Rezepte gegen den Ärztemangel im Raum Backnang gesucht

Weil es für viele Hausarztpraxen keine Nachfolger mehr gibt, denkt man in Backnang nun auch über ein Medizinisches Versorgungszentrum mit angestellten Ärzten nach. Träger für ein solches Modell könnte zum Beispiel eine Genossenschaft sein.

Wenn Hausarztpraxen schließen, bleibt die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger oft erfolglos. Symbolfoto: Adobe Stock/NIKCOA

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Wenn Hausarztpraxen schließen, bleibt die Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger oft erfolglos. Symbolfoto: Adobe Stock/NIKCOA

Von Kornelius Fritz

Backnang. Der Hausärztemangel in Backnang ist schon heute alarmierend und er dürfte sich weiter verschärfen. Der Versorgungsgrad im sogenannten Mittelbereich Backnang liege aktuell nur noch bei knapp 80 Prozent, berichtete Regine Wüllenweber, Leiterin des Amts für Familie, Jugend und Bildung, kürzlich im Sozialausschuss. Und die Altersstruktur der noch praktizierenden Mediziner lässt für die kommenden Jahre Schlimmes befürchten: Mehr als die Hälfte der niedergelassenen Hausärzte in Backnang ist nämlich älter als 60 Jahre.

Nicht besser sieht es bei den Kinderärzten aus: Bei gerade noch zwei Kinderarztpraxen in Backnang herrscht laut Wüllenweber bereits eine „dramatische Unterversorgung“. Und das, obwohl der Rems-Murr-Kreis insgesamt mit Kinderärzten sogar überversorgt ist. „Aber wenn ich ein krankes Kind habe, ist es eben keine Lösung, nach Schorndorf zu fahren“, weiß die Amtsleiterin. Immerhin: Bei den Fach- und Zahnärzten sei die Versorgung in Backnang aktuell noch zufriedenstellend bis gut.

Sechsstellige Summen werden für Praxisübernahmen fällig

Nachfolger für die verwaisten Haus- und Kinderarztpraxen zu finden, wird immer schwieriger. Das hängt zum einen mit dem hohen finanziellen Aufwand und dem Risiko zusammen, die mit einer Praxisübernahme verbunden sind. Laut Baudezernent Stefan Setzer müssen junge Ärztinnen und Ärzte, die sich selbstständig machen wollen, erst einmal eine sechsstellige Summe auf den Tisch legen. Zum anderen schreckt auch das gewaltige Arbeitspensum viele ab. Wöchentliche Arbeitszeiten von 60 Stunden und mehr sind bei Hausärzten keine Seltenheit – alles andere als familienfreundlich, und das in einem Beruf, in dem der Frauenanteil bei 70 Prozent liegt.

Auch die Kassenärztliche Vereinigung (KV), die für die Ärzteversorgung im Land verantwortlich ist, hat bisher kein wirksames Heilmittel gegen das Praxissterben gefunden. Man könne zwar Anreize in Form von Investitionskostenzuschüssen setzen, aber niemanden zwingen, sich in einem bestimmten Bereich niederzulassen, erklärt Kai Sonntag, Pressesprecher der KV Baden-Württemberg. „Die Ärzte sind ja nicht unsere Mitarbeiter“, macht Sonntag klar.

Gemeinden im Ostalbkreis gründen Genossenschaft

In Backnang machen sich Verwaltung und Gemeinderat deshalb Gedanken über das Modell eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ). Eine solche Praxis wird zum Beispiel von einem Krankenhaus, einer Kommune oder einer Genossenschaft getragen, die Ärzte sind Angestellte mit festen Arbeitszeiten. Hausärztliche MVZs gibt es bereits in vielen Städten, zum Beispiel in Schopfheim im Landkreis Lörrach.

Träger ist dort der Medi-Verbund aus Stuttgart, der 2019 und 2020 zwei vakante Praxen übernommen hat. Die anfängliche Begeisterung darüber hat sich in Schopfheim inzwischen aber gelegt. „Medi-MVZ erfüllt die Erwartungen nicht“, titelte das Markgräfler Tagblatt im Februar dieses Jahres. In dem Bericht heißt es, das Unternehmen habe Zuschüsse eingestrichen, die Patienten unter Vertrag genommen und betreibe die Praxen nun „mit minimalem Aufwand weiter“. Eine der beiden Praxen sei zeitweise ganz geschlossen gewesen. Der Gemeinderat prüfe inzwischen sogar Regressforderungen an das Unternehmen.

