„Bei allen liegen die Nerven blank“

Wieder Weihnachten mit Corona, neue Einschränkungen, volle Intensivstationen: Die Stimmung in der Bevölkerung ist angespannt. Immer wieder berichten Helfer, Testende und impfende Ärzte, dass Menschen ihren Frust an denen auslassen, die nichts für die Situation können.

Die Warteschlangen vor Impf- und Testcentern waren in den vergangenen Wochen immer lang. Symbolfoto: Adobe Stock/Svitlana

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Die Warteschlangen vor Impf- und Testcentern waren in den vergangenen Wochen immer lang. Symbolfoto: Adobe Stock/Svitlana

Von Kristin Doberer

Murrhardt/Großerlach. „Das ist die größte Verarsche“, „Aluhutvaterlandsverräter“, „lächerlicher Armutshaufen“, „Wir sind auf dem besten Weg in die DDR-Zeit zurückzugehen“, „schaltet euer verdammtes Gehirn mal an“. Solche oder ähnliche Bemerkungen liest man in sozialen Medien zuhauf unter Beiträgen rund um das Thema Corona und Impfen. Aber das ist schließlich das Internet, es wimmelt nur so von Trolls und die scheinbare Anonymität senkt die Hemmschwelle für Beleidigungen. Doch unangemessene Kommentare finden sich nicht mehr nur im Web. „Seit der Alarmstufe ist das bei uns einfach mehr geworden. Manche Leute werden verbal aggressiv gegen die Tester“, sagt zum Beispiel Lars Pannicke, der Geschäftsführer der Murrhardter Praxisklinik Oberes Murrtal. Seit Beginn der Pandemie wird hier auf Corona getestet, und seit die Nachfrage angestiegen ist, ist meist wieder eine Terminvereinbarung nötig. Doch die Nachfrage ist sehr hoch, die Termine und Kapazitäten sind begrenzt. Der Frust, wenn es keinen Termin mehr gibt oder wenn sich eine Warteschlange gebildet hat, lande dann bei den Mitarbeitern.

Dabei geht es nicht immer um die Wartezeit oder die Testkapazitäten. „Manche wollen Impfdebatten führen oder einfach den Frust über die Verordnungen loswerden“, so Pannicke. Seine Mitarbeiter dagegen wollen schlicht ihre Aufgabe erledigen und alles möglichst schnell abarbeiten. Durch unangemessene Bemerkungen und Diskussionen verzögere sich das. Er habe durchaus Verständnis, dass die Nerven bei vielen blank liegen und der Druck gerade auch durch die Testpflicht am Arbeitsplatz stark gestiegen ist. „Aber wir sind nur eine Teststelle. Und wir bemühen uns, das Beste zu machen“, sagt Pannicke. So habe man in Murrhardt die Öffnungszeiten deutlich verlängert und arbeite mit Terminvergabe. Auch blieben er und sein Team immer neutral und ruhig, man höre zu und versuche, die Situation mit Worten zu deeskalieren.

Negative Äußerungen sind Einzelfälle, beschäftigen Tester aber länger

Verbale Angriffe, so Pannicke, seien Ausnahmen. Die Mitarbeiter würden auch sehr viel Dankbarkeit erleben und liebe Worte hören. Doch trotzdem seien es eben vor allem die negativen Bemerkungen, welche die Tester belasten und ihnen am Ende des Tages zu schaffen machen. Ein Grund, so vermutet er, sei die negative Grundstimmung. „Die Leute kommen bei uns an und sind schon genervt. Davon, dass sie einen Test machen müssen, dass sie warten müssen, dass es länger dauert. Noch dazu drücken die unguten Aussichten auf Weihnachten und die Lockdown-Debatten die Stimmung.“ Am Samstag hat er zusammen mit der Erich-Schumm-Stiftung auch eine große Impfaktion in Murrhardt. Die über 400 Termine waren schnell ausgebucht. „Wir sind mal gespannt, wie die Leute dann beim Impfen reagieren.“ Er hoffe, dass es durch die Terminvergabe nicht zu langen Wartezeiten und Frust bei den Impflingen kommen wird.

