Hausärzte in Backnang: „Der Notstand ist jetzt schon da“

Die hausärztliche Versorgung ist vor allem im Raum Backnang besorgniserregend – und die Aussichten sind alles andere als rosig. Auf Kreisebene macht man sich auf die Suche nach Lösungsansätzen.

Der Andrang in den Wartezimmern im nördlichen Rems-Murr-Kreis ist stark gestiegen. Symbolfoto: Adobe Stock/Racle Fotodesign

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Der Andrang in den Wartezimmern im nördlichen Rems-Murr-Kreis ist stark gestiegen. Symbolfoto: Adobe Stock/Racle Fotodesign

Von Lorena Greppo

Rems-Murr. Die hausärztliche Versorgung im Bereich Backnang ist schon jetzt besorgniserregend „und sie wird schlechter“, wie Dagmar Behringer, Leiterin des Kreisgesundheitsamts, in der jüngsten Sitzung des Sozialausschusses ausführte. Im Bereich Schorndorf sei die Versorgung noch gut, im Raum Fellbach/Waiblingen immerhin passabel. Der Norden des Rems-Murr-Kreises dagegen weist erschreckende Zahlen auf.

Während etwa im Remstal zahlreiche Kinder- und Jugendärzte ansässig sind, „ist es in den Randbezirken relativ dünn gesät“. Will heißen: Im Altkreis Backnang haben nur sechs Kinder- und Jugendärzte von kreisweit 39 ihren Sitz. Und mehr noch: Allein von den 24 Hausärztinnen und Hausärzten in Backnang sind 14 älter als 60, ebenso wie beide Hausärzte in Kirchberg an der Murr und jeweils zwei von dreien in Aspach und Auenwald. In Großerlach und Spiegelberg gibt es schon jetzt keine Hausärzte mehr. „In den nächsten drei bis vier Jahren werden wir ein großes Problem kriegen“, prognostizierte Behringer, vor allem wenn man bedenkt, dass auch die Bevölkerung immer älter wird.

Aktuell liegt der hausärztliche Versorgungsgrad im Mittelbereich Backnang bei 79,9 Prozent. Vor drei Jahren war er noch bei 96 Prozent. Von einer Unterversorgung spreche man erst unter einem Wert von 75, so Behringer. Aber der Trend spreche eindeutig dafür, dass sich die Situation verschlechtern und man im Raum Backnang eine Versorgungslücke haben wird.

Oppenweiler ist selbst aktiv geworden

Klaus-Dieter Völzke (SPD), selbst Allgemeinmediziner in Plüderhausen, widersprach dieser Darstellung vehement: „Der Notstand ist jetzt schon da“, erklärte er. Die Verhältniszahlen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) seien veraltet. Bei den Kinderärzten sei dies erkannt worden, nachdem immer mehr Eltern sich beschwert hatten, weil sie keine Kinderärzte mehr finden konnten – obwohl der Kreis hier als überversorgt gilt. „Für Haus- und Fachärzte gilt das genauso“, Aufnahmestopps und Wartezeiten von mehreren Monaten seien inzwischen die Regel. „Wir haben hier ein Problem, ein großes“, räumte auch Landrat Richard Sigel ein. Deshalb sei es ihm wichtig, mit allen Mitverantwortlichen zu diskutieren und sie in die Pflicht zu nehmen. „Vom Ziel her sind wir völlig einer Meinung“, sagte Sigel an Völzke gewandt.

Dass allerdings in der Praxis einiges schiefläuft zeigte das Beispiel von Bernhard Bühler (Freie Wähler), dessen Fraktion im vergangenen Jahr einen Bericht zur aktuellen Versorgungslage beantragt hatte. Der Bürgermeister Oppenweilers gab an, dass es keinerlei Zuschüsse gegeben habe, als es darum ging, eine weitere Hausärztin in einer Praxis in der Gemeinde aufzunehmen. Der Grund: Der Bedarf sei nicht da. Im benachbarten Backnang hingegen wäre es gegangen, dort sei der Bedarf vorhanden gewesen. „Wer so denkt und Ärzte vergrätzt, der hat den Schuss noch nicht gehört“, empörte sich Bühler. Denn im medizinischen Bereich herrsche allgemein ein Problem: „Es gibt die Köpfe nicht. Und wenn es sie gibt, müssen wir ihnen den roten Teppich ausrollen.“ In Oppenweiler habe das unter anderem funktioniert, indem beide Praxen in einem gemeindeeigenen Gebäude eingemietet sind – zu günstigen Konditionen.

2023 ist eine Gesundheitskonferenz zum Thema Ärzteversorgung im Rems-Murr-Kreis geplant

„Für einen roten Teppich brauchen wir Maßnahmen und Pakete“, so Sigel. Denn der Bericht Behringers sei lediglich eine Bestandsaufnahme. „Für vieles haben wir noch keine Antworten.“ Diese müssten aber bald gefunden werden. Um das Thema eingehender zu besprechen ist für das Jahr 2023 eine kommunale Gesundheitskonferenz zum Thema Ärzteversorgung im Rems-Murr-Kreis geplant.

Erste Vorstöße gab es schon. Die SPD-Fraktion hatte in ihrem Antrag gefordert, nach dem Vorbild des Ostalbkreises ein Stipendienprogramm für Studierende des Studienganges Humanmedizin zu entwickeln. „Die Stipendiaten verpflichten sich, nach Abschluss ihres Studiums die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin oder Innere Medizin in den Rems-Murr-Kliniken beziehungsweise einer Weiterbildungspraxis im Kreis zu absolvieren und sich anschließend in einer Hausarztpraxis im Rems-Murr-Kreis neu niederzulassen beziehungsweise eine frei gewordene Praxis zu übernehmen“, so die Idee der Fraktion. Zudem solle die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin an den Rems-Murr-Kliniken ausgebaut und die Errichtung von weiteren medizinischen Versorgungszentren (MVZ) geprüft werden.

Letztere sind nicht unumstritten. „Das Risiko von einem MVZ ist, sie wollen und sollen gerne Geld verdienen. Das wird oft bis zum Exzess betrieben“, warnte Bühler. Auch Jens Steinat, Sprecher der hiesigen Ärzteschaft, hatte sich jüngst kritisch zu diesem Modell geäußert: „Rein institutionelle Investoren lehnen wir als Ärzteschaft ab, da wir insgesamt skeptisch bezüglich solcher kommerziellen Auswüchse im Gesundheitswesen sind.“

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Erstellt:
23. November 2022, 16:00 Uhr

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