Helden des Alltags

Tausende Menschen in systemrelevanten Berufen halten das Leben am Laufen. Wir stellen einige von ihnen vor.

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Noch stehen wir am Anfang der Epidemie, doch den Unterschied merkt Désirée Breßm...
Noch stehen wir am Anfang der Epidemie, doch den Unterschied merkt Désirée Breßmer schon heute. „Die Verunsicherung ist groß. Wir bekommen viele Anrufe von besorgten Patienten“, berichtet die Fachärztin für Allgemeinmedizin, die mit ihrer Kollegin Petra Kotzan eine Praxis in Großaspach betreibt. Viele hätten auch Angst, sich in der Praxis anzustecken, deshalb haben die Ärztinnen ihre Arbeitsweise umgestellt: Statt einer offenen Sprechstunde bekommen jetzt alle Patienten Termine, viele wollen auch am Telefon betreut werden. „Wir haben deshalb unsere Sprechzeiten ausgedehnt und sind jetzt durchgehend telefonisch erreichbar.“ Neben denjenigen, die sich vermeintlich oder tatsächlich mit dem Coronavirus infiziert haben, müssen sich die Ärztinnen weiterhin um ihre chronisch Kranken kümmern. Breßmers Sorge: Wenn sich in den Kliniken in den nächsten Monaten alles um Corona dreht, könnte die Versorgung von Patienten mit anderen Diagnosen leiden.
Die steigende Arbeitsbelastung wirkt sich auch auf das Privatleben der Ärztin aus, die zwei Töchter im Alter von fünf und eineinhalb Jahren hat. Ihr Ehemann, der gerade sein Praktisches Jahr als Arzt im Klinikum Winnenden macht, ist beruflich zurzeit ebenfalls besonders gefordert: „Ohne Unterstützung aus der Verwandtschaft wäre das gar nicht zu schaffen“, sagt die 38-Jährige. Angst, sich selbst mit dem Coronavirus anzustecken, hat die Hausärztin nicht: „Wir sind es ja gewöhnt, mit infektiösen Krankheiten umzugehen.“ Sorge macht ihr allerdings der Mangel an Desinfektionsmitteln und Schutzausrüstung. Bei den Schutzmasken etwa habe ihre Praxis nur noch einen minimalen Bestand. Nachschub habe man schon vor Wochen bestellt: „Es wird aber nichts geliefert.“

© Alexander Becher

„Proaktive Kontrolle“ ist derzeit eine der Hauptaufgaben von Dominik Englmann. F...
„Proaktive Kontrolle“ ist derzeit eine der Hauptaufgaben von Dominik Englmann. Für den Polizeioberkommissar und seine Kollegen im Streifendienst steht die Einhaltung der Präventionsmaßnahmen im Zeichen der Coronakrise an vorderster Stelle. Verstärkt Präsenz zeigen ist angesagt. Das Alltagsgeschäft habe sich schon allein dadurch verändert, dass weniger Menschen auf den Straßen sind, so Englmann. Ungewohnt sei auch, dass auf dem Revier weniger los ist. Der Besucherverkehr wurde stark eingeschränkt. Vieles wird jetzt möglichst telefonisch geregelt. Je nach Sachverhalt können die Bürger per Onlineverfahren Anzeige erstatten. Vom Hygieneaufwand her hat sich für die Ordnungshüter wenig geändert. „Wir haben von je her einen hohen Hygienestandard, haben für den Bedarfsfall immer Desinfektionsmittel, Handschuhe, und auch weiße Schutzanzüge im Wagen“, sagt er. Mittlerweile halte man aber mehr Abstand zu den Leuten, schüttelt keine Hände. Derzeit kommen vermehrt Anrufe, dass beispielsweise irgendwo fußballspielende Jugendlichen gesehen worden seien oder dergleichen. „Die Bürger achten schon sehr darauf, dass die Regeln eingehalten werden“, so Englmanns Einschätzung.

