Zwischen Alltag und Corona

Erster Erkrankungsfall in Backnang – Bürgerhotline ist ausgelastet – Diverse Einrichtungen treffen Sicherheitsvorkehrungen

Ein Fall in Backnang, eine stetig brodelnde Gerüchteküche, Besuchsverbot im Pflegeheim, geschlossene Sparkassen-Filialen, Reiserückkehrer, die auf Tests warten, überlastete Hotlines und alarmbereite Schulen – das Coronavirus wirkt sich im Rems-Murr-Kreis auf vielfältige Art und Weise im Alltag aus.

Im Alten- und Pflegeheim Staigacker haben derzeit keine außenstehenden Personen Zutritt. Dies sei allein zum Schutze der Bewohner entschieden worden, sagt Geschäftsführer Eckart Jost. Einen Verdachtsfall gebe es nicht. Foto: A. Becherh

© Alexander Becher

Im Alten- und Pflegeheim Staigacker haben derzeit keine außenstehenden Personen Zutritt. Dies sei allein zum Schutze der Bewohner entschieden worden, sagt Geschäftsführer Eckart Jost. Einen Verdachtsfall gebe es nicht. Foto: A. Becherh

Von Lorena Greppo

BACKNANG. Nachdem drei Tage zuvor der erste Coronafall im Rems-Murr-Kreis bestätigt wurde, ist die Zahl der Erkrankten inzwischen auf mindestens drei angestiegen. Wie das Sozialministerium mitteilte, hat sich ein 57-jähriger Mann mit dem Virus infiziert. Der Mann komme aus Backnang, bestätigt das Landratsamt Rems-Murr. Es handle sich um einen Reiserückkehrer aus Südtirol, er sei zu Hause isoliert. Nach Informationen unserer Zeitung gibt es auch in Weinstadt einen weiteren Fall, dieser wurde aber bisher nicht offiziell bestätigt. Weil der 57-Jährige in Kontakt mit einer Mitarbeiterin der Kreissparkasse Waiblingen stand, hat das Geldinstitut vorsorglich zwei Filialen in Backnang geschlossen. Es liege kein Verdachtsfall vor, hebt Oliver Kurz von der Kreissparkasse Waiblingen hervor. „Wir sind sehr sensibel in der Sache und haben uns entschieden, aus Sicherheitsgründen vorerst zu schließen“, erklärt er. Man warte auf Rückmeldung vom Gesundheitsamt bezüglich des weiteren Vorgehens und wolle so schnell wie möglich wieder öffnen – ohne jemanden damit zu gefährden.

Der Umgang mit dem neuartigen Coronavirus wirft in der Bevölkerung viele Fragen auf. Das Gesundheitsamt Rems-Murr versucht dem mit einer Bürgerhotline gerecht zu werden. Das ist aber gar nicht so einfach. „Die Telefone stehen selten still“, sagt eine Sprecherin des Landratsamts. So ist es keine Ausnahme, wenn ein Anrufer es nicht auf den ersten Versuch schafft, einen Mitarbeiter an den Apparat zu bekommen, sondern sich die Bandansage anhören darf.

Breites Stimmungsspektrum unter den Anrufern

Es gehe eine Vielzahl an Anrufen und E-Mails ein. Aktuell seien zwölf Mitarbeiter für den Schichtdienst im Rahmen der Hotline eingeplant. „Sie haben alle einen medizinischen Hintergrund“, sind also Kranken- oder Altenpfleger, Arzthelfer und Ähnliches. Die meisten kämen aus dem Sozialamt und Jugendamt. „Das Stimmungsspektrum ist breit: von sachlich-besorgt bis panisch“, lässt das Landratsamt wissen. „Die Kollegen an der Hotline geben ihr Bestes und bemühen sich nach Kräften, die Anrufer zu beruhigen.“ Es könne manchmal dauern, bis Bürgerfragen beantwortet werden. „Da bitten wir die Anrufer um Geduld. Die Kollegen haben alle Hände voll zu tun und geben ihr Bestes.“

Nicht immer haben diese Bemühungen das gewünschte Ergebnis. Familie Albrecht aus Backnang, die nach einem Urlaub in Südtirol Erkältungssymptome aufwies, hatte sich vergeblich um einen Test auf Corona bemüht. Schlussendlich haben sich ihr Mann und ihre Tochter eigenmächtig nach Schorndorf in das Testzentrum aufgemacht, berichtet Angela Albrecht. Weil sie keinen Termin hatten, seien sie abgewiesen worden und hätten sich daraufhin in die Notaufnahme begeben. „Es ging ja nicht anders“, erklärt Albrecht schlicht. Am Abend seien sie dann getestet worden.

