper widersprach: „Bei diesen Dimensionen sollte auch der Bürger mitreden und nicht nur der Gemeinderat beschließen.“ Er verdeutlichte die Dimension am Beispiel des Brauhausprojekts, das die Bauverwaltung immerhin schon viele Monate beschäftigt und dessen Investitionssumme zuletzt auf sechs bis sieben Millionen Euro beziffert wurde. Nun erklärte Nopper mit bedeutungsvoller Stimme: „Wir sprechen hier vom Hundertfachen.“
Die Stadt habe es versäumt, das Kaelble-Areal selbst zu erwerben, kritisierte Alfred Bauer (BfB). Noppers Antwort war eindeutig: „Ich halte das für den völlig falschen Ratschlag. Wir wären des Wahnsinns gewesen, wenn wir das gemacht hätten.“ Es sei völlig unklar, wie viele Altlasten in der Industriebrache schlummern. Setzer fügte an, alleine die Voruntersuchungen dazu hätten einen knapp siebenstelligen Betrag gekostet. Püttmer sei dieses Risiko eingegangen, nach dem Motto: „Es wird schon irgendwie werden.“ Konkreter wurde Siegfried Janocha. Der Erste Bürgermeister erklärte, auf dem benachbarten Areal, auf dem derzeit die Städtische Wohnbau 50 Wohnungen erstellt, sei der Bauherr von Kosten zwischen 100000 und 200000 Euro für die Altlastenentsorgung ausgegangen. Am Ende wurden es 700000 Euro.
BfB-Rat Bauer wies noch auf einen anderen Aspekt hin: „Wenn wir den Mann jetzt kränken, dann lässt er das Gelände so liegen, wie es jetzt ist.“ Für Setzer ist dies kein Argument: „Das müssen wir aushalten.“ Und Nopper dazu: „Wir können jetzt nicht zu allem Ja und Amen sagen.“ Setzer fand am Ende aber auch versöhnliche Worte: „Ich begrüße es sehr, wenn sich auf dem Gelände etwas tut. Und man spürt, es ist für Herrn Püttmer auch eine Herzensangelegenheit, in die er viel Herzblut investiert. Es ist an der Zeit, dass wir wieder zu einer Handschlagqualität zurückfinden.“ Die Vision sei „eine Chance für das Gebiet, die man nutzen sollte“.
Das sagen die Backnanger zu den Plänen Es geht nur gemeinsam Info Von Kornelius Fritz Viele Jahre dümpelte das ehemalige Kaelble-Areal vor sich hin, weil das Gelände einem Hedgefonds gehörte, dem Backnang ziemlich egal war. Jetzt ist ein Backnanger Eigentümer, aber die Situation ist trotzdem nicht einfacher geworden. Denn Hermann Püttmer und OB Frank Nopper ziehen zwar am selben Strang – allerdings von unterschiedlichen Seiten. Etwas Fruchtbares kann in dieser Konstellation nicht entstehen. Der Grundstückseigentümer hat seine Ideen und Vorstellungen auf den Tisch gelegt: Das ist sein gutes Recht, allerdings sind Püttmers Modelle und Visualisierungen allenfalls eine Diskussionsgrundlage. Wer sich die Visionen von Stararchitekt Helmut Jahn anschaut, kann darin Interessantes entdecken – etwa den Versuch, die Murr, die sich in diesem Bereich bisher gut versteckt, wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Gleichzeitig wirft das Konzept aber auch viele Fragen auf: Ein Kunstmuseum? Eine Mehrzweckhalle? Eine Hochschule? Müsste man, bevor man solche Bauwerke plant, nicht erst einmal untersuchen, ob es dafür in Backnang überhaupt Bedarf gibt? Ließen sich die Flächen in einem 100 Meter hohen Hochhaus vermarkten oder droht ein zweiter Gewa-Tower? Und schließlich stellt sich auch die Frage nach den Dimensionen. Wer sich Jahns Modell anschaut, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ein Stadtviertel aus Berlin oder Frankfurt versehentlich ans Murrufer gebeamt wurde. Nein, diese Pläne können OB und Gemeinderat nicht einfach durchwinken. Ohnehin wäre es fahrlässig, die Planung eines so großen Gebiets einem einzigen Architekten zu überlassen – und sei er noch so berühmt. Für Projekte dieser Größenordnung braucht es einen städtebaulichen Wettbewerb, damit Investor, Verwaltung und Gemeinderat aus verschiedenen Konzepten und Ideen die besten auswählen können. So etwas funktioniert aber nur gemeinsam. Ob es mit Hermann Püttmer funktioniert, ist die Frage. k.fritz@bkz.de Die Vision von Hermann Püttmer und Stararchitekt Helmut Jahn wurde gestern auch auf unserer Facebook-Seite intensiv diskutiert. Hier ein Auszug aus den Kommentaren: Janosch Kovac: Auf den ersten Blick sieht es gut aus. Und es würde definitiv viel Leben in dieses Quartier bringen. Nur das Hochhaus sollte kleiner ausfallen. Tanja Seid: Das viele Grün finde ich gut, aber die Gebäude gefallen mir nicht wirklich. Sunny Sommer: Warum nicht mal Mut zu Veränderungen und neue Wege gehen? Dave Whitehead: Das Ganze ist unrealistisch. Die Infrastruktur ist jetzt schon am Limit. Mehr geht nicht. Die Aspacher und Etzwiesenstraße sind keine Autobahnen. Kindergarten- und Grundschulplätze gibt es jetzt schon nicht genug. Marco Schlehner: Es sind doch echt gute Ideen dabei und es liest sich so, wie wenn Herr Püttmer sich wirklich viele Gedanken macht. Redet miteinander, liebe Stadt und Herr Püttmer, dass was Gutes für Backnang dabei rauskommt. Matthias Böttcher: Was ist denn an dem Entwurf das Problem? Herr Püttmer will aus einem Schandfleck ein durchaus schönes Eck mit Potenzial und Grün machen. Wenn das Hochhaus ein bissle zu groß ist, macht man es halt kleiner. Aber Backnang braucht Neues, um attraktiv zu bleiben. Julian Stadler: Vom Schandfleck zum Prestige-Eck mit Stadtpanoramagarantie! Machen! Das Eck liegt ungenutzt und gammelig, seit ich denken kann. Markus Wenzel: Ich bin dafür, dass Herr Püttmer und die Verantwortlichen der Stadt sich an einen Tisch setzen und hier nicht gemauert wird. Gemeinsam für Backnang. Das sollte das gemeinsame Ziel sein. Robin Haas: In diesem Viertel sollte unbedingt was passieren. Man muss ja nicht alles plattmachen, könnte vorhandene erhaltenswerte Gebäude sogar toll integrieren. Christian Schweizer:Shanghai oder Backnang? Das Ganze ist gewöhnlicher, austauschbarer Allerwelts-Städtebau. Kaisers neue Kleider und viel zu groß. International? Nein, provinziell: Möchtegernweltstadt auf Sparmodus. Kommentar
© Setzer Stefan
Das Stadtquartier Backnang-West, das Hermann Püttmer auf dem Kaelble-Areal vorschwebt, hat riesige Dimensionen. Zu sehen ist auch das geplante Parkhaus an der Ecke Wilhelm-/Karlstraße. Foto: Riva