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Dominic Steinbrenner ist einer von zwei Teamleitern, die in der Notaufnahme in d...
Dominic Steinbrenner ist einer von zwei Teamleitern, die in der Notaufnahme in den Rems-Murr-Kliniken Winnenden tätig sind. Täglich haben er und seine Kollegen es mit durchschnittlich 130 bis 150 Patienten zu tun, die entweder selbst in die Notaufnahme kommen oder per Rettungswagen auf einer Trage eingeliefert werden. „Als erstes erfolgt die Triage“, sagt der gelernte Gesundheits- und Krankenpfleger. „Wir schauen: Wie schwer ist der Patient erkrankt und wie schnell muss er den Arzt sehen.“ Der Patient wird bei der Sichtung einer Kategorie zugeordnet. Bei rot besteht eine akute Bedrohung, der Patient muss sofort behandelt werden. Gelb steht für schwer verletzt. Die Behandlung ist nicht ganz so dringlich, kann aufgeschoben werden. Bei grün darf sich der Patient freuen, denn er ist nur leicht verletzt beziehungsweise erkrankt. Und das sind laut einer Studie die meisten. Demnach handelt es sich bei fast zweit Drittel der Patienten, die in der Notaufnahme aufkreuzen, um Bagatellfälle. Sie wären beim Hausarzt oder in der kassenärztlichen Notfallpraxis besser beziehungsweise richtig aufgehoben. „Trotz der Coronakrise leisten wir hier eine optimale Notfallversorgung“, sagt Steinbrenner. Der 28-Jährige freut sich über jede Wertschätzung, sei es über ein persönliches Lob eines Patienten oder auch über dier Danksagungsplakate, die jetzt einige Bürger in ihre Fenster gehängt haben. Steinbrenner ist es ein Bedürfnis, noch eine Warnung auszusprechen: „Heutzutage muss man aufpassen, was im Netz kursiert, da gibt es Blödsinn und viele Fake News. Man sollte nur seriösen Medien glauben und Experten und Behörden.“ Und noch eine Bitte äußert der Pfleger: „In diesen schwierigen Zeiten sollten alle den örtlichen Handel unterstützen und regionale Produkte kaufen.“

„Wir werden gebraucht, aber nicht geschützt.“ Das sagt Petra Kauer über Berufe i...
„Wir werden gebraucht, aber nicht geschützt.“ Das sagt Petra Kauer über Berufe in der ambulanten Pflege. Viele Menschen können auf die Arbeit der Pflegedienstleiterin des Backnanger ambulanten Pflegedienstes „Hilfe mit Herz“ und ihr Team nicht verzichten. In Zeiten von Corona leisten die Mitarbeiter „unendlich viel an Beratung und Beruhigung“. Kauer erlebt eine große Verunsicherung der Patienten, der Angehörigen und auch des Mitarbeiterteams. Es brechen Aufträge weg und es gibt keine Tests fürs Pflegepersonal. „Was das Testen angeht, wird leider viel zu wenig gemacht.“
Kauers Personal ist angehalten, beim Besuch mit den Patienten so wenig wie möglich zu sprechen. „Wir versuchen, alle Regeln einzuhalten. Aber man hat viele Vorschriften, die man nicht einhalten kann.“ Beispiel Hygienemaßnahmen: „Sie sind einfach einzuhalten, wenn man das Material dazu hätte.“ Kauer meint damit den Mangel an Mundschutz und FFP-2-Schutzmasken. „Wir bräuchten pro Tag ungefähr 150 Exemplare Mundschutz, wenn man bei jedem Patienten einen neuen trägt.“ Weil Mundschutz nicht zu bekommen ist, hat eine ehemalige Mitarbeiterin für das Team selbstständig welchen genäht. Kauer empfindet, dass die Pflege Anerkennung in der Bevölkerung gefunden hat. „Aber weiß das die Politik nach der Coronakrise auch noch?“ Unabhängig von der Antwort auf die Frage wollen Kauer und ihr Pflegepersonal weiterhin voll für die Patienten da sein.