Das war bei einer kurzfristigen Impfaktion in der Schwalbenflughalle in Großerlach vor knapp zwei Wochen der Fall. Rückblickend habe es sich noch im Rahmen gehalten. Einige Diskussionen seien aber mühsam gewesen, auch wenn man durch Kommunikation die Situation deeskalieren konnte. „Es gab aber auch einzelne Personen, die sich wirklich danebenbenommen haben“, erzählt Bürgermeister Christoph Jäger, der den ganzen Impftag über vor Ort war. Grund für den Unmut vieler sei die lange Wartezeit gewesen. Oft habe er mit den Leuten gesprochen und versucht, zu deeskalieren und auch vorzuwarnen, dass einige auf eigenes Risiko in der Kälte anstehen und bei der Impfung vermutlich nicht mehr zum Zug kommen werden. „Trotzdem haben sich manche beschwert und Probleme gemacht.“ So habe er eine Person auch auffordern müssen, die Halle zu verlassen. Diese sei dann auch „sich wütend beschwerend“ gegangen.

Zum Teil habe der Bürgermeister Verständnis für die Frustration nach dem langen Anstehen. Zumindest bei Leuten, die sich boostern lassen wollen, verstehe er den Unmut. Es seien aber auch viele für ihre erste Impfung gekommen. „Und das ist ja eigentlich gut. Aber wo waren die im Sommer, als die Impfzentren leer waren?“, fragt sich Jäger. „Und jetzt beschweren auch sie sich, wenn sie in der Schlange stehen müssen.“ Gerade wenn man bedenke, dass es vor allem Ehrenamtliche waren, die bei der Impfaktion geholfen haben, seien manche Reaktionen der Wartenden nicht angebracht gewesen. An dem Sonntag hat ein Arzt 150 Impfungen übernommen, unterstützt wurde er durch das DRK in Sulzbach an der Murr und die Freiwillige Feuerwehr Großerlach.

Gleichzeitig betont Jäger: Die Störer seien noch immer die Ausnahme, die Medaille habe auch eine positive Seite. Zum einen sei ein Großteil der Menschen bei der Impfaktion sehr dankbar gewesen, dass die kleine Gemeinde das überhaupt auf die Beine stellt. „Und wenn jemand eine Diskussion begonnen hat, haben sich zum Teil andere in der Reihe für dessen Verhalten entschuldigt oder betont, dass sie dessen Meinung eben nicht teilen“, erinnert sich Jäger an durchaus positive Erlebnisse. Auch die engagierte Mitarbeit der vielen Ehrenamtlichen sei für ihn ein „kleines Pflaster“ – nicht nur bei den Impfaktionen. Als Beispiel nennt er auch das Testzentrum, das in Großerlach wieder an den Start gehen soll. Unkompliziert und schnell habe man hier mit DRK, Kirchengemeinde und Landratsamt zwei Testungen pro Woche auf die Beine stellen können. „Das tut dann richtig gut und macht einem auch Hoffnung.“ Und für die nächste Impfaktion am 12. Dezember steht schon fest: Impfung nur mit vorheriger Terminvergabe.

Nicht nur beim Thema Corona ist die Stimmung angespannter

Aber auch im alltäglichen Geschäft habe der Bürgermeister bemerkt, dass sich bei manchen Leuten der Umgangston verschärft hat. Er merke, dass die Leute reizbarer seien. „Insgesamt liegen die Nerven blank, man merkt das ja an sich selbst auch. Man ist mit der Geduld am Ende“, sagt er. Die schon so lange andauernden Einschränkungen durch die Pandemie, die ständig sich verändernden Regelungen und jetzt dazu noch die dunkle Jahreszeit: Manchem platze der Geduldsfaden einfach schneller als früher. Zwar seien auch das Einzelfälle, aber zum Teil bekommen er oder seine Mitarbeiter im Rathaus „ganz schön was hingeschmissen“. Einige zumindest, die sich im Ton vergreifen, so erzählt der Bürgermeister, kämen im Nachhinein, um sich für ihr Verhalten zu entschuldigen. „Aber man muss nicht alles, was einem durch den Kopf geht, auch ausposaunen“, mahnt Jäger. Zum Teil habe er ja Verständnis, aber „wir dürfen die Wertschätzung und den Respekt voreinander nicht verlieren“.

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Erstellt:
4. Dezember 2021, 06:00 Uhr

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