47 Eltern missachten die Schulpflicht

Bußgelder gegen die Eltern von Schulverweigerern haben wenig Wirkung. Schulamtsleiterin Sabine Hagenmüller-Gehring setzt im Streit um Test- und Maskenpflicht auf den Dialog zwischen Eltern und Schule. Das Backnanger Amtsgericht weist den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ab.

In Deutschland gilt die Schulpflicht. Die Eltern können nicht einfach entscheiden, ihr Kind nicht mehr in den Unterricht zu schicken. Und die Kinder dürfen ebenfalls nicht den Unterricht schwänzen. Eine Befreiung gibt es nur mit einem gültigen Attest. Foto: Adobe Stock/buritora

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In Deutschland gilt die Schulpflicht. Die Eltern können nicht einfach entscheiden, ihr Kind nicht mehr in den Unterricht zu schicken. Und die Kinder dürfen ebenfalls nicht den Unterricht schwänzen. Eine Befreiung gibt es nur mit einem gültigen Attest. Foto: Adobe Stock/buritora

Von Matthias Nothstein

Backnang. Derzeit besuchen im Zuständigkeitsbereich des Staatlichen Schulamts Backnang 47 Kinder keine Schule, ihre Eltern verstoßen damit gegen die Schulpflicht. Als Begründung für die Weigerung müssen die Coronaschutzmaßnahmen in den Schulen herhalten, in erster Linie also die Pflicht, sich zu testen zu lassen und Masken zu tragen. Inzwischen hat das Amtsgericht Backnang erste Urteile gefällt, so etwa am Montag, als die Eltern einer Neunjährigen zu einem Bußgeld von 120 Euro verurteilt worden sind.

Die Gesetzeslage ist eindeutig. Spätestens seit dem 13. September 2021 gilt wieder Präsenzpflicht an den Schulen im Land. Eltern, die ihre Kinder nicht schicken möchten, müssen ein gültiges Attest eines Arztes vorlegen, aus dem genau hervorgeht, weshalb das Kind keine Maske tragen kann. Eine Befreiung von der Testpflicht ist ohnehin nirgends vorgesehen, da hilft kein Attest. Sabine Hagenmüller-Gehring, die Leiterin des Staatlichen Schulamts Backnang, bestätigt, dass es nur ganz wenige Ausnahmen gibt, in denen Eltern ihre Kinder nicht schicken, „die allergrößte Mehrheit will, dass alle Regeln eingehalten werden, damit so die Gefahr für alle minimiert werden kann“. Laut Hagenmüller-Gehring hat sich das Prozedere an den Schulen längst eingespielt, „das Maskentragen ist bei der riesigen Mehrheit kein Problem und kein Thema und das Testen auch nicht“.

Bußgelder schrecken die Eltern in den allermeisten Fällen nicht ab

Das Schulamt hat momentan eine Abfrage bei den Schulen am Laufen, wie viele Eltern ihre Kinder von der Schule fernhalten. Von den 130 Schulen liegen bereits die Rückmeldungen von 97 Schulen vor, die restlichen Schulen wurden dieser Tage nochmals angemahnt, die Antworten zu geben. Hagenmüller-Gehring sagt: „Schulverweigerer gab es auch früher immer wieder, aber das sind jetzt nur coronabedingte Verweigerungen.“ Den Eltern sei immer erklärt worden, dass sie nur mit einem Attest die Kinder vom Unterricht fernhalten dürfen, „sonst muss die Schule entsprechende Maßnahmen einleiten“. Konkret wird dann ein Bußgeld verhängt. Doch dieses schreckt die meisten Familien nicht ab, „die ziehen das trotzdem durch“. Zumal es sich laut der Einschätzung von Hagenmüller-Gehring um kleine Beträge und zum Teil um gut situierte Familien handelt: „Die schauen oft danach, dass die Kinder lernen und Nachhilfe bekommen, die sorgen sich schon um ihre Kinder.“

Die nächste Stufe der Sanktionierung nach einem Bußgeld ist ein Zwangsgeld, das das Regierungspräsidium nach einer ausführlichen Anhörung verhängen kann. Aber Hagenmüller-Gehring zweifelt, ob dies etwas ändert: „Das sind oft ganz überzeugte Leute, so ein Zwangsgeld kümmert die nicht.“

Bliebe als letztes Mittel noch die sogenannte Zwangszuführung des Kindes an die Schule. Doch diesen Weg will keiner gehen, weder die Schule noch das Schulamt, und auch das Kultusministerium des Landes rät davon nicht zuletzt aus pädagogischen Gründen ab. Die Schulamtsleiterin malt sich eine solche Szene vor ihrem geistigen Auge aus und winkt unmissverständlich ab: „Das finde ich ganz, ganz schrecklich. Was würde das mit dem Kind machen? Von der Polizei abgeholt? Das Kind würde völlig verängstigt in der Schulbank sitzen und am nächsten Tag käme es vermutlich trotz der verstörenden Maßnahme wieder nicht.“

Da rät Hagenmüller-Gehring den Schulen viel mehr dazu, immer wieder Kontakt mit den Eltern zu suchen und zu versuchen, die Kinder und die Eltern hin und wieder einmal zu sehen, damit auch eine Kindeswohlgefährdung ausgeschlossen werden kann. Sonst müsste nämlich das Jugendamt eingreifen, im schlimmsten Fall wird das dann zu einem Fall fürs Familiengericht.