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Horst Scheerer arbeitet seit knapp neun Jahren bei der Murrhardter Firma Schäf, ...
Horst Scheerer arbeitet seit knapp neun Jahren bei der Murrhardter Firma Schäf, die im Raum Backnang einen großen Teil der Müllabfuhr besorgt. Er ist als Ladehelfer im Einsatz, an diesem Tag sind Restmüllgefäße zu leeren. Mit seinem Job ist er ausgesprochen zufrieden. Das Wetter, sagt er, muss man nehmen, wie es kommt, und dass es mal regnet oder kalt ist, gehört einfach dazu. Eine Arbeit im Freien und viel Bewegung dabei, das ist ihm lieber als eine Bürotätigkeit. Aber nicht nur das. Mit einem herzhaften Lachen gibt er sein Motto zum Besten: „Wir haben Konditions- und Krafttraining jeden Tag und werden dafür auch noch bezahlt, wir brauchen kein Fitnessstudio.“ Aber in den heutigen Zeiten – wie fühlt sich der 56-Jährige? „Ein Risikofaktor ist da, dessen muss man sich bewusst sein und die Regeln einhalten.“ Abfälle und Keime, das ist für Entsorger auch sonst schon ein Thema: „Müll ist nicht krankheitsneutral“, weiß Scheerer. Für die Männer von der Müllabfuhr gilt jetzt erst recht: Keine Hände geben und Abstand halten. Die Firma hat zudem Desinfektionsmittel bereitgestellt.
Sich an die getroffenen Vorkehrungen zu halten, ist nach Scheerers Meinung unbedingt erforderlich, aber zurzeit auch ausreichend. Sollte es noch schlimmer kommen und die Situation sich verschärfen, müsse man auch über Gesichtstücher nachdenken, wie sie schon mancherorts getragen werden. Zufrieden registriert der Murrhardter aber auch, dass die Leute sich vernünftig verhalten: „Wir bleiben auf Abstand.“ Wie wichtig die Müllabfuhr insgesamt aber ist, hat sich seinerzeit beim Streik in Stuttgart gezeigt. Oder noch krasser in Neapel, wo die Müllberge immer wieder zum Himmel stinken. Und Scheerer ist sich sicher: Bleiben die Tonnen stehen und wachsen die wilden Ablagerungen daneben, ist das der erste Schritt zu einer Rattenplage. Deshalb kommt es im Land auf Männer wie Horst Scheerer an.

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 „So richtig realisiert man die Lage erst jetzt, wo sich der Arbeitsalltag verän...
„So richtig realisiert man die Lage erst jetzt, wo sich der Arbeitsalltag verändert“, sagt Katja Schlegel. Seit die Bäckerei Übele vor zwei Jahren eine Filiale in Oppenweiler geöffnet hat, arbeitet sie hier als Verkäuferin hinter der Theke. Ihre Arbeit hat sich in den vergangenen Tagen wegen der Einschränkungen des öffentlichen Lebens spürbar gewandelt: es sei sehr ruhig geworden, die täglichen Stammkunden blieben aus und die Sitzmöglichkeiten in der Bäckerei könnten nicht mehr genutzt werden. Auch sind nun weniger Angestellte in der Filiale anwesend, damit auch sie genug Abstand halten können. „Die Kunden selbst verhalten sich auch anders“, sagt Schlegel. „Sie sind sehr vorsichtig geworden und versuchen, sich nicht zu nahe zu kommen und Abstand zu uns hinter der Theke zu halten.“ Sie persönlich hat im Moment keine Bedenken, sich in der Bäckerei anzustecken. Ständiges Händewaschen, der Gebrauch von viel Desinfektionsmittel und die strengen Hygieneregeln würden ihr und ihren Kollegen viel Sicherheit vermitteln. „Unser Chef hat sich da auch super gekümmert“, sagt die 32-Jährige. „Als das alles losging, hat er sofort Maßnahmen ergriffen.“ Sie sei vor allem froh, dass sie überhaupt noch zur Arbeit kommen kann, ihr bedeute es viel, den Menschen auch weiterhin behilflich zu sein. „Viele Leute sind froh, dass wir noch da sind und sagen uns das auch so. Manche bedanken sich auch direkt, das hört man natürlich gern. Das motiviert uns sehr.“

