Benachteiligte Gruppen nicht vergessen

Studien zeigen, dass sozial Benachteiligte stärker von Coronainfektionen betroffen sind. Manche Städte starten deshalb Impfaktionen in Brennpunktvierteln. Brennpunkte gibt es im Kreis nicht wirklich, sozial benachteiligte Menschen aber sehr wohl.

In Köln fahren mobile Impfteams soziale Brennpunkte wie den Stadtteil Chorweiler an, da hier vermehrt Infektionen auftreten. Foto: Imago

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In Köln fahren mobile Impfteams soziale Brennpunkte wie den Stadtteil Chorweiler an, da hier vermehrt Infektionen auftreten. Foto: Imago

Von Kristin Doberer

BACKNANG. Nach Daten des Robert-Koch-Instituts ist in sozial benachteiligten Regionen das Risiko, an Corona zu sterben, 50 bis 70 Prozent höher als in nicht benachteiligten Gegenden. Gründe dafür gibt es einige: enge Wohnverhältnisse, vermehrt Vorerkrankungen, Jobs, die man nicht zu Hause machen kann, tägliche Fahrten mit Bus und Bahn. Dementsprechend kann sich das Virus unter solchen Bedingungen stärker verbreiten. In Backnang ist so eine Entwicklung bisher aber nicht erkennbar. „Wir haben keine Konzentration auf Ballungszentren oder Brennpunkte, das Infektionsgeschehen ist aktuell sehr diffus und auf alle Viertel verteilt“, sagt die Leiterin des Rechts- und Ordnungsamts, Gisela Blumer. Das Amt ist für die Nachverfolgung der Kontakte und die Überprüfung der Quarantäne zuständig. Dabei bekommt das Team der Nachverfolgung die Namen und Adressen genannt. „Natürlich haben wir aber keinen Einblick in das Einkommen.“ Aber die Stadtteile – wo eher Einfamilienhäuser stehen – seien genauso von Infektionen betroffen wie die verschiedenen und enger bebauten Viertel in Backnang. Für städtische Impf- und Testaktionen, wie es sie in Städten wie Köln, Mannheim oder Stuttgart geben soll – hier fahren mobile Teams gezielt Brennpunktviertel an –, sehe man also keinen Grund. Mit Blick auf das aktuelle Infektionsgeschehen in Backnang verfolge man einen anderen Ansatz: „Wir wollen Impfmöglichkeiten nicht auf einzelne Gruppierungen beschränken, sondern möglichst bald Impfmöglichkeiten für alle bieten“, sagt die Leiterin des Rechts- und Ordnungsamts. Das Thema sei aber auch im Coronateam der Stadtverwaltung immer wieder aufgekommen, man habe sich wiederholt Gedanken darüber gemacht, wo noch mehr und bessere Aufklärung nötig sei und wo das Infektionsrisiko besonders hoch ist, so Blumer.

Weg zur Impfung stellt Menschen ohne Obdach vor Probleme.

Auch im Landratsamt sieht man keine Konzentration auf eine Bevölkerungsschicht oder bestimmte Viertel. „Es gibt keinen richtigen Brennpunkt im Kreis“, sagt Pressesprecherin Martina Keck. Klar sei aber auch: Je enger man zusammenlebt, desto größer ist das Risiko für eine Infektion. Gerade auch, wenn man sich Bad und Küche mit vielen Menschen teilen muss. Risikoreicher sind also Flüchtlings- und Obdachlosenunterkünfte und Frauenhäuser. Das, so Keck, sei dem Landratsamt durchaus bewusst. „Wir sind da schon länger dran. Was Stuttgart gerade beginnt, läuft bei uns eigentlich schon längst“, meint die Sprecherin des Landratsamts. Denn das Land und die Stadt Stuttgart suchen aktuell nach Wegen, wie auch benachteiligte Gruppen und Migranten besser erreicht werden können.

Dass aber nicht nur soziale Brennpunkte beim Infektionsschutz stärker bedacht werden müssen, sondern auch die Orte, an denen es sprachliche oder kulturelle Hindernisse gibt, habe Wolfgang Sartorius bereits bei einem Treffen mit dem Sozialministerium angemerkt. Der geschäftsführende Vorstand der Erlacher Höhe hat die Befürchtung, dass viele Menschen beim Thema Impfen vergessen werden. „Viele Obdachlose haben keinen Hausarzt und keinen PC, um an Impftermine zu kommen. Technisch sind sie abgehängt“, sagt er. Auch die telefonische Terminvergabe überfordere viele: „Selbst weniger isolierte und benachteiligte Menschen verzweifeln, wenn sie in der Hotline nur immerzu hören, dass sie es später noch einmal probieren sollen. Für obdachlose Menschen, die ohnehin häufig unter psychischen Belastungen leiden, ist das kaum machbar“, sagt Sartorius. Dabei leiden gerade Menschen, die kein Dach über dem Kopf haben, häufig unter schweren Vorerkrankungen oder sind gesundheitlich angeschlagen. „Man muss sie hier intensiv unterstützen.“ Das Landratsamt habe in der Erlacher Höhe schon sehr schnell gehandelt und mehreren Gruppen mit mobilen Teams ein Impfangebot gemacht.

