Kriminalstatistik: Rückgang der Fallzahlen täuscht

Die gesunkenen Fallzahlen bei der Kinderpornografie sind Folge eines Rückstaus in der Bearbeitung.

Symbolfoto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

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Von Kai Wieland

Rems-Murr. Auf den ersten Blick scheinen die Zahlen eine erfreuliche Entwicklung abzubilden. Zwar ist zweifellos jeder Fall von Kinder- und Jugendpornografie einer zu viel, doch wurden im Jahr 2023 beim Polizeipräsidium Aalen mit 217 (Kinderpornografie) beziehungsweise 45 (Jugendpornografie) derartigen Fällen, davon insgesamt 119 im Rems-Murr-Kreis, immerhin deutlich weniger festgestellt als noch in den beiden Vorjahren: Für das Jahr 2021 standen 308 Fälle von Kinderpornografie und 25 Fälle von Jugendpornografie in der Kriminalstatistik, im Jahr 2022 wies diese mit 369 beziehungsweise 29 Fällen gar einen bedenklichen Höchststand aus. Verzeichnen wir also eine gesellschaftliche Wendung zum Besseren? Ganz so einfach ist es leider nicht, denn wie so oft ist auch diese Statistik mit Vorsicht zu genießen.

Bei der Kinder- und Jugendpornografie bedeutet eine niedrigere Fallzahl in der Statistik nämlich in der Regel nicht, dass weniger Straftaten begangen werden, sondern lediglich, dass diese seltener erfasst und bearbeitet werden. Am besten veranschaulicht das die Verdopplung der Fallzahlen in der Statistik des Jahres 2021 gegenüber dem Vorjahr. Ursache dafür war nämlich nicht, dass plötzlich mehr kinder- oder jugendpornografisches Material verbreitet, erworben oder hergestellt wurde, sondern die Einrichtung der Ermittlungsgruppe Kinderpornografie mit Sitz in Waiblingen und die Aufstockung des Personals auf 16 Beamtinnen und Beamte. Davor seien damit nur 2,5 Stellen betraut gewesen, erklärt Polizeipräsident Reiner Möller. Es wurden also schlicht und ergreifend deutlich mehr Fälle festgestellt und bearbeitet, ereignet hätten sich diese aber sowieso.

Hinweise von einer US-Organisation

Analog dazu sind die aktuell gesunkenen Zahlen für das zurückliegende Jahr kein Grund, sich zufrieden zurückzulehnen. „Der Fallzahlenrückgang ist trügerisch“, bestätigt Reiner Möller. „Die Statistik zeigt die von uns bearbeiteten Fälle, aber es gibt eine extreme Halde.“ Der Grund dafür ist dem Polizeipräsidenten zufolge so simpel wie besorgniserregend. „Es ist die schiere Unmenge an Fällen und vor allem Daten.“

Zur Veranschaulichung zieht Möller den aktuellen Fall mit dem größten Datensatz heran. Hier schlage man sich mit insgesamt 36,5 Terabyte an Material herum, das es auszuwerten gelte – unfassbare 14,2 Millionen Bilddateien und 162000 Filme. „Das schauen Sie nicht mal eben nebenbei durch, auch nicht mit einer Software oder einer KI.“

Der Großteil der Anzeigen wegen Kinder- und Jugendpornografie ist dem Polizeibericht für das Jahr 2023 zufolge auf Hinweise auf entsprechende Verstöße zurückzuführen, welche über die US-Organisation NCMEC (National Center for missing and exploited children) über das Bundeskriminalamt und das Landeskriminalamt an die örtlich zuständigen Stellen weitergegeben werden. Aufgabe der Ermittlungsgruppe Kinderpornografie ist es dann, in akribischer Kleinstarbeit sämtliche Bilder und Videosequenzen aufzuarbeiten und Beweise zu sammeln, um davon ausgehend ein entsprechendes Strafverfahren einleiten zu können. Die umfangreichen Recherchen führten in einigen Fällen zu mitunter weitreichenden Ermittlungserfolgen, heißt es in dem Bericht weiter.

Problematisch bleibt allerdings das Phänomen, dass es in vielen Fällen Kinder und Jugendliche selbst sind, die entsprechende Abbildungen verbreiten und besitzen. Dies geschieht zwar meist unbedacht, zieht aber dennoch eine hohe Zahl an Ermittlungs- und Strafverfahren nach sich. Der Ansatz sei hier Aufklärung und Prävention durch entsprechende Kampagnen.

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Erstellt:
30. April 2024, 06:00 Uhr

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