Für den Raum Backnang hält Jens Steinat, Sprecher der hiesigen Ärzteschaft, ein solches Modell deshalb auch nicht für erstrebenswert. „Rein institutionelle Investoren lehnen wir als Ärzteschaft ab, da wir insgesamt skeptisch bezüglich solcher kommerziellen Auswüchse im Gesundheitswesen sind“, sagt der Arzt aus Oppenweiler.

Im Ostalbkreis setzt man auf die Genossenschaft

Denkbar wäre aber auch eine genossenschaftliche Lösung, wie sie derzeit im Ostalbkreis erprobt wird. In den ländlichen Gebieten des Schwäbischen Waldes ist der Ärztemangel noch wesentlich dramatischer als im Raum Backnang. Der Versorgungsgrad bei den Hausärzten liege dort aktuell nur noch bei 52,4 Prozent, berichtet Armin Kiemel, Bürgermeister von Abtsgmünd. In seiner Gemeinde mit 7600 Einwohnern gebe es noch eine einzige Hausarztpraxis mit eineinhalb Stellen, und in den Nachbarkommunen sehe es ähnlich aus.

Deshalb haben sich zwölf Gemeinden und acht Ärztinnen und Ärzte zusammengetan und im Mai dieses Jahres die Medwald-Genossenschaft gegründet. Ihr Ziel sei es, ein Medizinisches Versorgungszentrum einzurichten und in mehreren Mitgliedsgemeinden Praxen mit angestellten Ärzten zu eröffnen, erklärt Kiemel. Ob das gelingen wird, muss sich noch zeigen. Der Abtsgmünder Bürgermeister, der zugleich Vorsitzender der Genossenschaft ist, rechnet auf jeden Fall mit einem langen und steinigen Weg: „Eigentlich wäre das gar nicht unsere Aufgabe, aber weil das bisherige Modell nicht mehr funktioniert, müssen wir als Kommune einspringen.“ Wobei sich die Gemeinden zwar jeweils mit einer Einlage von 2000 Euro an der Genossenschaft beteiligt haben, das MVZ soll sich laut Kiemel später aber finanziell selbst tragen.

Die Stadtverwaltung gibt sich zurückhaltend

Ob ein solches Genossenschaftsmodell auch für Backnang infrage kommen könnte? SPD-Stadträtin Pia Täpsi-Kleinpeter machte sich im Sozialausschuss dafür stark: „Ich bin mir sicher, dass in Backnang genug Geld da wäre, um in ein solches Projekt zu investieren.“ Oberbürgermeister Maximilian Friedrich äußert sich auf Anfrage aber eher zurückhaltend zu dieser Idee. Zwar dürfe es bei der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung „keine Denkverbote bei den Lösungsansätzen geben“, teilt der OB mit. „Ein MVZ sollte aber stets mit entsprechender Expertise betrieben werden, weshalb im Fall der Fälle eine private Trägerschaft vorrangig zu diskutieren wäre.“

Er wolle das Thema „im partnerschaftlichen Dialog mit den ortsansässigen Medizinern erörtern“, kündigt Friedrich an. Ärztesprecher Steinat dämpft aber schon mal die Erwartungen: Am grundsätzlichen Problem, dass es insgesamt zu wenige Ärzte und auch zu wenige medizinische Fachangestellte gebe, ändere auch ein MVZ nichts.

Kommentar
Das Problem löst sich nicht von selbst

Von Kornelius Fritz

Eigentlich müssten sich Stadtverwaltung und Gemeinderat mit dem Thema Ärzteversorgung gar nicht befassen. Die Zuständigkeit liegt dafür bei den Kassenärztlichen Vereinigungen. Die Praxis zeigt allerdings, dass diese ihre Aufgabe, eine flächendeckende ärztliche Versorgung sicherzustellen, immer seltener erfüllen können. Der Ärztemangel, der in ländlichen Gebieten schon seit vielen Jahren beklagt wird, erreicht jetzt auch Städte wie Backnang.

Darauf zu hoffen, dass sich das Problem von selbst lösen wird, wäre naiv. Das Gegenteil ist der Fall: Der Ärztemangel wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen. Dafür muss man mein kein Prophet sein, sondern nur auf das Alter der praktizierenden Mediziner schauen.

Obwohl sie formal nicht zuständig sind, müssen OB und Verwaltung daher aktiv werden. Denn eine gute medizinische Versorgung ist für die Stadt ebenso wichtig wie Kindergärten und fließendes Wasser. Zumal Backnangs Einwohnerzahl in den nächsten Jahren weiter steigen soll. Zwar kann die Stadt keine Arztpraxis mit Steuergeldern subventionieren, aber sie kann Rahmenbedingungen schaffen, die es für junge Ärztinnen und Ärzte attraktiv machen, sich ausgerechnet in Backnang niederzulassen.

k.fritz@bkz.de

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Erstellt:
12. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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