Nachtleben in Murrhardt: Legendäre Sessions und Gestalten

Nachtleben in alten Zeiten (17) In Murrhardt gab es eine Reihe spannender Locations – mit fließenden Übergängen zwischen Kneipe, Konzertbühne, Disco und gemütlichem Treff. Einige Betreiberpersönlichkeiten haben sich eingebrannt.

Das Old Pub organisierte auch Open-Air-Konzerte mit einer Außenbühne beispielsweise im Rahmen des Murrhardter Lichterfests. Die Aufnahme zeigt Betreiber Herbie und Marino Sozzi (von links), der regelmäßig als Gitarrist bei seinen Auftritten einsprang. Foto: privat

Das Old Pub organisierte auch Open-Air-Konzerte mit einer Außenbühne beispielsweise im Rahmen des Murrhardter Lichterfests. Die Aufnahme zeigt Betreiber Herbie und Marino Sozzi (von links), der regelmäßig als Gitarrist bei seinen Auftritten einsprang. Foto: privat

Von Christine Schick

Murrhardt. Marina Heidrich, die in Murrhardt aufgewachsen ist, erinnert sich gut an ihre Sturm-und-Drang-Zeit in den späteren 1970er-Jahren und Anfang der 1980er-Jahre. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sie aus einer Musikerfamilie stammt und früh damit begonnen hat, selbst Musik zu machen sowie, salopp gesagt, in dieser Hinsicht ein besonderes Faible für legendäre Orte zu entwickeln. Ein solch legendärer Ort muss die Schachtel beziehungsweise das Old Pub gewesen sein. Marina Heidrich rekonstruiert, dass im Vorfeld ein Grieche mit einem eher einfach gestrickten Bullterrier dort Pächter war, bevor ein Mann übernahm, der ein echtes Original war: „Herbie, das deutsche Rockmonster.“ Die Bezeichnung geht auch auf das Konto seines Leibesumfangs. Herbert Ziegler, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, brachte an die 180 Kilogramm auf die Waage. „Er kam aus Frankfurt am Main und hatte ein wildes, bewegtes Leben“, erzählt Marina Heidrich.

Herbert Ziegler alias Herbie (links) kam von Frankfurt am Main nach Murrhardt, wo er das Old Pub eröffnete. Marina Heidrich (rechts), die in der Walterichstadt aufgewachsen ist, stand dort mit ihm auf der Bühne. Foto: privat

Herbert Ziegler alias Herbie (links) kam von Frankfurt am Main nach Murrhardt, wo er das Old Pub eröffnete. Marina Heidrich (rechts), die in der Walterichstadt aufgewachsen ist, stand dort mit ihm auf der Bühne. Foto: privat

Der Mann mit dem rötlichen Bart und schütterem langen Haupthaar spielte einst Bass bei Percy Sledge, dem US-amerikanischen Soul-, R&B- und Gospelsänger. Mit seiner tiefen Stimme hat Herbie auch schon mal einen ZZ-Top-Titel geschmettert. Eine Ahnung vom musikalischen Wirken in dieser Zeit gibt die CD-Aufnahme „XXL Herbie&Friends“, erschienen bei Dröööhnland Productions, unter anderem mit dem Titel „Bauch weg Song“.

Die Schachtel beziehungsweise das Old Pub

„Mittwochs gab es Sessions für Rockbands und Musiker.“ Wenn eine Band dann mit zwei oder drei Songs vorgelegt hatte, gesellten sich weitere musikalische Gäste dazu, sagt Marina Heidrich, die dort selbst mit ihm auf der Bühne stand. Die Schachtel beziehungsweise das Old Pub befand sich auf dem damaligen, anders zugeschnittenen und gestalteten Schweizer-Areal noch vor dem Bau der Theodor-Heuss-Straße, der Zugang verlief über die Grabenstraße.

„Die Räumlichkeiten waren in zwei Bereiche aufgeteilt, rechts war die Kneipe, links die Disco.“ Neben Livemusik ließ sich dort zu Rockmusik tanzen. „Herbie hat streckenweise auch in der Schachtel gewohnt“, erzählt Marina Heidrich. Zudem erinnert sie sich, dass der Old-Pub-Betreiber im Vorfeld ebenso semiprofessionell als Wrestler unterwegs war, als Türsteher im Bordell gearbeitet oder eine Hymne für den befreundeten Motorradclub Oimerbära eingespielt hat. Als Lebe- und Genussmensch musste sein Körper einiges wegstecken. Wenn Herbie seinen Bass zur Hand nahm, steckte der Kettenraucher die Zigarette oben in die Saiten, um loslegen zu können.