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 Wenn die Menschen nicht mehr in die Geschäfte gehen können, dann bestellen sie ...
Wenn die Menschen nicht mehr in die Geschäfte gehen können, dann bestellen sie sich die Waren übers Internet. Die Zusteller der Post- und Paketdienste bekommen dies derzeit hautnah zu spüren. „Sendungsmengen fast wie an Weihnachten“, konstatiert Michael Hofmann von der Deutschen Post. „Bei uns geht es gerade heiß her“, bringt es der 49-Jährige auf den Punkt. Nicht nur die Menge ist außergewöhnlich, auch die Umstände sind besondere. „Wir müssen den Sicherheitsabstand einhalten“, sagt Hofmann. Der Burgstaller, der in Erbstetten Briefe und Pakete austrägt, erklärt weiter: „Wir legen die Pakete vor die Tür und treten zwei Schritte zurück.“ Die Pakete werden derzeit ohne Unterschrift des Empfängers ausgeliefert. Das heißt: „Wir vermerken auf unserem Handscanner ein Q für Quarantäne und unterschreiben selber. Aber wir müssen zuvor fragen, ob der Empfänger damit einverstanden ist.“ Ist er es nicht, erhält er das Paket nicht ausgehändigt, dann muss er es in der Postfiliale selbst abholen. „Aber auf unserem Scanner darf er derzeit nicht unterschreiben.“ Die Kunden haben laut Hofmann großes Verständnis für diese Maßnahme. Die meisten sind sogar froh, dass sie das Gerät nicht anfassen müssen, schließlich geht es im Normalfall von Hand zu Hand. Hofmann ist froh, dass der übliche Small Talk trotzdem noch möglich ist. Mit größerem Abstand zwar, aber immerhin. Und noch etwas ist ihm aufgefallen: Die Menschen sind freundlicher. Der neue Gruß heißt: „Bleiben Sie gesund!“

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„Wenn das alles vorbei ist, werden wir kugelrund sein“, sagt Dagmar Bucher mit B...
„Wenn das alles vorbei ist, werden wir kugelrund sein“, sagt Dagmar Bucher mit Blick auf den Tisch im Mitarbeiterraum des Rewe Schneeberger in Oppenweiler. Hier stehen selbstgemachte Muffins und verschiedenste Schokoladensorten. „Das haben wir alles von Kunden bekommen.“ Zur Anerkennung und als Nervennahrung. Denn obwohl sich Großteil der Kunden vorbildlich an die Regelungen halte, gebe es auch Ausnahmen. „Manche halten die Abstandregeln mit Absicht nicht ein oder werden pampig, wenn es etwas gerade nicht gibt.“ Doch es gebe auch sehr viele Hilfsangebote von Vereinen oder Privatpersonen, die anbieten, beim Einräumen der Regale zu helfen.
Zusätzlich zu den Bodenmarkierungen ist an den Kassen mittlerweile auch Plexiglas angebracht. Dass sie sich bei den Kunden trotzdem anstecken könnte, sorgt zumindest Mitarbeiterin Kim Vobornik nicht: „Wir haben gar nicht die Zeit, um uns darüber Sorgen zu machen.“ Das Arbeitsvolumen sei nämlich deutlich gestiegen, auf das zwei- oder dreifache, so Vobornik. Eine weitere Veränderung ist, dass nun auch am Sonntag Lieferungen angenommen werden und sich der Umgang mit den Kunden verändert hat. „Wir gehen den Leuten bewusst aus dem Weg und haben überall im Laden die Abstandsmarkierungen angebracht.“ Die Mitarbeiter hier wünschen sich vor allem eins: Dass die Wertschätzung, die sie jetzt erfahren, auch nach der Coronakrise noch präsent ist. „Und zwar nicht nur für Kassiererinnen, sondern für alle Berufsfelder. Wir brauchen einfach einen gegenseitigen Respekt vor der Arbeit, die andere Menschen leisten.“

© Alexander Becher