Auch Familie Bulut aus Winnenden erlebt Ähnliches. Am Freitagabend seien sie aus Italien zurückgekehrt, hatten den Sohn nach einem Praxissemester dort abgeholt und unter anderem einen Aufenthalt in der Lombardei – einem Risikogebiet – gehabt. In der Folge habe der Sohn ein leichtes Fieber entwickelt, Halsschmerzen verspürt. Auch hier gab der Hausarzt an, nicht die nötige Ausrüstung für einen Coronatest zu haben. Das Gesundheitsamt habe die Familie gebeten, abzuwarten und sich nicht selbstständig in die Klinik zu begeben. Ihre Einkäufe lassen sich die Buluts von Verwandten und Freunden bringen und auf dem Balkon abstellen, sie meiden jeden Kontakt zu Außenstehenden. „Mein Mann und ich haben beide die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten“, erklärt Evangelia Bulut. Umstände macht ihnen die Isolation dennoch. Die fast 80-jährige Mutter, die eigentlich mit im Haus wohnt, habe sie vorsorglich zum Bruder geschickt. Den Vater in einer Pflegeeinrichtung könne man nicht besuchen. „Wir haben uns verantwortungsvoll abgeschirmt“, bestätigt Bulut. Aber von ärztlicher Seite sei lange nichts gekommen. Gestern wurde der Test dann vorgenommen. „Ich hätte erwartet, dass zeitnah etwas passiert“, sagt sie. Martina Keck, Pressesprecherin des Landratsamts, weist darauf hin, dass erst am Mittwoch das Testzentrum in Schorndorf eingerichtet wurde. „So richtig angelaufen ist es erst am Donnerstag“, erklärt sie. An jenem Tag habe man acht Menschen getestet, gestern waren es 14. Es wurde zudem vermeldet, dass 50 Anmeldungen für den Coronatest in der Schleife hingen. Dass es zu Verzögerungen kommen kann, liege auch daran, dass sich das System erst etablieren musste. „Das hat anfangs geholpert“, räumt Keck ein.

Keine Besucher mehr im Altenheim erlaubt

Auch sei die Ausstattung der Hausarztpraxen sehr unterschiedlich, die Schutzkleidung zudem knapp. Auch von Amtsseite spüre man die zusätzliche Belastung. „Es wird immer schwieriger, die Einzelfälle abzuarbeiten.“ Schließlich müssten immer auch die Kontaktpersonen ermittelt und benachrichtigt werden. „Wir appellieren an das Land, dass wir Unterstützung brauchen“, sagt Keck. Inzwischen werden auch einige Veranstaltungen wie der Kreisseniorenfachtag abgesagt – da die Senioren zur Risikogruppe gehören.

In den Alten- und Pflegeheimen Staigacker herrscht seit vorgestern Besuchsverbot. „Wir haben alle Heime der Stiftung geschlossen“, lässt Geschäftsführer Eckart Jost wissen. Nicht etwa, weil es einen Verdachtsfall gegeben habe, sondern zum Schutz der Bewohner. Quarantäne gebe es keine, die Bewohner könnten sich frei bewegen, hebt Jost hervor. Nur dürften Gäste die Heime nicht betreten. „Die Angehörigen und Heimbeiräte sind informiert und stimmen den Maßnahmen zu.“ Auch die Erich-Schumm-Stiftung in Murrhardt hat vorbeugende Maßnahmen zur Sicherheit der Bewohner ergriffen. „Für alle Besucher gilt eine Meldepflicht am Empfang“, heißt es. So werde etwa hinterfragt, ob ein Aufenthalt in einer Krisenregion stattgefunden hat. Den Bewohnern bietet die Einrichtung bis auf Weiteres einen Einkaufsservice an. Und auch die Rems-Murr-Kliniken „schränken zum Schutz von Patienten und Mitarbeitern die Besuchszeiten bis auf Weiteres ein, um die Funktionsfähigkeit der Klinik zu erhalten“, heißt es in einer Pressemitteilung. Besuche sind künftig nur in der Zeit von 14 bis 19 Uhr möglich, sie werden zudem bei Angehörigen und Freunden auf eine Person pro Patient und Tag reduziert. Personen mit Erkältungssymptomen oder ansteckenden Erkrankungen sind als Besucher nicht zugelassen.

Dass die Region Südtirol vom Robert-Koch-Institut in die Liste der Coronarisikogebiete aufgenommen wurde, bedeutet für die Schulen der Region eine Veränderung. Im Lauf des Vormittags sei man informiert worden, berichtet Heinz Harter, der geschäftsführende Schulleiter der Backnanger Schulen. Unabhängig davon, ob sie Symptome aufweisen, wurden Schüler wie Lehrer, die sich in den vergangenen 14 Tagen im Risikogebiet aufgehalten haben, nach Hause geschickt. „Das sind wahrscheinlich an jeder Schule ein paar Fälle.“ Die Familien legten jedoch die nötige Sensibilität an den Tag. „Die Stimmung bei uns ist relativ unaufgeregt.“

Das Landratsamt Rems-Murr informiert unter www.rems-murr-kreis.de über die Lage hinsichtlich der Ausbreitung des Coronavirus im Kreis. Für Fragen, die durch die dort aufgeführten Informationen nicht beantwortet werden, gibt es eine Hotline. Diese ist unter 07151/501-3000 werktags von 8 bis 17 Uhr zu erreichen.

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Erstellt:
7. März 2020, 06:00 Uhr

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