Seine Ära in Murrhardt dauerte rund fünf Jahre, danach zog er nach Sittenhardt um, wo er die Kneipe „Zur Luftkur“ aufmachte. „Dort fanden genauso Konzerte statt, zu denen auch viele Murrhardter und Backnanger gekommen sind.“ Herbert Ziegler starb am 14. Januar 2007.

Die Linde, deren Haus mittlerweile abgerissen ist, war Kneipe und Diskothek

Ebenfalls als gute Location in derselben Zeit hat Marina Heidrich die Linde in Erinnerung, deren Gebäude in der ehemaligen Lindengasse mittlerweile abgerissen ist. Auch dort gab es eine Kneipe sowie eine Diskothek, die in diesem Fall im Obergeschoss lag, beide geführt vom Ehepaar Klotz. Die Wirtin Gerlinde Klotz hat bei ihr einen bleibenden Eindruck hinterlassen. „Sie war eine bildhübsche Frau, trug damals weiße Kleider und war unheimlich herzlich. Dadurch war sie beim weiblichen genauso wie beim männlichen Publikum sehr beliebt.“ Neben eigenen Auftritten hat Marina Heidrich in der Linde gute Abende und Nächte erlebt und an Silvester dort ihren allerersten Krimsekt getrunken. Mit der Abiturklasse ging es auch mal ins Gasthaus Eiche, wo es noch selbst gemachten Birnen- und Apfelmost gab. „Das war sensationell“, stellt sie fest.

Die Linde (links), früher Kneipe und Disco, lag gegenüber der Eiche, in der es früher noch selbst gemachten Birnen- und Apfelmost gab. Foto: MZ-Archiv

Die Linde (links), früher Kneipe und Disco, lag gegenüber der Eiche, in der es früher noch selbst gemachten Birnen- und Apfelmost gab. Foto: MZ-Archiv

Für Hardy Wieland war beziehungsweise ist ebenfalls eine Gastwirtschaft, nämlich die Traube von Kurt Sträb in der Brandgasse, legendär und für Generationen von Bedeutung. Der Murrhardter Gastwirt ist bis heute aktiv. Die Traube war für Nachtschwärmer wie Wieland in den 1980er-Jahren Anlaufstelle und Sprungbrett. „Wenn ich Thekendienst im Jugendzentrum hatte und zwischen 20 und 21 Uhr zugemacht wurde, ging es zu Kurt und man hat sich Gedanken gemacht, was die nächste Station sein sollte.

Von der Belinda in Sulzbach zurück ließ sich manchmal noch ein Abstecher ins Murrhardter Westend machen oder umgekehrt“, erzählt er. Legendär für ihn bis heute: Kurt Sträbs Wurstsalat mit einer sauren Senfsoße. Um in die Belinda, in die Backnanger Bäbbedde oder sogar in die Bhagwan-Disco nach Stuttgart zu kommen, brauchte es den entsprechenden fahrbaren Untersatz. Dann war entweder Trampen oder kuscheliges Miteinander – zu (gefühlt) zehnt im Opel Kadett – angesagt.

Vom Jugendzentrum ging es ins Gasthaus Traube zu Kurt Sträb

Auch für Titus Simon war die Traube ein legendärer Ort und eine feste Institution des Murrhardter Nachtlebens, wo sich auch gegen später noch etwas trinken, zusammensitzen oder diskutieren ließ. „Oft ging es nach den Juze-Sitzungen montags noch in die Traube“, sagt er. Was er als besonders schön in Erinnerung hat: Wenn man bis zum Morgengrauen im Lokal saß, nebenan in der Bäckerei schon die Produktion angelaufen war und die Runde noch ein bisschen Geduld hatte, um vor dem Nachhauseweg mit unglaublichem Genuss eine duftende Laugenbrezel zu verspeisen.

Vom Jugendzentrum, hier eine Aufnahme aus den Anfängen in der Grabenstraße, ging es für Nachtschwärmer oft noch zu weiteren Stationen. Foto: MZ-Archiv

Vom Jugendzentrum, hier eine Aufnahme aus den Anfängen in der Grabenstraße, ging es für Nachtschwärmer oft noch zu weiteren Stationen. Foto: MZ-Archiv

Diese Freude haben sich auch andere als Schlusspunkt einer langen Nacht nicht entgehen lassen. Mal die Gäste, die das Erbeuten heißer, frischer Brezeln selbst in die Hand genommen haben, mal die Gastgeber wie Wolfgang Bunk, ehemaliger Engelwirt, der sich in der Bäckerei Ellinger oder Rauch in der Hauptstraße für den Gasthof versorgt hat.