Da mittlerweile in den meisten Alten- und Pflegeheimen auch schon alle Impfungen durch sind, wurden die mobilen Teams außerdem in weitere Einrichtungen geschickt, sagt die Pressesprecherin des Landratsamts. Die mobilen Impfteams des Landkreises haben eine weitere vulnerable Gruppe im Blick: Menschen mit Handicap. Diese Teams fahren also gezielt Werkstätten für Menschen mit Behinderung an, um die Personen direkt dort zu impfen. Gerade weil der Kreis im Vergleich mit seiner Einwohnerzahl recht wenig Impfstoff bekommt, hat das Landratsamt die mobilen Teams des Landes schon vor einiger Zeit um weitere Hilfe beim Impfen gebeten. Die mobilen Impfteams des Landes fahren also die Flüchtlingsunterkünfte im Rems-Murr-Kreis an.

Ob sie hier allerdings auf große Impfbereitschaft treffen, bezweifelt Sartorius. Bei Migranten und auch Wohnungslosen sei viel Skepsis zum Thema Impfen da. „Es kursieren Horrorstorys über Änderung der DNA und Unfruchtbarkeit“, sagt Sartorius. Nur im Gespräch mit Vertrauenspersonen könne man Menschen in solchen Einrichtungen richtig informieren. „Es ist wichtig, dass die Impfteams mit Menschen zusammenarbeiten, die das Vertrauen der Bewohner haben.“

Kommt der Impftruck in die Gewerbegebiete?

Aber nicht nur das enge Zusammenleben habe hohes Infektionspotenzial, sondern auch enges Zusammenarbeiten. Immer wieder sei es in den vergangenen Wochen zu Ausbrüchen in Betrieben gekommen. Hier würde das Landratsamt gerne gezielt gegensteuern. „Wir würden gerne mit dem Impftruck in die Gewerbegebiete fahren und in den Unternehmen impfen, die keinen Betriebsarzt haben“, so Keck. Denn gerade im produzierenden Gewerbe gebe es schließlich keine Möglichkeiten für das Arbeiten im Homeoffice. Geplant ist, dass der Impftruck bis Ende Mai mit den einzelnen Kommunen durch ist und dass ein Großteil der über 70-Jährigen einen Impfstoff erhalten hat. Dass es in dem Bereich schon ganz gut aussieht, zeigt, dass es für Kommunen schon schwieriger wird, alle Impftermine zu vergeben, sagt Keck. Ob der Impftruck dann tatsächlich die Gewerbegebiete anfahren kann, ist aber noch nicht sicher. „Wir warten hier noch auf eine Antwort des Sozialministeriums.“

PCR-Testzentrum an Feiertagen und am Wochenende geöffnet

Inzwischen werden regelmäßig Schnelltests durchgeführt. Gleichzeitig steigt aufgrund der zahlreichen Schnelltests nicht nur in Schulen und Kitas der Bedarf an PCR-Tests, da ein positives Schnelltestergebnis über diese laborgestützten Tests überprüft wird. Dank guter Abstimmung konnten und können die PCR-Nachtestungen meist schnell in den jeweiligen Arztpraxen oder der Fieberambulanz erledigt werden. Inzwischen sind die Arztpraxen nicht nur bei der Impfkampagne gefordert, auch an Sonn- und Feiertagen waren die PCR-Nachtestungen immer nur sehr begrenzt möglich.

Seit Montag, 10. Mai, können in folgenden Fällen PCR-Tests im Testzentrum beim Rems-Murr-Klinikum Winnenden gemacht werden: Nach einem positiven Schnelltest können Bürgerinnen und Bürger kostenlos einen PCR-Test machen. Nachweis: positiver Schnelltest (zum Beispiel über Cosima oder Cosan). Gleiches gilt für enge Kontaktpersonen mit Nachweis. Wer aus anderen Gründen einen PCR-Test braucht – zum Beispiel im Kontext einer Reise –, kann diesen ebenfalls im Winnender Testzentrum machen lassen – allerdings als Selbstzahler. Die Kosten liegen bei 89 Euro. Wer Symptome hat, die auf das Coronavirus hinweisen könnten, meldet sich bitte weiterhin telefonisch beim Hausarzt oder am Wochenende bei der Coronaambulanz an der Rems-Murr-Klinik Schorndorf.

Die PCR-Testung ist von Montag bis Sonntag jeweils von 7.30 bis 12 Uhr mit Termin möglich. Termine erhält man über das Schnelltestportal Cosan. Das eigene Labor der Rems-Murr-Kliniken ermöglicht eine schnelle Auswertung der Tests. Das Ergebnis wird in der Regel am selben Tag über Cosan per E-Mail oder über die neue App RMKCosima mitgeteilt.

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Erstellt:
14. Mai 2021, 06:00 Uhr

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