Die Zahl von 47 Schulverweigerern klingt zwar nach sehr viel, es ist aber in der Gesamtschau eine verschwindend kleine Menge, so Hagenmüller-Gehring: „Es sind Einzelfälle, aber sie kosten viel Zeit und Energie für die Lehrer und Schulleitungen. Es sind oft sehr anstrengende Gespräche, die geführt werden müssen, aber sie sind der einzige Weg aus der Misere.“ Was für sie auf keinen Fall eine Alternative ist, das ist die Beendigung der Masken- und Testpflicht: „Ich will das derzeit auf keinen Fall streichen. Die Tests sind zwar eine zeitliche Belastung, aber mehr nicht. Und inzwischen werden ja nur die positiv getesteten Kinder heimgeschickt.“

Im konkreten Fall, der am Montag am Amtsgericht Backnang verhandelt wurde, besucht das Kind regelmäßig den Verein „Lernen im Freien“, der seinen Sitz ursprünglich in Esslingen hat, seine Dienste aber offensichtlich auch in Waiblingen anbietet. Die Leiterin jener Grundschule, bei der die Neunjährige eigentlich zum Unterricht gehen sollte, hatte die Mutter darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Verein um keine „anerkannte Ersatzschule“ handelt. Trotzdem blieb das Kind seit den Sommerferien dem Unterricht fern. Die Mutter zeigte sich vor Gericht uneinsichtig. Sie begründete ihr Handeln damit, dass ihr Kind „nicht 24/7 vor dem Computer oder Fernseher sitzt, sondern regelmäßig den Verein besucht und lernt“. Gegen einen Bußgeldbescheid über 120 Euro für den Zeitraum 13. bis 28. September (zwölf Schultage) legten die Eltern Einspruch ein, der von der Richterin abgewiesen wurde. Sie fällte vielmehr ein Urteil, das die Höhe des Bußgelds bestätigte.

In der Verhandlung hatte die Mutter argumentiert, die Neunjährige habe von sich aus nicht in die Schule gehen wollen. Nun wollte die Richterin wissen, wie die Mutter auf ihre Tochter eingewirkt habe: „Haben Sie mit ihr gesprochen?“ Die Mutter sagte, das Kind sei noch nie getestet worden und sei „richtig böse geworden“, als es nach den Sommerferien wieder zur Schule gehen sollte. Die Richterin fasst die Aussage sichtlich verständnislos zusammen: „Das Kind sagt, ich will nicht, und Sie akzeptieren das?“

Regierungspräsidium Stuttgart hat derzeit vier Zwangsgeldverfahren am Laufen

Schulpflicht In Deutschland sind Kinder ab sechs Jahren dazu verpflichtet, eine Schule zu besuchen. In Baden-Württemberg dauert diese Pflicht mindestens bis zur 9. Klasse. Danach besteht eine Pflicht zur Berufsausbildung, falls nicht eine weiterführende Schule besucht wird.

Schulverweigerer Von den 47 Kindern, die derzeit im Geltungsbereich des Staatlichen Schulamts Backnang vom Besuch des Schulunterrichts ferngehalten werden, nehmen 23 Schüler an den Leistungsmessungen der Schule teil. Zu 28 Schülern besteht kaum oder kein Elternkontakt. Nicht erfasst sind Schüler der Gymnasien, der Privatschulen und der beruflichen Schulen. Im Raum Backnang (mit Murrgemeinden und Weissacher Tal) haben 26 Schulen die Abfrage bearbeitet und 16 Schüler gemeldet, die dem Unterricht fernbleiben. Davon nehmen 12 Schüler an den Leistungsmessungen teil, zu 7 Schülern besteht kaum oder kein Kontakt. Die Abfrage hat sich auf jene Schüler bezogen, die aktuell in der Coronazeit vom Unterricht ferngehalten werden und damit die Schulpflicht verletzen. Darüber hinaus gab und gibt es auch noch weitere Schüler, die aus den verschiedensten Gründen nicht in der Schule sind.

Keine Statistik Das Regierungspräsidium Stuttgart führt keine Statistik darüber, wie viele Schüler an welcher Schule oder in welchem staatlichen Schulamtsbezirk fehlen, zumal es keine zentrale Erfassung gibt. Generell erklärt das RP: „Wenn schulpflichtige Kinder an ihrer Schule unentschuldigt fehlen, verletzen sie die Schulpflicht, unabhängig davon, ob sie sich zu Hause oder an einem anderen Ort aufhalten.“

Zwangsgeld Laut RP laufen aktuell vier Zwangsgeldverfahren, alle im Zusammenhang mit Corona. Keines davon ist bisher abgeschlossen, weshalb auch noch kein Zwangsgeld gezahlt wurde.

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Erstellt:
10. Februar 2022, 06:00 Uhr

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