Der Engelwirt hat für die Orion-Betreiber des Nachts auch mal gekocht

Was die Lokalitäten anbelangt, so stehen auf Simons Liste noch das Orion, das seiner Wahrnehmung nach die älteste Diskothek in Murrhardt war, sich in der Oetingerstraße/Ecke Jahnstraße befand und bereits Ende der 1960er-Jahre dort zum Tanzen einlud. Das kann Wolfgang Bunk bestätigen. Als er den Gasthof Engel 1969 übernahm, wechselte er an freien Tagen oder auch mal zu späterer Stunde die Seiten vom Gastgeber zum Gast und schaute in der Diskothek vorbei. „Dort liefen Rock und Schlager“, erzählt er. Es konnte aber auch vorkommen, dass er sich dort erneut am Herd wiederfand. „Ich war mit den Betreibern Walter und Hans befreundet. Wenn sie eingekauft, es aber nicht mehr geschafft hatten, etwas zu kochen, hab ich das übernommen.“

Das Orion sei gut gelaufen, so Bunk. Die beiden Betreiber hatten zwei weitere Diskotheken in Ludwigsburg und Rudersberg, doch als sie sich trennten, gaben sie das Orion in den 1970ern auf. Das Westend wiederum hatte sich in der Chemnitzer Straße in dem Haus eingerichtet, in dem sich heute die Moschee befindet. Eine Zeit lang, in den 1980ern, betrieb Georg Neumann die Diskothek, somit galt sie als eine Art Filiale der Belinda in Sulzbach. 1991 wandelte sich das Westend und wurde zum Rainbow, später vor dem Umbau firmierte es als B14.

In den späten 1980er-Jahren und zu Beginn der 1990er-Jahre war auch der frühere Hirschkeller an der Fornsbacher Straße für Titus Simon ein Ort, an dem es sich zu später Stunde einkehren ließ. „Ich erinnere mich auch noch an einige gute Konzerte“, sagt er, auch wenn er die Location vergleichsweise selten aufgesucht hat. Eine Zeit lang lief das Lokal unter der Leitung eines Wirts, der den Hells Angels angehörte. Bunk ist sich beim genauen Namen nicht mehr ganz sicher, erinnert sich aber, dass der Betreiber ein echtes Händchen für Motorräder gehabt und eine Maschine für Yamaha bis zur Serienreife gebracht hat. Marina Heidrich ergänzt, dass der ehemalige Hirschkeller in den späten 1990ern zum Irish Pub Rose&Crown wurde, den der Engländer Peter Nickson als Pächter betrieb.

In der Texas-Bar standWirtin Erna Frank hinter den Tresen

Vergleichsweise weitab vom Schuss – in der Nähe von Hörschbachschlucht und -wasserfällen – befand sich die Texas-Bar, wie das Gasthaus am Wasserfall unter der Ägide von Betreiberin Erna Frank auch genannt wurde, die schon mal bügelnd oder strickend hinter der Zapfanlage gesessen haben soll. Der Name rührt von dem Umstand her, dass einzelne Gäste aus der Umgebung mit Pferden zum Lokal geritten sein sollen, so die Überlieferungen. Auf die Betreiberin lässt Wolfgang Bunk jedenfalls nichts kommen. „Erna war in Ordnung.“ Ihm kommen noch so einige Namen in den Sinn – wie beispielsweise die Hobelspänbar in der Gartenstraße, die aber gar keine offizielle Wirtschaft war, Wengels Weinstube im Klosterhof, das Entenpub in der Entengasse oder das Sportplatzstüble nahe der heutigen Festhalle, um nur ein paar zu nennen. Als Wirt, der knapp 50 Jahre den Engel – Gaststube und Übernachtungsbetrieb – geführt hat, war er zwar auch mal bei Freunden und Bekannten in anderen Lokalen zu Gast. Wenn er selbst aber hinter sich zuschließen konnte und noch nicht ins Bett wollte, ging es manchmal auch einfach auf einen Rundgang durch die Stadt. Das Nachtleben war für ihn dann vor allem von „frischer Luft“ geprägt. „Und ich hab die Ruhe genossen!“

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Erstellt:
26. August 2023, 11:00 Uhr

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