Sie wollen Inklusion erlebbar machen

Die Deutsche Fernsehlotterie unterstützt die „Inklusiast:innen“, ein Projekt des Kreisjugendrings, mit mehr als 300000 Euro. Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen wirken mit und vermitteln, wie sich das Leben mit einer Behinderung gestaltet.

Nurcan Dikme Yasar und Simon Maier leiten das neue Projekt, Maier wirkt auch selbst dabei mit. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Nurcan Dikme Yasar und Simon Maier leiten das neue Projekt, Maier wirkt auch selbst dabei mit. Foto: Alexander Becher

Von Armin Fechter

Backnang. Der Kreisjugendring Rems-Murr (KJR) hat ein neues Inklusionsprojekt aus der Taufe gehoben: „Inklusiast:innen“. Die zehn Mitwirkenden gehen dabei auf Kinder und Jugendliche in Schulen oder Jugendgruppen zu, erzählen über sich und stellen sich den Fragen. Die Deutsche Fernsehlotterie unterstützt das Projekt für die Dauer von drei Jahren mit 303065 Euro. In Kooperation mit dem Stuttgarter Theater Lokstoff werden die Mitwirkenden auf ihre Einsätze vorbereitet.

Ziel des Projekts ist es, so Simon Maier vom Kreisjugendring, Kinder und Jugendliche ohne Behinderung für das Thema Inklusion zu sensibilisieren. Denn es gebe immer noch viele Barrieren, vor allem auch in den Köpfen: Menschen mit Behinderung würden oft bemitleidet, übersehen und abschätzig behandelt. Deshalb haben Menschen mit Einschränkung großen Bedarf, ihre Ausgrenzungserfahrungen in der Gesellschaft mitzuteilen. Bei den „Inklusiast:innen“ stehen nun die Betroffenen selbst im Vordergrund: Menschen mit ganz unterschiedlichen Einschränkungen treten dabei in Aktion, um Barrieren zu lösen und Akzeptanz zu fördern.

Da ist beispielsweise Simon Maier selbst. Der Projektreferent, der seit 20 Jahren beim Kreisjugendring arbeitet und sich dabei das Thema Inklusion auf die Fahnen geschrieben hat, ist schon bisher vielfältig in der Öffentlichkeit aufgetreten. Offen spricht der Rollstuhlfahrer über die körperlichen Beeinträchtigungen, denen er unterliegt – und beweist dabei immer wieder seinen Humor. „Dieses Projekt ist echt cool“, sagt er, „weil die Menschen selbst zu Wort kommen und ihre Anliegen vorbringen können.“ Denn zu oft sei es so, dass man nur über Behinderte spreche. Wenn sie aber in einer Klasse von sich erzählten und Fragen beantworteten, dann merkten die Kinder: „Wir sind ganz normale Menschen.“

Ein Dokumentarfilm ist geplant

Marco Longobucco, der begeisterte Liegeradfahrer, ist seit einem schweren Motorradunfall körperlich eingeschränkt. Doch er hat wieder Tritt gefasst und engagiert sich heute sozial: „Ich habe viel Zuneigung und Hilfe erfahren. Das will ich zurückgeben.“ – „Ich unterstütze den Kreisjugendring schon lange, ich will, dass wir Inklusion erlebbar machen“, unterstreicht Elke Tigli, die wegen ihrer Behinderung eine Gehhilfe benutzen muss. Ein anderer Mitstreiter war in seinem früheren Leben Rechtsanwalt. Dann traf ihn ein Schlaganfall, seitdem ist er halbseitig gelähmt. Vom „Inklusiast:innen“-Projekt ist er sehr angetan, auch weil die Stimmung unter den Beteiligten von Anfang an angenehm gewesen sei.

Dazu beigetragen haben die drei Mitglieder des Theaters Lokstoff Wilhelm Schneck, der künstlerische Leiter, Hannah Jasna Hess, Schauspielerin und Kulturvermittlerin, und der Theatertherapeut Yakup Kurt, der für das Projekt ganz neu zur Truppe hinzugestoßen ist. „Wir sind hier dabei, um das Projekt auszugestalten und dabei auch neue Wege zu gehen“, erklärt Schneck. Die Unterschiedlichkeit der zehn „Inklusiast:innen“ stellt dabei sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance dar. Ob die Beteiligten nun eine Gehbehinderung, Autismus oder Epilepsie haben oder blind sind, für jede und jeden von ihnen gilt es, passgenaue Herangehensweisen zu entwickeln, damit sie als Inklusionsbotschafter an die Öffentlichkeit treten können. Viele Ideen stehen dazu im Raum. Beispielsweise soll mit einer Spezialkamera die Perspektive von Rollstuhlfahrer Simon Maier erfasst werden, der im Alltag mit vielen Problemen konfrontiert ist: hohe Bordsteine, enge Aufzüge, von Stufen ganz zu schweigen. Geplant ist ferner ein Dokumentarfilm über das Projekt.

Marcus Lenz, der ehrenamtliche erste Vorstand des KJR, zeigt sich „gespannt, was noch alles in dem Projekt passieren wird“. Er erinnert daran, dass sich das Team schon seit langer Zeit dem Thema Inklusion widmet und immer wieder neue Projekte angestoßen hat. Und Sebastian Eltschkner, der kommunale Behindertenbeauftragte des Landkreises, hofft darauf, dass die „Inklusiast:innen“ ihre Expertise auch im Landratsamt einbringen – dort ist Eltschkner Ansprechpartner für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige, Organisationen der Behindertenhilfe sowie Stadt- und Gemeindeverwaltungen.

Zur offiziellen Scheckübergabe durch Nils Detering von der Deutschen Fernsehlotterie trafen sich die Projektbeteiligten und einige Gäste im Backnanger Jugendhaus Treffpunkt 44. Detering erklärte dabei: „Mit dieser Förderung tragen wir einen Teil dazu bei, dass bei Jugendlichen Barrieren und mögliche Ängste beim Umgang mit Menschen mit Behinderung abgebaut werden.“ Im vergangenen Jahr hat die Deutsche Fernsehlotterie rund 34 Millionen Euro an über 230 soziale Projekte ausgeschüttet. Davon entfielen auf Baden-Württemberg 29 Projekte mit einer Summe von 4,6 Millionen Euro. Finanziert werden diese Fördermittel aus den Erlösen des Losverkaufs.

Das Projekt

„Inklusiast:innen“ Das Wort ist zusammengesetzt aus „Inklusion“ und „enthusiastisch“. Es soll verdeutlichen, dass die Beteiligten bei ihrem Thema, der Inklusion, mit Hingabe bei der Sache sind.

Federführung Die Leitung des Projekts, das bis Ende 2025 läuft, ist unter Simon Maier (Inklusion) und Nurcan Dikme Yasar (Sozialpädagogik) aufgeteilt.

Link Infos zu dem Projekt bietet der KJR unter https://t1p.de/Inklusiastinnen.

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Erstellt:
26. Juni 2023, 11:30 Uhr

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